Vermögensverteilung: Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft über die Vermögensverteilung in Deutschland

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 »In Deutschland ist die Eigentumsquote bei Immobilien vergleichsweise niedrig«

Musterhauspark in Dölzig: »In Deutschland ist die Eigentumsquote bei Immobilien vergleichsweise niedrig«

Foto: Jan Woitas / picture alliance / dpa

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SPIEGEL: Frau Niehues, Sie haben in Ihrer Auswertung  untersucht, wie wohlhabend deutsche Haushalte sind. Für 2023 haben Sie ein Medianvermögen von 103.100 Euro ermittelt. Was ist unter dem Begriff zu verstehen?

Niehues: Wenn man alle Haushalte nach der Höhe ihres Vermögens aufsteigend sortiert, liegt derjenige mit dem Medianvermögen genau in der Mitte der Vermögensverteilung. Es gibt also eine Hälfte, die weniger als die Summe von 103.100 Euro hat und eine andere Hälfte, die über mehr verfügt. Anders als beim Durchschnittsvermögen ist das Medianvermögen dadurch nicht so stark durch Ausreißer etwa am oberen Ende der Vermögensskala beeinflusst.

SPIEGEL: Der Auswertung zufolge besitzt die Hälfte aller deutschen Haushalte also 103.100 Euro und mehr. Das klingt im ersten Moment nach einer Menge Geld. Ist dem tatsächlich so?

Niehues: Ob 100.000 Euro viel oder wenig sind, ist schwer zu beurteilen. Im internationalen Vergleich fällt das Medianvermögen in Deutschland typischerweise eher gering aus.

SPIEGEL: Woran liegt das?

Niehues: In Deutschland ist die Eigentumsquote bei Immobilien vergleichsweise niedrig. Aktuell liegt sie in den Befragungsdaten der Deutschen Bundesbank bei 42 Prozent. Unsere Analysen zeigen, dass das Vermögen insbesondere dann höher ist, wenn die Haushalte über Wohneigentum verfügen. Außerdem muss man berücksichtigen, dass Menschen in Befragungen typischerweise dazu tendieren, ihr Vermögen eher zu unterschätzen.

SPIEGEL: Warum?

Niehues: Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze: Möglicherweise sind den Menschen die aktuellen Marktwerte nicht bewusst. Wer beispielsweise nicht vor Kurzem sein Haus gekauft hat oder einen Verkauf diskutiert, hat vielleicht eine andere Wertvorstellung davon. Gleichzeitig werden manchmal nicht alle Vermögenskomponenten berücksichtigt. Vielleicht hat ein Haushalt nicht im Hinterkopf, dass er zum Beispiel in der betrieblichen Altersvorsorge eine private Lebensversicherung hat.

 »Es ist schwer aufzulösen, welcher Anteil auf den Spareffekt zurückgeht«

Goldbarren im Schließfach: »Es ist schwer aufzulösen, welcher Anteil auf den Spareffekt zurückgeht«

Foto: Frank Hoermann / Sven Simon / IMAGO

SPIEGEL: Welche Vermögenswerte sind in Ihre Berechnung eingeflossen?

Niehues: Wir fokussieren auf das Nettovermögen, das heißt sämtliches Bruttovermögen eines Haushalts, abzüglich der Verbindlichkeiten. Zum Bruttovermögen gehören selbst und fremd genutztes Immobilienvermögen, Finanzvermögen – also quasi das, was auf dem Sparbuch liegt, aber auch Aktien und Fonds, Bausparvermögen, Guthaben in privaten Rentenversicherungen. Weiterhin werden auch Wertgegenstände und der Wert von Fahrzeugen erfasst und es wird erhoben, ob der Haushalt über Betriebsvermögen verfügt. Auf der Schuldenseite werden Hypotheken und Konsumentenkredite abgezogen.

SPIEGEL: Dazu ein Beispiel zum Durchrechnen: Eine junge Familie hat ein Haus für 300.000 Euro gekauft. Als Eigenkapital bringt sie 50.000 Euro in die Finanzierung ein, der Rest muss über Kredite abbezahlt werden. Wie hoch würde das fiktive Vermögen ausfallen?

Niehues: In die Berechnung wäre diese Familie mit einem Nettovermögen von 50.000 Euro eingegangen, wenn sie ansonsten über keine weiteren Vermögenswerte verfügt. An dem Beispiel sieht man, dass der Einfluss von Wohnkrediten in jüngeren Altersgruppen tendenziell höher ist. Über den weiteren Lebensverlauf, wenn die Kredite abbezahlt werden, nimmt er dann zumeist ab und das Nettovermögen wächst.

