Rente mit 63: Wer früh in den Ruhestand darf, hatte oft gar keine belastende Arbeit

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 Wem sollte das Rentensystem einen vorzeitigen Ruhestand ermöglichen?

Älteres Paar am Strand: Wem sollte das Rentensystem einen vorzeitigen Ruhestand ermöglichen?

Foto: Nils Weymann / PantherMedia / IMAGO

Als Andrea Nahles im Winter vor elf Jahren für die Rente mit 63 kämpfte, bemühte die damalige SPD-Bundesarbeitsministerin häufig das Beispiel ihres Vaters: Der habe sich schon mit 61 Jahren aus seinem Berufsleben als Maurer verabschieden müssen, weil Rücken und Gelenke nicht mehr mitgemacht hätten – und hohe Abschläge bei der Rente in Kauf nehmen müssen.

Solchen Menschen, klang da durch, werde die Möglichkeit gerecht, zwei Jahre früher ohne jede Abschläge in den Ruhestand gehen zu können. Menschen, deren Arbeit so belastend ist für Körper und Geist, dass sie es gar nicht bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter schaffen können, schon gar nicht, wenn es auf 67 Jahre steigen soll: Dachdecker, Altenpflegerinnen, Gärtnerinnen. Nahles und die SPD setzten sich durch, die Rente mit 63 kam, die inzwischen eine Rente mit 64 Jahren und vier Monaten ist, weil sie ebenso wie die Regelaltersgrenze schrittweise angehoben wird. Und sie wird rege genutzt: Mehr als eine Viertelmillion Menschen gehen jedes Jahr frühzeitig aus dem Arbeitsleben, rund ein Drittel jedes Jahrgangs.

Inzwischen ist allerdings belegt: Ein erheblicher Teil derjenigen, die nun frühzeitig abschlagsfrei in Rente gehen, war im Arbeitsleben gar nicht stark beansprucht, sondern kommt aus Berufen mit vergleichsweise geringer Belastung. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung  (DIW Berlin) auf Basis von Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Der Grund liegt in einer Bedingung für die abschlagsfreie Frührente: Sie steht nur denjenigen zu, die auf 45 Versicherungsjahre in der Rente kommen. Beschäftigte auf dem Bau, in der Gastronomie oder der Pflege, also in Berufen mit sehr hohen Belastungen, kommen oft gar nicht auf diese lange Versicherungszeit. Konkret waren der Studie zufolge mit 30,6 Prozent nur weniger als ein Drittel der Frührentnerinnen und Frührentner während des Berufslebens im Durchschnitt sehr hoch belastet. Demgegenüber waren fast 40 Prozent leicht bis mäßig belastet.

Für die Studie werteten die DIW-Ökonomen Arbeitsmarktbiografien von fast 8000 Männern des Geburtsjahrgangs 1957 mit deutscher Staatsangehörigkeit aus. Dabei zeigte sich, dass der Anteil der beruflich sehr hoch Belasteten mit rund 44 Prozent bei denjenigen am höchsten war, die nur 10 bis 30 Versicherungsjahre in der Rente ansammeln konnten.

Frauen konnten deshalb nicht einbezogen werden, weil Daten zu Kindern und Kindererziehungszeiten fehlten, die für den Anspruch auf eine Rente nach 45 Versicherungsjahren aber mitzählen. Männer machen diese Erziehungszeiten kaum bis gar nicht geltend. Zudem konzentrierte sich die Analyse auf westdeutsche Männer, da für ostdeutsche entsprechende Daten nicht durchgehend vorliegen. Die Arbeitsbelastung wurde mit mehreren Indizes gemessen, die zwischen physischen und psychischen Belastungen unterscheiden.

»Die Dauer der Erwerbskarriere ist ein unzureichender Indikator, um berufliche Belastungen zu messen«, sagt DIW-Ökonom Hermann Buslei. »Als Kriterium für eine vorgezogene Altersrente wäre ein Instrument, das an der tatsächlichen Beschäftigungsfähigkeit der Versicherten ansetzt, sinnvoller«, ergänzt Studien-Co-Autor Johannes Geyer. Die DIW-Ökonomen empfehlen, die gesundheitliche Leistungsfähigkeit stärker in den Fokus zu rücken, wenn es darum geht, wer frühzeitig und abschlagsfrei in Rente darf. Ein Beispiel biete Österreich mit der sogenannten Schwerarbeitspension, für die außer der Dauer einer Tätigkeit auch deren Belastung eine Zugangsvoraussetzung ist. Allerdings müssten dabei körperlich Belastungen um psychische ergänzt werden, um der heutigen Arbeitswelt gerecht zu werden.

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