Tariftreue, Finanzpaket, Gewalthilfe: Bundesregierung bringt mehrere Gesetze auf den Weg – Umsetzung ungewiss

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Nach dem Ausscheiden der FDP aus der Koalition hat die Bundesregierung das umstrittene Tariftreuegesetz auf den Weg gebracht, für das vor der Bundestagswahl aber keine Mehrheit in Sicht ist. Das rot-grüne Minderheitskabinett habe den gemeinsamen Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beschlossen, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters von einem Regierungsvertreter.

Dem Reuters vorliegenden Entwurf zufolge sollen Unternehmen vom Bund oder von Bundesbehörden nur noch Aufträge bekommen, wenn sie Tariflöhne zahlen. Die Arbeitgeberlobby lehnt das Vorhaben kategorisch ab.

SPD und Grüne haben im Bundestag keine eigene Mehrheit. In der geplatzten Ampel-Koalition hatte FDP-Finanzminister Christian Lindner den bisherigen Entwurf blockiert. Daher sind die Aussichten gering, dass das Gesetz vor der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar noch verabschiedet wird. Auch der Bundesrat müsste zustimmen. Mit der Wahl verfällt der Entwurf.

Arbeitsminister Heil rief zur Unterstützung des Vorhabens auf. „Mit dem Tariftreuegesetz lösen wir ein gesellschaftliches Versprechen ein“, erklärte der SPD-Politiker. „Wer im Auftrag des Bundes arbeitet, soll auch ordentlich bezahlt werden.“ Er hoffe auf die Unterstützung aller Demokraten im Bundestag „bei diesem ökonomisch und gesellschaftlich wichtigen Vorhaben“.

In dem Entwurf wird argumentiert, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie werde gesichert, indem Tarifbindung geschützt und gefördert werde. „Die Nachteile tarifgebundener Unternehmen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes werden beseitigt“, heißt es darin. „Der Verdrängungswettbewerb über die Lohn- und Personalkosten wird eingeschränkt.“

Demnach sollen Unternehmen ihren Beschäftigten mindestens „tarifvertragliche Arbeitsbedingungen“ gewähren, wenn sie Aufträge des Bundes erhalten wollen. Dies soll bei Dienstleistungen ab einem Auftragsvolumen von 30.000 Euro und bei Bauaufträgen ab 50.000 Euro gelten.

Stimmt die FDP noch dem Finanzpaket zu?

Die Bundesregierung hat außerdem ein Maßnahmenbündel beschlossen, um den Finanzmarkt attraktiver für junge Unternehmen zu machen. Das Kabinett billigte dazu am Mittwoch Regierungskreisen zufolge das sogenannte Zweite Zukunftsfinanzierungsgesetz. „Die Zugangsbedingungen für Unternehmen zum Kapitalmarkt sollen weiter verbessert und ihnen dadurch die Finanzierung weiter erleichtert werden“, heißt es im Gesetzentwurf aus dem mittlerweile SPD-geführten Finanzministerium. Auch dabei ist aber fraglich, ob die rot-grüne Minderheitsregierung vor der Neuwahl Ende Februar dafür im Bundestag noch eine Mehrheit findet.

Der Entwurf wurde maßgeblich von Ex-Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner erarbeitet, weswegen die Liberalen geneigt sein könnten, das Vorhaben mitzutragen. Gegenüber dem Referentenentwurf aus dem Sommer gibt es keine wesentlichen Änderungen. Das Vorhaben ist eine der Maßnahmen aus der sogenannten Wachstumsinitiative der zerbrochenen Ampel-Regierung, mit der der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt werden sollte.

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Das Gesetz soll laut Finanzministerium insbesondere die steuerlichen Rahmenbedingungen für Investments in Wagniskapital verbessern. Außerdem sollen Hemmnisse für Investitionen in die Infrastruktur sowie erneuerbare Energien beseitigt werden. Vorgesehen sind auch Maßnahmen zur Entbürokratisierung im Finanzmarktbereich. Unter anderem soll eine Vielzahl an Prüf-, Melde- und Anzeigepflichten entfallen.

Englischsprachige Börsenprospekte sollen möglich werden. Davon verspricht sich das Ministerium einen leichteren Vertrieb von Wertpapieren in der EU. Im Finanzsektor wird zudem der Kündigungsschutz für Top-Verdiener gelockert. Um Börsengänge zu forcieren, sollen Wachstumsunternehmen die Möglichkeit bekommen, Aktien mit einem geringeren Nennwert als einem Euro auszugeben.

In der Reuters vorliegenden Kabinettsvorlage heißt es, das Gesetz würde insgesamt zu einer Entlastung der Wirtschaft von rund 45 Millionen Euro pro Jahr führen.

Bundeskabinett bringt Gewalthilfegesetz auf den Weg

Die Bundesregierung will überdies noch vor den Neuwahlen die künftige Finanzierung von Frauenhäusern in Deutschland neu regeln. Das Kabinett brachte am Mittwoch in Berlin den Entwurf von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) für ein Gewalthilfegesetz auf den Weg. Danach soll ein individueller Rechtsanspruch auf Beratung und Hilfe eingeführt werden. Von 2027 an will der Bund in die Finanzierung einsteigen.

Die Länder sollen verpflichtet werden, ein ausreichendes Angebot an Schutzplätzen und Beratungsstellen bereitzuhalten. Für die Frauen und andere Betroffene sollen die Leistungen kostenfrei sein. Heute finanzieren Länder und Kommunen die Hilfen, der Bund gibt nur Zuschüsse. In den meisten Bundesländern müssen Frauen für ihren Aufenthalt im Frauenhaus eine Zuzahlung leisten. Das Gesetz sieht außerdem mehr Prävention und Aufklärung vor.

Paus sagte im Anschluss: „Mit diesem Gesetz können wir die Gewalt bekämpfen.“ Es müsse nun zügig im Bundestag beraten werden. Die Grünen-Politikerin appellierte an die Parlamentarier, das Vorhaben zu unterstützen. Die Union müsste zustimmen, denn die rot-grüne Regierung hat nach dem Ampel-Aus keine eigene Mehrheit mehr.

Hilfsangebote und Zufluchtsstätten für Opfer männlicher und häuslicher Gewalt sind bundesweit unterfinanziert. Gemessen an Deutschlands Verpflichtungen aus internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen fehlen im ganzen Land tausende Schutzplätze. Frauenhäuser müssen Schutzsuchende abweisen, Beratungsstellen beklagen lange Wartezeiten.

Dem Bundeskriminalamt zufolge nimmt die Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu. Im vergangenen Jahr stiegen im Vergleich zu 2022 die registrierten Sexualstraftaten um 6,2 Prozent und Fälle häuslicher Gewalt um 5,6 Prozent. Die Behörden registrierten 938 Tötungsversuche, 360 Frauen wurden umgebracht. In Frauenhäusern und Schutzwohnungen suchten rund 14.200 Frauen mit 16.000 Kindern Zuflucht. (Reuters, epd)

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