Nach langer Debatte hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) den Bericht von Sonderermittlerin Margaretha Sudhof zur umstrittenen Maskenbeschaffung zu Beginn der Corona-Pandemie dem Haushaltsausschuss des Bundestags vorgelegt – allerdings nur in einer geschwärzten Fassung.
In dem 168 Seiten langen Schriftstück, das dem Tagesspiegel vorliegt, finden sich eine Vielzahl von Vorwürfen gegen das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und dessen damaligen Chef Jens Spahn (CDU). Die wichtigsten Punkte im Überblick:
- Keine saubere Aktenführung: Zu Beginn ihrer Tätigkeit musste Sudhof zunächst darum kämpfen, die nötigen Unterlagen zu bekommen. „Die einschlägigen Verwaltungsvorgänge des BMG befinden sich derzeit in einem nicht der Aktenführung einer Obersten Bundesbehörde entsprechenden Zustand“, urteilt die im Sommer 2024 von Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzte Sonderermittlerin kühl. Sudhof dankt zugleich den Mitarbeitern für ihren Einsatz in der Coronapandemie. Sie hätten Unvorstellbares leisten müssen und hätten dies auch geleistet.
- Alleingänge des Gesundheitsministers: Bei der Maskenbeschaffung sieht Sudhof entscheidende Versäumnisse bei Jens Spahn selbst. „Fehlendes ökonomisches Verständnis können aber, wie in diesem Fall, dazu führen, dass nicht als Team ‚Staat‘, sondern als Team ‚Ich‘ gehandelt wird“, schreibt sie. Das habe ein „Drama in Milliarden-Höhe“ ausgelöst. Als zentralen Fehler sieht Sudhof, dass Spahn sich gegen den Rat seiner Fachabteilungen entschloss, fachfremd bei der Beschaffung von Schutzausrüstung wie Masken aktiv zu werden. Die eigentlich zuständigen Beschaffungsämter des Innenministeriums (BMI) und der Bundeswehr wurden an den Rand gedrückt. Warnungen dieser Behörden wurden nicht ernst genommen.
- Kein Überblick über die beschafften Masken: Da die entsprechenden Fachabteilungen im Gesundheitsministerium fehlten, überwachte niemand, dass die bestellten Mengen zum vom Covid-19-Krisenstab festgelegten Bedarf passten. Insgesamt wurden Masken weit „über den vom Krisenstab festgelegten Bedarf hinaus beschafft“, urteilt Sudhof. Demnach wurde das 22-fache an FFP2-Masken und das 20-fache an OP-Masken beschafft. Von 5,7 Milliarden bestellten Masken wurden nur 1,7 Milliarden zur Corona-Bekämpfung im Inland eingesetzt. Sudhof sieht eine Überbeschaffung im Volumen von elf Milliarden Euro. Da nicht alle Händler wie vereinbart lieferten, bildeten sich laut Sudhof bisher jedoch nur sieben Milliarden davon im Bundeshaushalt ab.
- Rechtliche Risiken für den Bund: Derzeit klagen noch über 100 Händler auf Zahlungen des BMG, nachdem sie ihre Masken nicht fristgerecht oder nur mit Mängeln liefern konnten. Sudhof arbeitet heraus, dass die allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Lieferverträgen vielfach ungünstig für den Bund formuliert sind. Deshalb haben die Klagen der Händler gute Aussichten auf Erfolg. Das Prozessrisiko des Bundes beläuft sich laut Sudhof auf 2,3 Milliarden Euro – hinzukommen Vollzugszinsen und Gerichtskosten. Es drohen also weitere Kosten für den Bund.
- Das teure Open House Verfahren: Beim sogenannten Open House Verfahren verpflichtete sich das Ministerium jedem Lieferanten, der bis zum 30. April 2020 liefern konnte, OP-Masken zum Stückpreis von 60 Cent und FFP2-Masken zum Stückpreis von 4,50 Euro (plus Mehrwertsteuer) abzunehmen. Diese Preise legte laut Sudhof Spahn fest. Seine Beamten hatten im Vorfeld auf der Basis von Marktpreisen nur 2,50 bis 2,90 Euro je FFP2-Maske vorgeschlagen. Wäre Spahn der ursprünglichen Empfehlung seiner Beamten gefolgt, hätte das BMG für die so besorgten Masken bis zu 623 Millionen Euro weniger zahlen müssen. Der hohe Preis sorgte dafür, dass das Gesundheitsministerium trotz einer verkürzten Frist mit Angeboten überhäuft wurde.
- Der Riesenbeschaffungsauftrag für Fiege: Mit dem Logistiker Fiege aus seiner münsterländischen Heimat, dessen Chefs Spahn aus CDU-Kreisen gut kennt, schloss der CDU-Politiker zwei umstrittene Verträge ab. Zum einen beauftragte er Fiege ohne Ausschreibung per Rahmenvertrag für bis zu 750 Millionen Masken für bis zu 1,4 Milliarden Euro in China zu besorgen. Dabei gewährte er Fiege sehr günstige Konditionen, wie aus den Vertragsunterlagen hervorgeht, die dem Tagesspiegel vorliegen. Denn bei Mängeln musste dafür nicht Fiege geradestehen. Stattdessen musste das BMG bei den chinesischen Lieferanten eine Gewährleistung einfordern. Bis heute ist das BMG deshalb mit Schiedsverfahren in China beschäftigt.