SPIEGEL: Haben Sie innerhalb Deutschlands regionale Unterschiede ausmachen können?

Niehues: Das Medianvermögen in Ostdeutschland liegt unter 40.000 Euro. Damit fällt es deutlich niedriger aus als in Westdeutschland, wo es bei rund 143.000 Euro liegt. Die Region Süddeutschland, also Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, weist mit knapp 190.000 Euro das höchste Medianvermögen auf. Im Norden der Bundesrepublik sind es immerhin rund 129.000 Euro.

SPIEGEL: Auch mit Blick auf die Generationen zeigt sich in Deutschland ein großes Gefälle. Während bei U35-Jährigen das Medianvermögen bei 17.300 Euro liegt, sind es bei den 55- bis 64-Jährigen 241.100 Euro. Liegt das allein daran, dass die ältere Generation mehr Zeit zum Sparen hatte?

Niehues: In unserer Querschnittsbetrachtung ist es schwer aufzulösen, welcher Anteil auf den Spareffekt zurückgeht. In jungen Jahren wenig Vermögen zu besitzen, ist nichts Ungewöhnliches. Außerdem gibt es in der jüngeren Altersgruppe mehr alleinstehende Haushalte, die tendenziell ein geringeres Vermögen haben.

SPIEGEL: Was können junge Menschen tun, um auf der Vermögensleiter aufzusteigen?

Niehues: Bei einem Vermögen von rund 17.000 Euro scheint das Ziel von beispielsweise 100.000 Euro natürlich erst einmal schwer erreichbar. Unsere Beobachtungen zeigen aber, dass es über den weiteren Lebensverlauf vielen gelingt, substanzielle Vermögen aufzubauen. Da wir das Vermögen auf Haushaltsebene betrachten, kommt es häufig bereits zu einem Vermögensaufstieg, wenn sich zwei Single-Haushalte zu einem gemeinsamen zusammenschießen. Bei Paaren ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie Wohneigentum erwerben.

SPIEGEL: Kommt Zeit, kommt Reichtum?

Niehues: Ganz so ist es nicht. Unsere Untersuchung zeigt, dass in der jüngeren Altersgruppe das Vermögen sehr ungleich verteilt ist. Es gibt einige Haushalte mit recht hohen Vermögen und viele mit eher geringem. Dadurch herrscht eine recht große Ungleichheit im Vergleich zu anderen Altersgruppen.

»Wahrscheinlich würden viele von Reichtum erst ab deutlich höheren Vermögen sprechen.«

SPIEGEL: Woran liegt das?

Niehues: Viele der jungen Haushalte mit sehr hohen Vermögen haben bereits von einer größeren Erbschaft oder Schenkung profitiert. Einige haben wiederum etwa eine erfolgreiche Betriebsgründung hinter sich.

SPIEGEL: Die wohlhabendsten zehn Prozent besitzen in Deutschland 777.200 Euro und mehr. Beendet Reichtum automatisch die Geldsorgen?

Niehues: Das, was wir beschreiben, ist ja nur die Grenze zu den oberen zehn Prozent. Wahrscheinlich würden viele erst ab deutlich höheren Vermögen von Reichtum sprechen. Beispielsweise dann, wenn man über so viel Vermögen verfügt, dass man nicht mehr arbeiten müsste, um zu leben. Ob das die finanziellen Sorgen beendet? Wenn man diese finanziellen Rücklagen hat, dann kann das sicherlich helfen, ja.

SPIEGEL: Die von Ihnen ausgewerteten Daten beziehen sich auf 2023. Gibt es einen Trend, der sich bei der Entwicklung der privaten Vermögen der Deutschen abzeichnet?

Niehues: Es ist natürlich immer schwierig, Prognosen zu wagen. Die Daten zeigen jedoch, dass die Vermögen häufig steigen, wenn die Realeinkommen zulegen. 2024 war ein Jahr, in dem wir eine merkliche Reallohnsteigerung gesehen haben. Wenn die Haushalte mehr Einkommensspielraum haben, hilft das dem Vermögensaufbau. Auch die Inflation ist 2024 zurückgegangen. Es könnte gut sein, dass die Vermögen dementsprechend zulegen.

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