Rollenwechsel in der Oper: Vom Helden zum Teufel

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Es gibt zwei Sorten von Besetzungsfragen. Bei der ersten geht es um die Konkurrenz von Personen um eine einzige Rolle. Wer soll den Hamlet, wer die Königin der Nacht geben? Davon unterschieden ist die Frage, welche Rolle ein bestimmter Künstler innerhalb eines Stückes spielen soll.

Denn natürlich ist nicht jede Person auf eine Rolle im Stück beschränkt, die Sängerin der Donna Anna könnte auch Zerlina singen. Solche Fragen stellt sich auf jedem Feld. Auf welcher Position Joshua Kimmich aufgestellt werden soll, als Rechtsverteidiger oder „holding six“, hält seit langem die Fußballfans in Atem.

In der Oper stellt sich diese zweite Besetzungsfrage besonders dort, wo die Rollen sich stimmlich ähneln. Vor allem bei Händel, in dessen Opern mitunter der Eindruck entsteht, im Grunde könnte jede Stimme jeden Geschlechts ohnehin jede Rolle übernehmen, so viele Kontratenore und Mezzosoprane gibt es dort, die wechselseitig füreinander einstehen können.

Der Verräter hat immer zu sterben

Außerdem singen sie alle praktisch den gleichen Text. Du bist voller Grausamkeit. Mein Herz ist voller Rache. Wenn du eine Schönheit ansiehst, wird dein Herz getröstet. Der Verräter mit dem gierigen Herzen muss sterben. Wenn du kein Mitleid mit mir hast. Und so weiter.

Am vergangenen Freitag sahen wir in der fabelhaften Oper Frankfurt Händels „Giulio Cesare in Egitto“, der dort seit anderthalb Jahren läuft. In der damaligen Premiere wurde im blutigen ägyp­tischen Intrigenstadel der Titelheld vom Kontratenor Lawrence Zazzo gesungen. Jetzt aber hatte Zazzo die Rolle seines Gegenspielers, Tolemeo, übernommen.

Das ist ein bisschen so, als wechselte Faust zu Mephisto. Denn Tolemeo (Ptolemäus) ist als König von Ägypten, ­anders als Cäsar (glänzend gesungen von Yuriy Mynenko), kein verzweifelt verliebter Held, sondern die reine Niedertracht, die gegen jede Ver­abredung Cäsars Gegner Pompeius exekutieren lässt, um sich dem Sieger anzudienen, und sich danach der Witwe seines Opfers ekelhaft aufdrängt.

Eine Umbesetzung als produktive Zerstörung

Zazzo singt und spielt das großartig, als eine Art Peter Ustinov, weinerlich, sadistisch, belustigt, verlogen und tyrannisch zugleich, buchstäblich als eine Rampensau. Seinen ehemaligen Cäsar macht er vergessen. Dass er als König von Ägypten nicht ganz so viel Koloratur singen muss, setzt seine schauspielerische Energie frei.

Händels Oper dauert mit Pausen vier Stunden, die Zuschauer sind also, begeistert durch die Sänger, dankbar für den Teufel Tolemeo, der im Spiel das Spiele­rische betont, das Böse, das über die Stränge schlägt, aus der Ordnung der Arien ausbricht. Noch beim Schlussapplaus blickt Zazzo amüsiert vom Bühnenrand. Das alles kam durch eine Umbesetzung zu Stande.

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