- Spahn macht Fiege zum zentralen Logistiker: Anfang März hatte Spahn die Fiege-Bosse zudem gebeten, Logistikaufträge für das BMG zu übernehmen. Mitte März „beharrte“ das BMG dann darauf, so steht es im Bericht, „dass ausschließlich der vom BMG ausgewählte Logistiker im Bereich Lager- und Verteil-Logistik beauftragt werden sollte“. So wurde Fiege gegen den Willen des eigentlich zuständigen Innenministeriums zum zentralen Logistiker für die gesamte Maskenbeschaffung des Bundes. Fiege zeigte sich schnell überfordert mit dem Auftrag. Das führte zum „vollständigen Kollaps der Lieferketten und löste diverse Folgeprobleme aus“, heißt es in dem Bericht.
In ihren Bericht gibt Sudhof zugleich Empfehlungen, um die durch Spahns Maskenbeschaffung entstandenen Probleme aufzulösen. Zum einen geht es dabei um rechtliche und zum anderen um logistische Fragen:
- Härte Linie in deutschen Gerichten: Wegen der Logistikprobleme bei Fiege konnten Händler des Open House Verfahrens ihre Masken vielfach nicht pünktlich abliefern. Sie pochen nun vor Gericht darauf, dass das BMG sie dennoch bezahlt - zu den damaligen Konditionen. Bisher gaben ihnen die Gerichte meist Recht. Sudhof fordert nun von den Anwälten des BMG ein härteres Vorgehen. So weist sie darauf hin, dass der Preis von 4,50 Euro pro FFP2-Maske im Open House Verfahren gegen das Preisrecht bei öffentlichen Vergaben verstoßen haben könnte. Mit diesem Argument könnten die BMG-Anwälte laut Sudhof die Ansprüche der Maskenhändler drücken.
- Ende des China-Abenteuers: Die Schiedsgerichtsverfahren in China gegen chinesischen Verfahren sieht sie mit Skepsis. Dabei gehe es um ungefähr 132 Millionen mangelhafte Masken, weshalb um eine Kaufpreisrückforderung von circa 193 Millionen Euro gestritten werde. Doch in einigen Fällen wurde eine entsprechende Rüge zu spät eingereicht. Und bisher ist auch noch kein einziger Schiedsspruch ergangen. Sudhof stellt deshalb die Frage in den Raum, ob die Schiedsgerichtsverfahren wegen der teuren Anwaltskosten und der Kosten für die Lagerung der strittigen Masken, überhaupt wirtschaftlich ist.
- Ende der Lagerung: Sudhof weist in ihrem Bericht daraufhin, dass mit Stand 15. November 2024 noch immer 1,265 Milliarden vom Gesundheitsministerium im Frühjahr 2020 bestellte Masken in Lagern liegen. 789 Millionen davon waren nicht auslieferungsfähig. Sie warten darauf, verbrannt zu werden. Die übrigen könnten noch verteilt werden. Sudhof fordert das BMG, die Masken möglichst schnell zu verteilen oder zu vernichten. Denn seit 2020 hat die Lagerung und Verbrennung von Masken laut Sudhof 315 Millionen Euro gekostet.
In einem eigenen Bericht, der dem Tagesspiegel vorliegt, kritisiert das Haus von Gesundheitsministerin Nina Warken Sudhofs Ergebnisse. In ihrem Papier seien Tatsachen häufig ohne Quellen hinterlegt, auch eine Methodik ihres Vorgehens sei nicht ersichtlich. So könne dem BMG zufolge nicht nachvollzogen werden, mit wem Sudhof und ihr Team für die Auswertung gesprochen habe. Klar sei lediglich, dass Jens Spahn „als Betroffener“ nie befragt wurde.
Der Verweis auf fehlende Quellen entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Denn in der Fassung, die den Haushältern des Bundestages zur Verfügung gestellt wurde, hat das BMG viele Quellenhinweise geschwärzt, weil es die Quellen offensichtlich für brisant hält. Neben dieser Grundsatzkritik geht das BMG aber auch auf einzelner Punkte ein:
- Die Ausnahmesituation der Pandemie: In der damaligen Ausnahmesituation sei die Entscheidung für eine Beschaffung durch das BMG sachgerecht gewesen. „Eine Überbeschaffung lag aus damaliger Sicht nicht vor“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Berechnet wurde die Menge nach der Anzahl der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen, unter Berücksichtigung der empfohlenen Nutzungsdauer der Masken. Erfahrungswerte zur belastbaren Ermittlung des nationalen Bedarfs habe es nicht gegeben.
- Die Maskenpreise waren volatil: Auch den hohen Preis für FFP2-Masken im Open House Verfahren rechtfertigt das BMG. Die Preise seien nicht willkürlich festgesetzt worden. Zum einen seien die Beschaffungsämter involviert gewesen, zum anderen sei die Preisfindung im März 2020 aufgrund der schwierigen Marktentwicklung kompliziert gewesen, schreibt das Ministerium. Es verweist auf die schwankenden Preise auf dem Weltmarkt.
- Vergebliche Bitte nach Amtshilfe: Das BMG habe im März und April 2020 mehrfach beim Bundesverteidigungsministerium (BMVg) Unterstützung per Amtshilfeersuche erfragt, es erfolgten aber keine Lieferungen. Das sei im Papier Sudhofs nur lückenhaft wiedergegeben, kritisiert das BMG. Als Lösung habe das Ministerium auf Logistikunternehmen zurückgegriffen. Die Auswahl sei in Abstimmung mit BMVg und Bundesinnenministerium erfolgt, rechtfertig das Ministerium die Beauftragung des Unternehmens Fiege aus Spahns Heimat.
Auch Jens Spahn meint, er habe sich nichts vorzuwerfen. „Mein Gewissen ist rein“, sagte der Ex-Gesundheitsminister in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Am Dienstag sagte er auf der Fraktionsebene des Bundestages: „Ich bin froh, dass der Text von Frau Sudhof jetzt gelesen werden kann.“ Er werde am Mittwoch im Haushaltsausschuss Rede und Antwort stehen.