Wahlgewinner Hendrik Wüst: Neue „Herzkammer der CDU“ stärkt potenziellen Merz-Nachfolger

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Er muss gar nicht in Berlin auftreten, um in der Hauptstadt Gesprächsthema zu sein. Hendrik Wüst ist am Montag nach den Kommunalwahlen in seiner Heimat zwar vor Ort in der CDU-Parteizentrale, wo das Präsidium tagt.

Ein Presseauftritt samt Sieger-Blumenstrauß ist im Anschluss aber keiner geplant – auch wenn die Neubesetzung von Rathäusern und Stadträten im größten Bundesland es von der Bedeutung her locker mit einer kleineren Landtagswahl aufnehmen kann.

Für den NRW-Ministerpräsidenten geht es im Anschluss zurück nach Düsseldorf, wo noch der Landesvorstand der Christdemokraten tagt und mit rund hundert neuen Mandatsträgern aus Städten und Gemeinden gegrillt wird. Neue, frisch motivierte CDU-Vertreter zu stellen – das war für Wüst gerade mit Blick auf den Wahlkampf vor der Landtagswahl im Frühjahr 2027 ein wichtiger Faktor.

In Berlin lässt er, auch ohne viel zu sagen, viel Geraune über sich und seine künftige Rolle in der Partei zurück. Und das gilt nicht nur medial, wobei Gabor Steingart von „The Pioneer“ in seinem morgendlichen Newsletter sicherlich am weitesten ging und Wüst zum „Kanzler der Reserve“ machte. Die zugehörige Fotomontage zeigte ihn als Judoka mit schwarz-grünem Gürtel.

Über dem „Bundesschnitt“ – und Merz

In der CDU ist aber auch so viel vom „Bundesschnitt“ die Rede, über dem sie in NRW wieder einmal locker liegen. Damit ist immer irgendwie auch Friedrich Merz als Chef der Bundespartei mitgemeint. Die kommt in deutschlandweiten Umfragen aktuell nur auf rund 25 bis 27 Prozent – und liegt damit noch unter dem als schon schwach empfundenen Bundestagswahlergebnis von 28,5 Prozent.

An Rhein und Ruhr, wo die Wahlergebnisse einst eine SPD-Hochburg formten, die Wüst nun ungestraft „ehemalige Herzkammer der Sozialdemokraten“ nennen konnte, hat die CDU dagegen zugelegt im Vergleich zur Bundestagswahl. Ende Februar stimmten 30,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler für sie, jetzt 33,5.

Hendrik Wüst ist es gelungen, ein Team mit ganz unterschiedlichen Charakteren aufzustellen und einen Stil zu prägen, der für weite Teile der Bevölkerung wählbar ist.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban

Hinzu kommt ein weiteres Teilergebnis, dass Christdemokratinnen und Christdemokraten auch jenseits der NRW-Landesgrenzen zu strategischen Diskussionen einlädt. Die AfD hat zwar auch in Nordrhein-Westfalen stark hinzugewonnen, im Vergleich zur Kommunalwahl 2020 stellen die 14,5 Prozent fast eine Verdreifachung dar. Bei der Bundestagswahl aber hatte die AfD in NRW gar 16,8 Prozent erreicht – verglichen damit wurde die Rechtsaußenpartei also ein wenig eingedämmt, während sie sich im Bund seither noch steigerte.

Diese Ergebnisse festigen noch den Anspruch, den Hendrik Wüst ohnehin erheben kann, nämlich der naheliegende Nachfolger von Merz zu sein, wenn es einmal darum gehen sollte. In diese Position kam er nicht nur durch seine erstmalige Wahl zum Ministerpräsidenten, als Vorgänger Armin Laschet im Herbst 2021 trotz gescheiterter Kanzlerkandidatur sein Mandat als Bundestagsabgeordneter annahm und nach Berlin ging. Es hat auch mit Wüsts geschickten Agieren zu tun, als im vergangenen Jahr die nächste K-Frage zu regeln war.

Die K-Frage geschickt beantwortet

Er hielt sich der Form halber damals so lange selbst im Rennen, dass seine entsprechend inszenierte Unterstützung schließlich den Ausschlag für Merz und gegen CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten gab. Die Erklärung, die Wüst im Zuge dessen abgab, las sich zudem wie ein großes politisches Bekenntnis zu einer „Allianz der Mitte“, um das Land wieder nach vorne zu bringen und Extremisten von der Macht in Deutschland fernzuhalten.

Sein Landsmann Dennis Radtke, Mitglied im CDU-Bundesvorstands, gerät da fast schon ins Schwärmen. „Er lässt nicht nur die ganze Bandbreite der Partei zu, sondern er begreift das auch als das eigentliche Erfolgsgeheimnis“, sagt der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der Partei mit Blick auf NRW: „Hier werden CDA und Mittelstandsunion gleichermaßen eingebunden, die Junge Union genauso wie die Senioren Union – auch Frauenförderung ist Chefsache: Er ruft niemanden an, weil er muss, sondern weil er wirklich am Austausch und unterschiedlichen Sichtweisen interessiert ist.“ 

Im Vergleich zu Friedrich Merz? Der wirbt am Tag nach der NRW-Kommunalwahl und der montäglichen CDU-Gremiensitzung ganz im Sinne von Wüst: „Lösungen gibt es nicht am Rand, sondern in der Mitte.“ Der Kanzler hat sich nach dem harten Bundestagswahlkampf zum Missfallen von Konservativen und Wirtschaftsliberalen selbst schon dorthin aufgemacht. Bei den persönlichen Beliebtheitswerten wirkt der alte, polarisierende Merz trotzdem noch nach.

Wie integrativ der 50-jährige Wüst in polarisierenden Zeiten unterwegs ist, beeindruckt viele in der CDU. „Hendrik Wüst ist es gelungen, ein Team mit ganz unterschiedlichen Charakteren aufzustellen und einen Stil zu prägen, der für weite Teile der Bevölkerung wählbar ist“, sagt etwa Tilman Kuban aus Niedersachsen.

Wichtig ist vielen in der CDU auch, dass kein allzu krasser Gegensatz zwischen Merz und Wüst aufgemacht wird. „Nicht nachvollziehen kann ich, dass in jedem Wort von Hendrik Wüst krampfhaft eine Spitze gegen Friedrich Merz gesucht wird“, sagt der baden-württembergische Abgeordnete Olav Gutting.

Das freilich könnte ein frommer Wunsch bleiben, so lange Wüst bei Wahlen so viel besser abschneidet als sein Bundesvorsitzender.

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