Touristenführerin in Rom: Sie muss die Geschichte kennen – und Menschen mögen

vor 2 Tage 4

Manchmal ist es gar nicht so leicht, den Leuten das alte Rom zu erklären. Zum Beispiel die Trajanssäule: Die gut 35 Meter hohe Säule zeigt rund 155 Schlachtszenen aus den Kriegen, die Kaiser Trajan vor gut 1900 Jahren für das Römische Reich geführt hat.

Man sieht Soldaten mit Schild und Schwert sowie Katapulte, mit denen sie ihre Feinde beschossen. Etwa 60-mal ist auf dem spiralförmigen Relief der Kaiser selbst zu erkennen – mal leitet er einen Kriegsrat, mal kümmert er sich um Verwundete, mal überquert er die Donau auf einer von seinen Legionären gebauten Brücke.

Aber wie erklärt man das amerikanischen Touristen, die noch nie von Trajan gehört haben und fast nichts vom Kaiserreich wissen?

»Heute würde Trajan das alles eher auf Instagram oder TikTok posten«, sagt Eleonora Maiani, 46. »Aber zum Glück ging das damals noch nicht. Deshalb hat man Kunst aus Marmor gemacht.«

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Lorie und Jay betrachten die Säule und die umliegenden Ruinen. So etwas haben sie in ihrer Heimat, einem kleinen, zwei Stunden von Chicago entfernt liegenden Ort, noch nicht gesehen. »Ist das alles original?«, fragt Jay immer wieder erstaunt.

Es ist ein sonniger Vormittag im Zentrum der italienischen Hauptstadt. Eleonora Maiani spaziert mit dem amerikanischen Ehepaar über das Forum Romanum. Sie zeigt die Kurie, wo der Senat einst seine Entscheidungen fällte, und die Tempelruine, in der die Leiche von Julius Caesar verbrannt wurde. Für ihre beiden Besucher ist es Urlaub – für Eleonora ist es ihr Beruf.

Als Touristenführerin ist sie fast täglich in der Stadt unterwegs. Aber jeder Tag ist anders. Manche ihrer Kunden und Kundinnen wollen das antike Rom und die Welt der Gladiatoren erkunden, andere den Petersdom und die Geschichte der Päpste im Vatikan. Es gibt Urlauber, die sich vor allem für das Wirken des Malers Caravaggio in Rom interessieren oder für mittelalterliche Mosaiken. Oder für die besten Eisdielen der Stadt.

Heute würde man alles »auf Instagram oder TikTok posten«, sagt Eleonora Maiani. »Damals ging das noch nicht. Deshalb hat man Kunst aus Marmor gemacht.«

Heute würde man alles »auf Instagram oder TikTok posten«, sagt Eleonora Maiani. »Damals ging das noch nicht. Deshalb hat man Kunst aus Marmor gemacht.«

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Wenn sie nicht Privatkunden wie Lorie und Jay betreut, kümmert sie sich um größere Besuchergruppen mit manchmal 30 oder 35 Menschen. Es sind Kinder mit ihren Eltern dabei, Rentner, Leute aus Europa oder dem Rest der Welt. Manche bringen kaum Vorwissen mit, andere haben die römische Geschichte studiert und können die lateinischen Inschriften verstehen.

»Kinder stellen immer die besten und intelligentesten Fragen«, sagt Eleonora, »sie halten ihre Augen auf und schauen genauer hin. Mit ihnen arbeite ich besonders gerne«. Und die Erwachsenen? »Die sind auch nett«, sagt die Römerin und lacht. »Aber manche wollen oft nur mit ihrer Bildung angeben und vorführen, dass sie angeblich alles besser wissen.«

Als Mädchen wuchs sie in der Nähe der Aquädukte auf, also der antiken Wasserleitungen, die in den Vororten der Stadt gut erhalten sind. »Wir haben zwischen den Ruinen gespielt, für uns war das völlig normal«, sagt sie. »Ich habe mich in Geschichte und Kunst verliebt.«

Später hat sie dann an der Universität Archäologie studiert. Für Ausgrabungen hat sie auf Korsika und in Bulgarien gearbeitet, wo sie mit anderen die Reste eines mittelalter­lichen Klosters freilegte.

Was ist das Schönste an dem Beruf?

»Es wird niemals langweilig. Man trifft ständig Leute aus anderen Kulturen. Das öffnet mir die Augen für andere Welten. Und ich kann durch die Augen der Besucher meine Liebe für Kunst und Geschichte ausleben.«

Und was ist das Schlimmste?

