Schweiz: Eine große Lücke für die Schweizer Regierung

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Der am Mittwoch in Bern verkündete Rücktritt der Schweizer Bundesrätin und Verteidigungsministerin Viola Amherd (Die Mitte), 62, reißt in unsicheren Zeiten eine Lücke in die Schweizer Regierung. Der Umgang mit dem Klimawandel und mit Russlands Krieg im Osten Europas sowie das eigene Verhältnis zur Europäischen Union und zur Nato sind nur einige der Großthemen, mit denen sich auch die neutrale Schweiz derzeit intensiv befassen muss. Und welche weiteren internationalen Disruptionen die erneute Präsidentschaft Donald Trumps in den USA bringen wird, ist noch nicht abzusehen.

Vor allem der dringend nötige Wiederaufbau der wie die Bundeswehr stark heruntergewirtschafteten Schweizer Armee sowie die Beziehungen zu EU und Nato fielen in Amherds Zuständigkeitsbereich. 2024 hatte sie zudem den wechselnd besetzten Posten des Schweizer Bundespräsidenten inne, eine Funktion, die vergleichbar ist mit der des deutschen Bundeskanzlers.

Die Ukraine-Konferenz in der Schweiz war ein Erfolg für sie

In dieser Rolle war Amherd im vergangenen Juni auch maßgeblich an der Organisation und Ausführung einer großen Konferenz zum Krieg in der Ukraine auf dem Schweizer Bürgenstock beteiligt gewesen. Vertreter von 90 Nationen positionierten sich damals unerwartet deutlich gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Für die Schweiz war das ein außenpolitischer Erfolg. Eine eigentlich geplante Nachfolgekonferenz, auf der dann konkret über Friedenspläne gesprochen werden sollte, fand aber nicht statt.

Die schwierigen diplomatischen Bemühungen um ein Ende der Kämpfe in der Ukraine sind aber nur eines der heiklen und komplexen Themen, die auf Amherds Nachfolger oder Nachfolgerin warten. Das größte Projekt wird eben die Erneuerung der Schweizer Armee sein. Hier ist innenpolitisch nicht nur die Finanzierung zur Anschaffung neuer Waffensysteme teilweise ungeklärt – die Probleme beginnen schon bei der IT: Die Luftraumüberwachung ist veraltet, und ein dringend benötigtes digitales Logistikprogramm wird wohl frühestens 2027 einsatzbereit sein. Der von Amherd eingesetzte Armeechef Thomas Süssli und die Bundesrätin selbst standen deshalb zuletzt heftig in der Kritik.

Sie setzte sich für eine engere Zusammenarbeit mit EU und Nato ein

Dabei hatte Amherd als Verteidigungsministerin seit 2019 in vielen Bereichen die Zusammenarbeit mit der Nato verstärkt und ihr Land an der Flugabwehrinitiative „European Sky Shield“ beteiligt. Eine Vollmitgliedschaft in der Nato schloss sie aber auch im Gespräch mit der SZ im vergangenen Jahr klar aus: Diese sei mit der Schweizer Neutralität nicht vereinbar. Eine engere Zusammenarbeit mit der Nato wird für die Schweizer Armee aber wahrscheinlich unumgänglich sein, damit das vergleichsweise kleine Land nicht jedes für eine moderne Armee nötige Waffensystem – abgesehen von einer Marine – selbst anschaffen muss. Dies innenpolitisch zu vermitteln und durchzusetzen, wird wahrscheinlich eine große Herausforderung werden.

Dabei setzte sich Amherd deutlich für eine Förderung der Zusammenarbeit der Schweiz nicht nur mit der Nato, sondern auch mit der EU ein. So gelang es ihr Ende vergangenen Jahres, endlich eine Art Rahmenabkommen zwischen Schweiz und EU zu schließen, um die bisher über mehr als 120 bilaterale Abkommen geregelten Beziehungen zukunftsfähig zu machen. Die Umsetzung etlicher vereinbarter Punkte muss aber noch im Parlament und bei Volksabstimmungen abgesegnet werden – in vielen Fällen mit unklarem Ausgang. Auch das wird ein spannendes Thema für Amherds Nachfolge.

Diese soll noch im März bestimmt werden. Wie Amherd mitteilte, wolle sie ihr Amt zum Ende dieses Monats niederlegen. Ganz unerwartet kam dieser Rückzug nicht, nachdem Ende 2024 schon Amherds enge Beraterin Brigitte Hauser-Süess den Ruhestand angetreten hatte. Dass die Bundesrätin so bald ihren Rückzug ankündigt, kam dann aber doch überraschend. Vor allem, nachdem die nationalkonservative SVP wegen der Probleme in der Schweizer Armee gerade lautstark ihren Rücktritt gefordert hatte. Als Reaktion darauf ist Amherds Rückzug aber in keiner Weise zu verstehen, auch wenn die SVP es vielleicht so aussehen lassen wollte.

Trotz der vielfältigen Herausforderungen gibt es bereits eine ganze Reihe Kandidaten für Amherds Posten, darunter ihr Parteikollege und Nochvorsitzender der Mitte-Partei Gerhard Pfister, 62, sowie die ehemalige Amherd-Kontrahentin Heidi Z’graggen, 58, und der politische Aufsteiger Martin Candinas, 44. Amherd selbst begründete ihren Rücktritt auch damit, Platz für die jüngere Generation machen zu wollen.

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