Seekabel: EU warnt vor Abhängigkeit von US-Hyperscalern

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Vorfälle in der Ostsee haben die Verantwortlichen wachgerüttelt. Wie anfällig ist Europas Anbindung über Seekabel an den Rest der Welt? Dieser Frage ging eine EU-Expertengruppe für Unterseekabel-Infrastrukturen nach. Der jetzt, im Oktober 2025, vorgelegte Bericht zeigt neben verschiedenen Risiken des Lahmlegens der Kabel und den Hürden bei der Reparatur noch etwas weiteres auf: wie stark Europa in Wirklichkeit von US-Technologiekonzernen abhängig ist.

US-Hyperscaler kontrollieren demnach bereits 90 Prozent der Kapazität auf der transatlantischen Route und bauen ihre Dominanz auch auf anderen Strecken kontinuierlich aus. "Der Anteil traditioneller Telekommunikationsunternehmen in der EU ist in den letzten zehn Jahren rapide gesunken, während US-Hyperscaler ihre Präsenz stetig ausbauen", heißt es in dem 38-seitigen Dokument, das auf Initiative der EU-Kommission erstellt wurde. Die vier größten Player – Google, Meta, Microsoft und Amazon – machten 2024 bereits 71 Prozent der genutzten internationalen Kapazität aus, verglichen mit nur 10 Prozent im Jahr 2014.

Die Verschiebung der Machtverhältnisse hat einen simplen Grund: Die Hyperscaler benötigen enorme Bandbreiten, um ihre Cloud-Regionen auf verschiedenen Kontinenten zu verbinden. Europäische Telekommunikationsanbieter können mit diesen Investitionen nicht mithalten – auch weil Europa keinen eigenen "Hyperscaler" besitzt und das Verkehrsaufkommen traditioneller Betreiber solche Ausgaben nicht rechtfertigt.

"Der Mangel an europäischen Investitionen in interkontinentale Unterseekabel bedeutet, dass EU-Mitgliedstaaten bei ihrem Kapazitätsbedarf auf manchen Routen erheblich auf von Nicht-EU-Akteuren verlegte Kabel angewiesen sind", warnt der Bericht.

Noch gravierender sind die Abhängigkeiten in der Lieferkette. Während Europa mit Alcatel Submarine Networks (ASN) aus Frankreich über einen der drei führenden globalen Anbieter für Unterseekabel verfügt, fehlen Kapazitäten bei kritischen Komponenten. Optische Fasern für Langstrecken-Unterseekabel werden ausschließlich von US-Firmen (Corning, OFS) und japanischen Unternehmen (Sumitomo Electric) hergestellt. Optische Pumpen für Repeater stammen nur von US-Herstellern. Und bei Mikrochips für Transponder dominieren taiwanische und südkoreanische Anbieter, namentlich TSMC und Samsung.

Bei der Bewertung der Bedrohungsakteure wird der Bericht auch konkret. Russland habe seine Unterwasser-Militärübungen in Tiefen von über 6000 Metern intensiviert, NATO-Kommandeure berichteten 2023 von verdächtigen russischen Aktivitäten rund um Unterseekabel in der Ostsee, heißt es darin. Auch China wird explizit genannt. Im März 2025 enthüllte das China Ship Scientific Research Centre die Entwicklung eines ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs, das gepanzerte Unterseekabel in bis zu 4000 Metern Tiefe durchtrennen kann.

Die Expertengruppe skizziert sieben Risikoszenarien. Diese reichen von der koordinierten Sabotage von Kabeln über Angriffe auf Kabellandestationen und gezielte Stromausfälle bis hin zu natürlichen Ursachen, etwa bei Schäden durch Naturereignisse.

Ein weiteres Problem: Die Kapazitäten zur Reparatur beschädigter Kabel geraten unter Druck. Zwar konnten zwischen 2022 und 2024 fast alle Störungen in Europa innerhalb von 24 Stunden behoben werden – nur zwei bis drei Prozent verzögerten sich durch fehlende Wartungsschiffe. Doch die Flotte altert, und einige Reparaturschiffe werden zu Verlegeschiffen umfunktioniert, um die wachsende Nachfrage der Hyperscaler zu bedienen.

Als Konsequenz schlägt die Expertengruppe erstmals EU-weite Stress-Tests für Unterseekabel-Infrastrukturen vor – ähnlich jenen, die bereits im Energiesektor durchgeführt werden. Die Tests sollen in drei Eskalationsstufen die Widerstandsfähigkeit gegen extreme, aber realistische Szenarien prüfen.

Hoffnungen auf Satellitenkonstellationen im niedrigen Erdorbit als Alternative dämpft der Bericht deutlich: "Die fortschrittlichsten Satellitenkonstellationen liefern nur einen Bruchteil der Bandbreite eines einzelnen Kabels." Satelliten könnten aber als Backup für kritische, bandbreitenarme Anwendungen wie Notfallkommunikation dienen.

97 bis 98 Prozent des globalen Internetverkehrs laufen über Unterseekabel. Die EU verfügt zwar über mehr als 300 Kabellandestationen, doch die Abhängigkeit von wenigen kritischen Knotenpunkten bleibt hoch. 90 Prozent des Verkehrs zwischen Europa und Asien passieren das Rote Meer – ein Nadelöhr, das durch Huthi-Angriffe 2023/24 bereits mehrfach betroffen war. Auch die Abhängigkeit vom Vereinigten Königreich bleibt bestehen: Der Datenverkehr zwischen Irland und der kontinentalen EU läuft größtenteils über das Vereinigte Königreich.

(mki)

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