»Es kann passieren, dass einem Touristen bei einer Tour schlecht wird, dass jemand fällt oder sogar verloren geht. Dann muss ich schnell reagieren. Oder Taschen­diebe schlagen zu – und klauen meinen Kunden den Pass oder das Portemonnaie.«

Wie viele Touristenführerinnen und Touristenführer gibt es in Rom?

»Ich glaube, es sind 3000 oder 4000. Auf jeden Fall sind es zu wenig.« (Genaue Zahlen gibt es weder in Deutschland noch in Italien.)

Wie lange dauert die Ausbildung?

In Deutschland ist der Beruf der Touristenführerin nicht geregelt. Im Prinzip kann es jeder ohne Ausbildung machen. In Italien muss man eine staatliche Lizenz erwerben.

Wie viel verdient man?

In Deutschland: 30.000 bis 40.000 Euro im Jahr. »Am Ende hängt es von jedem selbst ab. Wer gut ist, hat viele Kunden und kann anständig verdienen«, sagt Eleonora.

Was muss man können?

»Man muss bestens über Geschichte und Kunst des Ortes informiert sein, an dem man arbeitet. Und man muss lokale Traditionen kennen, Folklore, Essgewohnheiten, Anek­doten – also alles, was den Be­suchern einen lebendigen Eindruck von der Stadt vermittelt.«

Für wen ist das nichts?

»Wer nicht neugierig und ungeduldig ist, ist da am falschen Platz.«

Irgendwann zog es sie zurück nach Rom, wo sie den Beruf der Touristenführerin für sich entdeckte. »In diesem Job bleibt man immer im Kontakt mit Kunst, Geschichte, Theologie«, sagt Eleonora. »Und man trifft ständig neue Leute aus aller Welt. Das gefällt mir am meisten.«

Mit drei Freundinnen hat sie eine Agentur gegründet. Sie bieten verschiedene Touren an. Wer will, kann bei ihnen sogar eine Vespa-Tour durch die Stadt buchen. Sie sind selbstständig und können sich ihre Jobs frei einteilen. »Wir arbeiten, wann wir wollen«, sagt Eleonora.

Fast alle Touristen wollen das Kolosseum besuchen.

Fast alle Touristen wollen das Kolosseum besuchen.

Foto: Camillo Pasquarelli / DEIN SPIEGEL
Auf der Spanischen Treppe ist der Andrang groß. »Man trifft Leute aus aller Welt«, erzählt Eleonora Maiani.

Auf der Spanischen Treppe ist der Andrang groß. »Man trifft Leute aus aller Welt«, erzählt Eleonora Maiani.

Foto: Camillo Pasquarelli / DEIN SPIEGEL

Eine Standard-Ausbildung für ihren Beruf gibt es nicht. Allerdings musste sie beim italienischen Staat eine Lizenz erwerben, bevor sie mit ihrer Arbeit beginnen konnte. Viele Touristenführer haben ein Universitäts­studium abgeschlossen, erforderlich ist das aber nicht. In mündlichen Prüfungen müssen sie jedoch ihre historischen Kenntnisse nachweisen. Manche studieren Kunstgeschichte, andere Altertumswissenschaften oder Archäologie wie Eleonora.

Sie müssen immer eine Fahne in die Luft halten?

Stimmt: »Das ist richtig. Sobald es mehr als sieben oder acht Leute sind, geht es nicht ohne. Sonst verlieren wir unsere Leute.«

Touristenführer ziehen immer die gleiche Show ab und erzählen allen das Gleiche.

Stimmt nicht: »Ich versuche, den Besuchern Dinge zu zeigen, die sie sonst nicht zu sehen bekommen. Oder sie zum Beispiel das Kolosseum auf eine ganz besondere Art erleben zu lassen.«

Touristenführer haben keine Ahnung, wovon sie sprechen. Sie haben nur ein ganz oberflächliches Wissen.

Stimmt nicht: »Im Gegenteil. Viele von uns haben studiert, manche sogar promoviert.«

Bei ihrer Tour mit Lorie und Jay aus den USA ist sie am Ende des Forums beim Höhepunkt angelangt: dem Kolosseum. »Es wurde in nur acht Jahren gebaut«, erzählt sie. Und ja: »Es ist alles original.«

Oben in den Besucherrängen führt sie die beiden Amerikaner zu Graffiti, die Menschen vor fast 2000 Jahren mühevoll in den Stein geritzt haben. Es ist zu sehen, wie ein Gladiator einen Bären bekämpft. Ein anderes Graffito zeigt ein kleines Kind an der Hand seines Vaters. »Sieht aus wie ein antikes Selfie«, sagt Eleonora.

Dieser Artikel erschien im DEIN-SPIEGEL-Sommerheft 2025.

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