Die Reaktion des Bundeskanzlers lässt vermuten, dass seine Außenministerin einen Wirkungstreffer gelandet hat. „Für mich heißt verantwortungsvolle Politik, eben nicht das Fähnchen in den Wind zu hängen und das in Wahlkämpfen vielleicht noch mal andersrum aufzuhängen“, hat Annalena Baerbock – offenkundig gemünzt auf Olaf Scholz – dem Nachrichtenportal Politico zum Streit über drei zusätzliche Milliarden Euro für die Ukraine gesagt. Darauf nach einem Treffen mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson angesprochen, schlägt Scholz zurück: „Wer da so sein Fähnchen in den Wind hängt, will ich einmal undiskutiert lassen.“
Der Streit, ob und wie der Ukraine in ihrer dramatischen Lage mehr geholfen werden kann, verschärft sich im deutschen Wahlkampf zusehends, wobei sich ein ungewöhnliches Bündnis aus Union, Grünen und FDP einig ist. Alle gegen Scholz.
Der Kanzler verweist auf eine „unfinanzierte Haushaltslücke“
Wobei dem Kanzler das nicht ungelegen zu kommen scheint. Während der Pressekonferenz mit seinem schwedischen Gast nimmt er sich acht Minuten, um seine Position klarzustellen. Seinen Kritikern wirft er dabei vor, es mit den Fakten nicht so genau zu nehmen. Er werbe „sehr dafür, dass die Wahrheit in öffentlichen Reden eine Rolle spielt“.
Diese freilich wird sehr unterschiedlich interpretiert. Im Kern geht es um die Frage, wie der Betrag von drei Milliarden Euro aufgebracht werden kann. Aus Sicht von Union, Grünen und FDP wäre das ohne neue Kreditaufnahme möglich. „Die Bundesregierung kann ohne Weiteres nach der Bundeshaushaltsordnung eine außerplanmäßige Ausgabe beschließen, kann sie vollziehen und dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages davon Kenntnis geben. Das ist der Weg“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz dem Portal t-online.
Scholz bestreitet das vehement und verweist auf eine „unfinanzierte Haushaltslücke in Höhe von 25 Milliarden, 26 Milliarden Euro“. Gehe man davon aus, dass zehn Milliarden Euro von diesem Betrag nicht benötigt würden, bleibe eine Summe „von 15 Milliarden, plus-minus, für die es keine Einnahmen gibt“. Deshalb sei sein Vorschlag im November der von der FDP abgelehnte Überschreitungsbeschluss im Rahmen der Regeln der Schuldenbremse gewesen, der neue Schulden in Höhe von 15,5 Milliarden Euro ermöglicht hätte, darunter drei Milliarden Euro für die Ukraine. Weil das nicht gelungen sei, habe er die Koalition beendet. Ohne Kredite nämlich müsse das Geld anderswoher kommen – was Kürzungen bedeute.
Der ersehnte Aufwärtstrend in Umfragen ist für Scholz nicht in Sicht
Damit ist Scholz bei dem Thema, das er mit Blick auch auf den enormen Bedarf des Wehretats für das zentrale des Wahlkampfes hält. Ihm gehe es darum, dass „wir die Unterstützung für die Ukraine, für die Flüchtlinge, für die Waffenhilfe, für die Unterstützung im Land nicht durch eine Rentenkürzung finanzieren müssen, nicht durch eine Kürzung der Zuweisung an die Kommunen finanzieren müssen, nicht durch eine Reduzierung unserer Investitionen in Straßen, Bahnen und andere Dinge“.
Nach Auslaufen des kreditfinanzierten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens werde überdies der Verteidigungshaushalt von 50 Milliarden Euro auf 80 Milliarden Euro ansteigen müssen, um weiterhin die Nato-Quote zu erfüllen. Diese verlangt derzeit von den Mitgliedstaaten, zwei Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung auszugeben, um sich gegen das aggressive Russland zu wappnen. „Das sind 30 Milliarden Euro, für die noch niemand gesagt hat, wie er das finanzieren will – ich schon“, behauptet Scholz.
Von Anfang an war es die Absicht des SPD-Kanzlerkandidaten, den Wahlkampf zuzuspitzen auf die Frage, wer die Kosten der neuen Bedrohungslage trägt. Das hat bisher kaum funktioniert; der ersehnte Aufwärtstrend in den Umfragen ist bislang nicht in Sicht. Scholz bleibt in der Frage dennoch beharrlich, wenngleich ihm von der Konkurrenz Wahlkampf auf dem Rücken der Ukrainer vorgeworfen wird. Scholz selbst kontert das mit dem Angebot eines Überschreitungsbeschlusses. Das wiederum bezeichnet Unionskanzlerkandidat Merz als „Falle“.
Verteidigungsminister Boris Pistorius tut derweil fast so, als gäbe es keinen Wahlkampf. „Wenn alle bereit sind, drei Milliarden für die Ukraine zur Verfügung zu stellen, dann wird es auch einen Weg geben. Das ist meine Haltung als zuständiger Fachminister“, sagte der SPD-Politiker der Süddeutschen Zeitung. Er teile allerdings „die Einschätzung des Kanzlers, dass die Finanzierung nicht zulasten von Sozialausgaben gehen darf, weil das ein falsches Signal in die Gesellschaft wäre“. Wichtig, das betont Pistorius, wäre das Geld für die Ukraine. Das Land leide immer noch darunter, dass monatelang US-Hilfe vom Kongress blockiert worden sei. Dadurch seien im Verteidigungskampf Lücken entstanden, „die durch die zeitliche Verzögerung größer werden und dann umso schwerer zu füllen sind“.