Erst zwölf getötete, hernach vor aller Zoobesucheraugen an Löwen, Tiger, Mähnenwölfe verfütterte Paviane in Nürnberg, dann das: Im dänischen Aalborg ermuntert der Zoo zur „Spende“ altersmüder Meerschweinchen, Kaninchen, Hühner, Pferde. Formuliert ist die Nahrungsbeschaffungsmaßnahme als freundliches Entgegenkommen in Form einer fachgerechten Einschläferung.
Aufregung im Netz, Morddrohungen für den Zoodirektor in Nürnberg. Der Verdacht kommt auf, dass die Empörung so groß ist, weil solch unsentimentale Offenheit zum einen den irrationalen Umgang mit Tieren im Rest der Gesellschaft entlarvt. Getötet, gegessen und gefressen wird, bitte schön, nur, wer durch semantische Herabstufung als „Nutztier“ und weitgehende Unsichtbarkeit zu Lebzeiten aus der Sphäre „fühlender Wesen“ (das Tierschutzgesetz über Wirbeltiere) und der mit ihr verbundenen Empathie erfolgreich exkludiert wurde. Logisch begründen lässt sich das nicht, die kognitiven Fähigkeiten von Schweinen entsprechen denen mancher Primaten.
Die neue Strategie: „breed and feed“
Zum anderen wird womöglich verübelt, dass sich die Wand hinter der Kulisse einen Spaltbreit geöffnet und den Blick freigegeben hat auf die komplizierte und auch problematische Wirklichkeit von Einrichtungen, die auf ein paar Hektar Tierarten versammeln, die eigentlich Tausende Kilometer entfernt zu Hause sind. Der Schock ist umso größer, als Zooarchitektur zunehmend die Illusion eines paradiesischen Miteinanders transportiert. In großzügigen Gehegen scheinen die Grenzen zwischen Mensch und Tier sowie zwischen einzelnen Tierarten aufgehoben; man meint, inmitten von Landschaften zu stehen, die Habitate auf anderen Kontinenten nachahmen.
Dass es die immer weniger gibt, führen Zoos zunehmend als Rechtfertigung ihrer Existenz an. Gesunde Populationen müssten zur Auswilderung in einer nicht näher bestimmten Zukunft bereitgehalten werden. Aus Zoosicht folgt daraus: Mal wird, wie 2014 in Kopenhagen, eine junge Giraffe erschossen, weil ihr Genmaterial schon vorhanden ist. Mal werden Paviane oder Vertreter anderer Arten getötet – und anschließend verfüttert –, weil der Platz begrenzt ist, Fortpflanzung aber Krankheiten bei weiblichen Tieren verhindert und zur Ausübung natürlichen Verhaltens zählt, das möglichst gewährt werden soll. Der Zoo Wuppertal informiert schon länger offen über diese Strategie des „breed and feed“.
Die neue Transparenz sollte nicht mit Empörung bestraft werden. Sondern Anlass sein, zu diskutieren, ob der Anspruch solcher Verfügungsgewalt über Lebewesen je sein Ziel erreicht und dem Artenschutz dient. Nur der Erhalt ganzer Ökosysteme wird die Biodiversität retten. Und nicht vermeintliche Arche Noahs für einzelne Arten in Nürnberg, Aalborg oder Wuppertal.