Schriftsteller Stefan Zweig um 1930: Angewiderte Bewunderung
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Er weiß sich am stärksten am Schreibtisch, im verschlossenen Zimmer, im Schatten. Dort kann er gut spähen und forschen, beobachten und bereden, Fäden ziehen und sie wieder verwirren und selber undurchdringlich und unfaßbar bleiben. Das ist das letzte Machtgeheimnis Joseph Fouchés, daß er zwar immer die Macht will, ja sogar das Höchste an Macht, daß ihm aber, im Gegensatz zu den meisten, das Bewußtsein der Macht selbst genügt: er braucht nicht ihre Abzeichen und ihr Gewand. Fouché ist ehrgeizig im höchsten, im allerhöchsten Maße, aber nicht ruhmsüchtig; er ist ambitioniert, ohne eitel zu sein.
– Stefan Zweig, Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen
Im Juni 2024 gab der Politikberater Steve Bannon der »New York Times« ein bemerkenswertes Interview, in dem sich sehr viel darüber lernen ließ, wie Politik funktioniert; was Politik überhaupt ist.
Bannon, zur Erinnerung, ist ja ein durchaus zwielichtiger Charakter. Es war seine Idee, Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 als »korrupt« zu diffamieren, es war sein Vorschlag, im Kampf gegen die Medien »die Zone mit Scheiße zu fluten«.
2022 wurde Bannon wegen Missachtung des Kongresses zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Heute betreibt er den Podcast »Bannon’s War Room«, in dem er Impfgegner, Verschwörungsfreunde und randständige Republikaner begrüßt.
Im Interview mit der »New York Times« gab Bannon sich keinerlei Mühe, die Ziele der amerikanischen Rechten oder ihre Strategie zu verbergen; er verbreitete eine Siegesgewissheit, die sich offenbar der Erkenntnis verdankte, dass es keine politischen Gegner mehr gibt.
Die traditionelle Linke, sagte er, befinde sich in einem desolaten Zustand. Sie konzentriere sich immer nur auf noise, auf die Nebengeräusche, nie auf das signal, die Kernbotschaft. Außerdem verstünden die Linken nicht, dass die MAGA-Bewegung deutlich weiter nach rechts rücke als Donald Trump. Die Linke, so Bannon, werde mit Wehmut auf Trump zurückblicken und eines Tages fragen: Wo ist Trump, wenn man ihn braucht?
Bannons Leidenschaft gilt der Macht. Er sieht sich als Spin Doctor, als Techniker des politischen Handwerks: Immer geht es darum, wie man Macht erobert, wie man sie verteidigt. Und wie man die Kernbotschaft durch Nebengeräusche so überlagert, dass der Gegner nur undeutliche Signale empfängt.
Eine Reptiliennatur, in den Worten von Stefan Zweig, der 1929, im Jahr der Weltwirtschaftskrise, über Joseph Fouché schrieb, Revolutionär nach der Revolution und Polizeiminister unter Bonaparte. Ein Intrigant und Opportunist, ein »Nichtcharakter«; an allem beteiligt, über alles informiert, überall Einfluss nehmend, für nichts verantwortlich zu machen – der Untertitel von Zweigs Studie lautet: »Bildnis eines politischen Menschen«.
In der Politik, das ist bei Fouché nicht anders als bei Bannon, werden nicht Methoden bewertet, sondern Ergebnisse. Wer sich durchsetzt, hat recht. Es gehört Intelligenz, Tatkraft, moralische Beweglichkeit und Verschlagenheit dazu, stets rechtzeitig zu erahnen, wer am Ende erfolgreich sein wird.
Zweigs Prosastil, das lässt sich einwenden, wirkt mitunter ein wenig überheizt. Man meint zu sehen, wie die Scheiben seiner Schreibstube von innen beschlagen. Zweig, schrieb der Germanist Hans Mayer, »plustert die Einfälle auf, die er nicht hat«.
Hier, bei seiner Studie über Fouché, hat Zweig Einfälle, er nähert sich seinem Gegenstand mit angewiderter Bewunderung. Ein Ohr für Rhythmus, für Melodie hat er ohnehin. Anschaulich und elegant ist es, wie er vom Schreibtisch zum Schatten kommt, elegant und anschaulich ist es, wie er die fassbaren Fäden gegen den setzt, der sie zieht und dabei unfassbar bleibt. Viermal das Wort »Macht«, drei schöne Gegensätze dazu: das Gewand der Macht gegen das Bewusstsein der Macht, Ehrgeiz gegen Ruhmsucht, Ambition gegen bloße Eitelkeit.
Fouché ist ein Schattenmann, ein virtuoser Spieler auf der Hinterbühne: bekannt mit allen, befreundet mit niemandem, gefürchtet von den meisten. Kälte gehört zu diesem Spiel und die Kunst der Antizipation, es geht ja vor allem darum, die Schwächen der anderen gewinnbringend einzusetzen.
Denn es gibt ja immer und überall jene, die, beispielsweise, einen Friedenspreis entgegennehmen wollen, und die anderen, die einen solchen Preis verleihen. Es gibt die, die sich über ein Zertifikat freuen – und jene, die auf diese Freude spekulieren.
Manchmal, schreibt Zweig über Fouché, »tritt die Gelegenheit und damit die Versuchung an ihn heran, selbst die Hauptrolle, die Titelrolle im Weltspiel zu übernehmen. Aber er ist zu klug, sie ernstlich zu begehren.«
Ob er den Wunsch habe, selbst eine Rolle zu übernehmen, wollte die »New York Times« von Steve Bannon wissen, in dem wirklich bemerkenswerten Interview aus dem Juni 2024.
Bannons Antwort: »Nein, nein, nein, nein. Wir führen das hier wie eine militärische Kommandozentrale. Ich würde also nur Macht abgeben.«

vor 2 Stunden
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