Am Morgen schon feierten sie in Libanon. Tausende Anhänger der Hisbollah kamen in ihren Autos zurück in die Dahieh, wie die südlichen Vororte von Beirut heißen, wo die schiitische Terrorgruppe besonders stark ist. Ihre Mitglieder fuhren hupend zurück zu ihren Häusern oder dem, was von ihnen übrig blieb. Sie fuhren durch Straßen voller Trümmer und schwenkten ihre gelben Fahnen, priesen Allah für ihren großartigen Sieg über den Erzfeind. Der Waffenstillstand ist für sie ein Erfolg, obwohl etwa 3800 Libanesen getötet wurden, auch ihr doch eigentlich unsterblicher Führer Hassan Nasrallah, und so viele Teile des Landes zerstört sind.
„Kehrt stolz in eure Dörfer zurück, ihr habt den Feind besiegt“, rief Parlamentspräsident Nabih Berri am Mittwoch nach der Waffenruhe den etwa eine Million Libanesen zu, die in den vergangenen 14 Monaten zu Flüchtlingen geworden waren, die ihre Häuser verloren haben, ihre Olivenhaine und ihre Familien. Auf Straßen lebten sie und in den Klassenzimmern von Schulen, die zu Lagern wurden. Sehen so Sieger aus?
Den meisten Libanesen ist das erst einmal egal, sie sind müde, sie wollen nur Frieden, sie wollen zurück. Tausende brachen mit ihren Autos in den Süden auf, in die Dörfer, die sie so lange nicht mehr gesehen haben, um zu schauen, was übrig ist.
Die Server der nationalen Fluglinie Middle East (MEA) brachen fast zusammen. Diejenigen, die in den vergangenen Monaten das Geld hatten für eine Flucht ins Ausland, wollen sofort zurück und müssen sich oft auf Wochen gedulden, weil alle Flüge ausgebucht sind und außer MEA noch niemand fliegt.
Sie kommen zurück und wissen oft nicht, was sie erwartet, wie die Zukunft aussieht. Sechzig Tage lang sollen die Waffen ruhen, darauf haben sich Israel und die Hisbollah geeinigt, in dieser Zeit sollen sich beide Seiten aus dem Süden des Landes unterhalb des Litani-Flusses zurückziehen, aus dem Grenzgebiet zu Israel. Von dort aus hatte die Hisbollah seit dem 8. Oktober Israel mit Zehntausenden Geschossen angegriffen, aus Solidarität mit der Hamas im Gazastreifen. Ein knappes Jahr flogen Raketen hin und her, wie in einem Tennisspiel, das aber Tote forderte und Hunderttausende auf beiden Seiten aus ihren Häusern vertrieb. Vor zwei Monaten begann Israel mit einem massiven Gegenschlag, mit einer Bodenoffensive nahe der Grenze, mit Angriffen auf die Hauptstadt Beirut, die am Mittwoch bis kurz vor vier Uhr morgens andauerten. Dann schwiegen die Waffen, so sah es zumindest das Abkommen vor. Viele Libanesen jubelten und hofften darauf, dass sich nun einiges bewegen könnte im Land, das so lange gelähmt war durch den Krieg. Dass die Hisbollah nun vielleicht sogar ganz entwaffnet werden könne, die ja ein Staat im Staate ist.
Doch der Waffenstillstand verlegt das Grundproblem erst einmal nur ein paar Kilometer nach Norden, er löst es aber nicht. Die Hisbollah ist brutal geschwächt, sie hat ihren Übervater Nasrallah verloren und fast ihre gesamte Führung, und nach israelischen Angaben auch etwa 70 Prozent ihrer Drohnen. Ihre Banken sind zerstört, ihre Mitglieder gedemütigt. Trotzdem ziehen sie nun wie Sieger nach Hause, was teils Propaganda ist, teils Überzeugung. Auf israelischer sind gut 100 Menschen getötet worden – in Libanon fast 40 Mal so viele. Dort sind die Zerstörungen brutal, in Israel nicht. Aber so rechnet die Hisbollah nicht, für sie zählt, dass sie Israel mehr Schaden zugefügt hat, als der Erzfeind es wollte. Dass Israel ohne einen kompletten Sieg das Land verlässt.
Vielleicht ist es der Beginn von etwas Neuem, vielleicht nur das, was das Wort meint, die Waffen ruhen nur.
Beide Seiten haben sich zwar zum Abkommen bekannt, aber auch gesagt, dass alles gleich wieder von vorn losgeht, wenn sich der andere nicht an die Bedingungen hält.
Wie sind die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden?
Es ist nicht der erste Waffenstillstand in all den Jahren. Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO hatte in den Siebzigerjahren den Süden zu ihrem Aufmarschgebiet gemacht, das Land in den Bürgerkrieg gestürzt, Israel war einmarschiert, die PLO nach Tunesien abgezogen. Wenig später machte die Hisbollah weiter mit den Angriffen auf Israel, mit freundlicher Hilfe aus Teheran. Im Jahr 2006 der nächste israelische Einmarsch und Versuch, die Angriffe aus dem Norden zu beenden. Die UN verabschiedeten die Resolution 1701, nach der Israel die besetzten Gebiete verlassen und die Hisbollah sich aus dem Süden des Landes zurückziehen soll.
Beides passierte nicht, die Hisbollah baute Tunnel und Bunker und brachte Raketen, die UN-Friedenstruppe schaute zu. Israel wiederum behielt die Schebaa-Farmen, ein knapp 40 Quadratkilometer großes Gebiet, das Libanon beansprucht.
Nun ist die Konstellation wieder die gleiche, die UN-Truppen und die libanesische Armee sollen den Rückzug überwachen und sind so schwach wie eh und je. Teheran begrüßt zwar das Abkommen, wird die Hisbollah aber nicht so leicht aufgeben. Nicht, ohne im Gegenzug etwas dafür zu bekommen.
Was dennoch dafür spricht, dass der Waffenstillstand zu einem längeren Frieden führen könnte, ist, dass die Libanesen erschöpft und am Ende sind, sich einfach nur Frieden wünschen. Der Winter steht vor der Tür, Hunderttausende haben kein Zuhause gehabt, mussten in Parks schlafen und ungeheizten Schulen. Nun gehen viele zurück. Sie hoffen, dass aus dem bisschen Frieden ein richtiger wird.