Vater-Sohn-Rituale: Sonntagvormittags in unserer »Man Cave« mit der Switch

vor 13 Stunden 1

Mein Sohn wird alt. Das klingt komisch, kurz vor seinem achten Geburtstag, aber es ist wohl so. Zumindest, wenn man dem Psychotherapeuten und Psychoanalytiker Alexander Cherdron glaubt. Cherdron hat meiner Kollegin Heike Le Ker ein Interview gegeben, in dem es darum ging, wie Vater-Sohn-Beziehungen gelingen. (Hier finden Sie es .)

Ich habe es sehr gern gelesen, mich an manchen Stellen wiedererkannt und gefreut, an anderen ertappt gefühlt und an einigen auch geschluckt. Ich mag zum Beispiel den Gedanken, dass ich als Vater »der entwicklungsfördernde Störenfried der Mutter-Kind-Beziehung« bin und die Aufgabe habe, »das Kind etwas aus der mütterlichen Symbiose herauszulocken«.

Cherdron führt auch aus, was er damit meint: »Während Mütter oft vorhersehbar und sogar beruhigend mit ihren Kindern spielen, agieren Väter eher aufregend und disruptiv, häufig mit viel Körpereinsatz und Raufen. Die Kinder sausen auf den Armen durch die Luft, werden hochgeworfen und scheinbar auf den Boden fallen gelassen.«

Als ich das gelesen habe, musste ich an Videos denken, auf denen ich meinen Sohn als Baby wie Superman durch unsere Wohnung fliegen lasse oder auf denen er – als nicht ganz Dreijähriger – von meinen Schultern aufs Sofa springt.

 Pilze, Schildkrötenpanzer und Traumpässe

Gemeinsames Videospiel: Pilze, Schildkrötenpanzer und Traumpässe

Foto: Georgijevic / Getty Images

Und wie komme ich jetzt darauf, dass mein Sohn alt ist? Cherdron gibt Vätern zum Schluss den Tipp, dass sie gemeinsame Rituale mit ihren Söhnen entwickeln und pflegen sollen: »Im Kleinkindalter sind es Klassiker wie gemeinsam eine Serie schauen, Geschichten vorlesen, zusammen essen, Spieleabende. Mit älteren Kindern können Sie ins Kino oder ins Café gehen, eine Ausstellung besuchen oder Videospiele spielen.«

Da wurde mir bewusst: Mein Sohn zählt inzwischen offenbar zu den »älteren Kindern«. Denn zu unseren Ritualen gehört neben gemeinsamem Lesen, Essen und Besuchen im Fußballstadion inzwischen auch das Spielen von Videospielen. Sonntagvormittags ziehen wir uns für eine Stunde in unseren »Man Cave« im Keller zurück, machen die Playstation oder Switch an und zocken. Mal Fifa, das inzwischen FC heißt, mal irgendwas aus dem ständig wachsenden Super-Mario-Kanon.

Dann schnappen wir uns zusammen Pilze, die uns groß und stark machen, und springen Schildkröten auf den Kopf. Oder wir werfen Bananenschalen hinter uns in der Hoffnung, dass der andere mit seinem Rennauto darauf ausrutschen möge. Oder wir spielen uns gegenseitig Traumpässe in den Fuß und klatschen uns nach Schüssen in den Winkel ab.

Ich habe so viel Spaß daran, dass ich mich heimlich auf Zeiten freue, in denen wir seine Bildschirmzeit weniger limitieren. Vor meinem inneren Auge sehe ich uns, wie wir uns gemeinsam an Wochenenden ganze Nächte um die Ohren schlagen, um ein Level nach dem anderen zu meistern oder eine ganze Bundesligasaison durchzuspielen.

Natürlich könnten wir das auch jetzt schon machen. Unser Sohn hat gleichaltrige Freunde, deren Eltern in Sachen Mediennutzung weit weniger strikt sind als wir. Aber wir bleiben bei der einen Stunde am Wochenende. Zum einen, weil es ein Ritual ist, von dem ich dank Alexander Cherdron weiß, wie wichtig sie sind. Zum anderen aber auch, weil es dazu führt, dass sich unser Sohn freiwillig und proaktiv mit seinen Freunden verabredet, um bei und mit ihnen vor der Konsole zu sitzen.

Das ist für mich vollkommen okay, weil es unserem gemeinsamen Videospielritual nicht den Reiz nimmt. Im Gegenteil: Ich profitiere sogar davon, weil er immer besser wird und mir zeigen kann, was wir bei Super Mario in welchem Level machen müssen. Bowser kann einpacken.

Haben Sie Rituale, mit denen Sie die Beziehung zu Ihren Kindern fördern? Oder erinnern Sie sich heute noch gern an gemeinsame Rituale mit Ihren Eltern aus Ihrer Kindheit? Schreiben Sie es mir gern an familiennewsletter@spiegel.de .

Meine Lesetipps

Wir haben uns in der Vergangenheit immer wieder mit der Kraft der Rituale in Familien auseinandergesetzt. Von meiner Kollegin Nathalie Klüver stammen diese Anleitung, wie Sie die richtigen Familienrituale finden , sowie die dazugehörigen Tipps, wie ein entspannter Feierabend mit Kindern gelingt . Beide Texte sind schon 2019 erstmals erschienen, aber natürlich auch heute noch hilfreich.

