Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die wachsende Zahl einsatzbereiter Atomwaffen haben auch in Deutschland zu einer neuen Debatte darüber geführt, ob das Land ausreichend für einen möglichen Kriegsfall vorbereitet ist. Eine zentrale Frage ist dabei neben der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auch der Schutz der Zivilbevölkerung durch Bunker und andere Schutzbauten.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe arbeitet aktuellen Berichten zufolge derzeit an einer Bestandsaufnahme, zudem gibt es Planungen für ein nationales Schutzraumkonzept, auch „Bunker-Plan“ genannt.
Wie sinnvoll ist das? Drei Fachleute antworten. „Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.
„Bei modernen Hyperschall-Raketen bleibt keine Zeit, um Schutzräume aufzusuchen“
Die von der Bundesregierung und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz in die Diskussion gebrachten „Bunkerbaupläne“ mit Ausbau von Kellern und Tiefgaragen sowie eine „Bunker-App“ sind ein Irrweg. Angesichts von Vorwarnzeiten für moderne Hyperschall-Raketen zum Beispiel aus der russischen Enklave Kaliningrad von zwei bis vier Minuten bleibt der Bevölkerung keine Zeit mehr, um Schutzräume aufzusuchen.
Auch werden Bunkerbauten aus der Zeit des Kalten Krieges vom Bundesministerium des Innern als völlig unzureichend gegen moderne Raketenschläge mit Atomwaffen angesehen. Ein Bunkerneubau würde, basierend auf den Erfahrungen der Schweiz, horrende Neubaukosten für 20 bis 25 Jahre produzieren und steht in keinem Verhältnis zu den Schutzmöglichkeiten.
Sinnhafter wäre eine breite Debatte über die Gefahren für Deutschland als Nato-Partner sowie darüber, wie eine moderne und leistungsfähige Bundeswehr wieder resilienter gemacht werden kann. Vermutlich geht dies nur über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und unter Auslegung auf moderne Raketen- und Flugabwehrsysteme.
„Wir sind gefordert, flexibel zu sein – Bunkerbau und Schutzmauern sind das Gegenteil davon“
Wir haben auch künftig keinen Bunker im Keller, weil die Erwartung hoch ist, dass sich jemand anderes schon kümmern wird. Öffentliche Bunker sind eine langfristige Angelegenheit, die geplant werden muss und lange dauert. Auch im privaten Hausbau könnten sie bei finanziellen Anreizen für den Eigenheimbau für einige wieder populärer werden.
Jedoch helfen solche privaten Bunker nicht gegen jede Lage und wir sind aktuell durch sich ständig verändernde Situationen gefordert, flexibel zu sein. Bunkerbau und Schutzmauern sind aber das Gegenteil von Flexibilität, denn Infrastrukturprojekte brauchen Jahre der Planung, Genehmigung und Finanzierung.
Interessant ist, dass auch in den Hochzeiten des Kalten Krieges Staaten vollkommen unterschiedlichen Philosophien nachgingen. In den USA war jede Gemeinschaftsunterkunft als quasi kommunistisch verpönt, und man konnte private Bunker besser verkaufen. In der Sowjetunion hatte man große Flächen, wohin man die Bevölkerung evakuieren konnte.
Es hängt auch bei uns von den räumlichen Gegebenheiten sowie den politischen Ideen ab. In urbanen Räumen könnte es künftig wieder mehr Mehrzweck-Notunterkünfte geben, was nicht nur bezüglich der aktuell diskutierten externen Bedrohungen durchaus sinnvoll wäre. Die würden auch bei einem Hochwasser, einer spontanen Evakuierung oder einem Stromausfall helfen.
„Eine Multiple-Use-Strategie von Gebäuden wie in Israel wäre das sinnvollste Vorgehen“
Einerseits machen Schutzräume Sinn für Szenarien wie Raketen- oder Drohnenangriffe. Hierfür wird im privaten Bereich jedoch kein klassischer Bunker benötigt, alle innenliegenden Räume können außer bei direkten Treffern Schutz bieten.
Weit stärker werden öffentliche Schutzräume benötigt, sodass in Tiefgaragen oder U-Bahn-Tunneln temporär Schutz gesucht werden kann. Eine Multiple-Use-Strategie von Gebäuden wie in Israel wäre dabei das sinnvollste Vorgehen.
Viel wichtiger ist allerdings ein ziviles Sicherheitssystem, das Schadensereignisse nicht mehr nach Verteidigungsfall und Katastrophen unterscheidet. Wir müssen die Gesellschaft insgesamt resilient machen.
Ein Vorrat an Lebensmitteln, Trinkwasser, Hygieneartikeln und Medikamenten sowie ein Kurbelradio und Fluchtgepäck sind in allen Schadensszenarien potenziell lebensrettend. Ein funktionsfähiges Behelfskrankenhaus kann im Verteidigungsfall ebenso von Nutzen sein wie bei zivilen Katastrophen. Und Schutzräume, die vor Raketenangriffen schützen, können auch bei einem Stromausfall Notunterkünfte bieten.