Im Jahr 2022 erschien eine Ausgabe von SPIEGEL Wissen zum Thema Eltern. Darin ging es unter anderem um Rituale, die Familien auch dann noch zusammenhalten, wenn die Kinder schon ausgezogen und in alle Welt verstreut sind. Hier finden Sie die Protokolle .

Schließlich möchte ich Ihnen noch einen aktuellen Text empfehlen, der ein anderes Thema behandelt, über das der Psychotherapeut Alexander Cherdron spricht: die Entfremdung zwischen Eltern und Kindern, wenn die Kinder älter werden. »Zwischen sechs und zwölf Jahren ist Papa der Größte«, sagt Cherdron. »Mit der Pubertät endet diese goldene Zeit allerdings jäh.«

Das war eine der Passagen, bei denen ich schlucken musste. Natürlich ist mir klar, dass die Beziehung zwischen meinem Sohn und mir nicht immer so sein wird wie jetzt. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber der Gedanke daran macht mir auch Angst. Sitze ich am Ende vielleicht doch irgendwann allein vor der Playstation, während mein Sohn nur noch mit anderen zockt?

Unsere Familienkolumnistin Fatma Mittler-Solak ist mit ihrem Sohn gerade in dieser Phase und hat diesen ebenso schönen wie klugen Text darüber geschrieben . »Ich lerne in diesen Tagen, mich von der putzigen, tollpatschigen Raupe zu verabschieden«, schreibt Fatma. »Ich warte geduldig auf den blauen Himmelsfalter in ihm.«

Das jüngste Gericht

Und was gibt es heute zu essen? Da ich viel über Rituale geschrieben habe, könnte die Antwort lauten: gebratene Nudeln. Die gibt es nämlich fast ritualisiert in schöner Regelmäßigkeit. Aber einfach nur Nudeln zu kochen und sie anschließend in der Pfanne zu braten, ist mir heute zu langweilig. Deswegen machen wir das mal anders und bedienen uns dafür eines Rezepts des Kollegen Sebastian Maas.

Seine Spaghetti all’assassina sind »ein sehr einfach gemachtes und günstiges Nudelgericht mit vieeeel Geschmack«, wie er schreibt. Klingt gut. Hier finden Sie das Rezept. Guten Appetit!

Mein Buchtipp

Vor langer Zeit habe ich mal eine Geschichte geschrieben, die den Titel trug »Der Fremde und der Einsame«. Ich hatte sie fast vergessen, musste jetzt aber wieder daran denken, als mir das Buch »Lahme Ente, blindes Huhn« von Ulrich Hub in die Hände fiel. Darin geht es, wie in meiner Erzählung, um zwei ungleiche Charaktere, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit zusammenfinden und irgendwann feststellen, dass sie sich gut ergänzen.

Ich habe meine Geschichte nie veröffentlicht. Letztlich war sie auf eine Schlusspointe hingeschrieben, von der ich dann nicht mehr überzeugt war, dass sie den gesamten Text trägt. Ulrich Hub hat ein ähnliches Problem, sich aber offensichtlich nicht daran gestört. Und das ist gut, denn die teils etwas überdrehten Dialoge enthalten eine Reihe schöner Gedanken.

Etwa, als das blinde Huhn der lahmen Ente seinen geheimen Wunsch verraten möchte.

»Die Mühe kannst du dir sparen«, erwidert die Ente. »Ich weiß sowieso schon, was du dir wünschst. Du willst wieder sehen können.«

»Falsch!«, triumphiert das Huhn. »Wenn ich sehen könnte, wäre ich bloß wie alle Hühner. Aber ich bin etwas ganz Besonderes. Deshalb ist mein geheimer Wunsch auch ganz besonders.«

Und wenn Sie jetzt wissen wollen, um welchen besonderen Wunsch es sich handelt, müssen Sie das Buch lesen.

Mein Moment

Als ich in meinem letzten Newsletter schrieb, dass mein Sohn beim Fußballspielen zu harscher Selbstkritik neigt, die ich nicht nachvollziehen kann, bekam ich eine Reihe von Zuschriften mit klugen Ratschlägen. Mehrfach wurde angemerkt, dass bei einer nicht verwerteten Torchance beim Fußball die Formulierung »Macht nichts. Der nächste ist wieder drin« impliziert, dass ich erwarte, dass Schüsse ins Tor gehen und damit unbewusst Druck ausübe.

Einige Leserinnen und Leser schrieben, am besten sollte ich die Leistung meines Sohns gar nicht bewerten. Also weder gelungene Aktionen feiern noch weniger gelungene irgendwie kommentieren.

Andere meinten, ich solle mir keine Gedanken machen, das Verhalten meines Sohns sei normal und werde sich schon »zurecht ruckeln«. Eine Entwicklungspsychologin schrieb: »In Ruhe lassen hilft am besten.«

Und ein Leser, der offenbar denselben Gedanken hatte, formulierte etwas ausführlicher:

»Lasst die Kinder machen. Sie suchen ihren Weg, für sich am besten durchs Leben zu kommen. Alles Übertriebene ist nicht gesund und sollte weniger Aufmerksamkeit bekommen, dann verschwindet es von selbst. Lasst die Kinder machen, gebt ihnen mehr Vertrauen. Fast alle sind ganz normal und finden ihren eigenen Weg in der Familie und unter ihren Freunden, wenn sie denn sicher sein können, zu Hause unbedingt geliebt zu werden.«

Herzlich,
Ihr Malte Müller-Michaelis

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