Platzecks private Moskau-Missionen: Die SPD lässt sich vorführen

vor 12 Stunden 1

Lars Klingbeil ließ es an Klarheit nicht mangeln. „Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten haben wir oft das Trennende übersehen. Das war ein Fehler“, sagte der SPD-Vorsitzende. Hart ging er mit der jahrelangen Politik seiner Partei ins Gericht. Er gab „Fehler im Umgang mit Russland“ zu. Der SPD-Chef warb für eine 180-Grad-Wende, stellte klar: „Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.“

Das war Ende 2022, einige Monate nach der russischen Vollinvasion in der Ukraine. Heute, knapp drei Jahre später, lassen es die Sozialdemokraten noch immer an Klarheit zum Umgang mit Moskau mangeln. Jüngstes Beispiel: Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck reiste seit Ende 2022 neunmal nach Russland, wie am Wochenende unter anderem der „Spiegel“ berichtete. „Mich bewegen Fragestellungen und Probleme, die derzeit viele Menschen, nicht nur in unserem Land, umtreiben und beschäftigen“, sagte Platzeck dazu dem Tagesspiegel. Er warb für eine „aktive Diplomatie auf vielen Ebenen“, um seine Reisen sogleich als privat zu deklarieren.

Privatsache? „Es ist wichtig, diplomatische Kanäle offenzuhalten“ – mit diesen Worten verteidigt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke die Aktivitäten seines Vorgängers. Und die SPD-Spitze? Sie schweigt zu den Moskau-Aktivitäten ihres Privat-Diplomaten Platzeck, auch noch auf Nachfrage am Dienstag.

Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen

Das passt ins Bild. Ähnlich ungewohnt wortkarg gab sich SPD-Chef Klingbeil bereits Anfang Juni. Damals forderten prominente SPD-Politiker, unter ihnen Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, in einem „Manifest“ direkte Gespräche mit Russland. Außerdem wandten sie sich gegen die geplante Erhöhung des Wehretats und die – von Kanzler Olaf Scholz (SPD) erwirkte – Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Klingbeil wartete damals ab, sagte dann, Wladimir Putin könne den Krieg sofort beenden und Deutschland stehe an der Seite der Ukraine. So weit, so banal. Klare Worte fand er erst auf dem denkwürdigen Parteitag Ende Juni.

Der von ihnen aber vorgeschlagene Weg zu einem „Frieden“ setzt nicht auf eigene Stärke, sondern auf Schwäche, auf das eigene Einlenken, nicht auf das Einlenken Putins, sondern auf ein Nachgeben der Ukraine, Deutschlands, des Westens.

Daniel Friedrich Sturm

Warum so verzagt, Genossen? Warum so nachsichtig, so schweigsam, wenn frühere SPD-Spitzenpolitiker die Melodie des Kreml pfeifen? Gewiss, die Sozialdemokraten, die das jüngste „Manifest“ unterschrieben, wünschen sich sehnsüchtig ein Ende von Russlands Krieg gegen die Ukraine. Platzeck geht es gewiss nicht anders. Der von ihnen aber vorgeschlagene Weg zu einem „Frieden“ setzt nicht auf eigene Stärke, sondern auf Schwäche, auf das eigene Einlenken, nicht auf das Einlenken Putins, sondern auf ein Nachgeben der Ukraine, Deutschlands, des Westens. Das nennt man Appeasement-Politik. Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen.

Platzeck geht es, das darf man ihm glauben, anders als seinem Vor-Vorgänger im Parteivorsitz, Gerhard Schröder, nicht um Geld aus Russland. Er handelte und handelt wohl aus Überzeugung. Naivität und Selbstüberschätzung spielen eine Rolle. Es war schon fahrlässig, sich 2018 von Sergej Lawrow einen Orden umhängen zu lassen. Glaubt er nun ernsthaft, dass sich Wladimir Putin für seine ausgestreckte Hand interessiert?

Kanzler Scholz besaß nie so viel Ansehen wie nach seiner Zeitenwende-Rede 2022, also nach Führung und klarem Kurs für die Ukraine, gegen Putin.

Daniel Friedrich Sturm

Schweigen und Schulterzucken

Für den Kreml ist Platzeck nützlich: Mit seinen Moskau-Missionen lässt er den Westen unentschlossen, ja uneins erscheinen. Er sendet das falsche Signal. Er nährt die Hoffnung der KGB-Kader um Putin, das Meinungsklima in Deutschland in ihrem Sinne zu beeinflussen. Leute wie Platzeck mit ihrer Russland-Nähe gelten als nützlich, um mithilfe verbreiteter Kriegsangst die Unterstützung für die Ukraine schwinden zu lassen. Sie befördern Putins Strategie, den Westen zu spalten. Sie lassen sich, getrieben von eigener Eitelkeit, benutzen.

Es befremdet, dass die SPD-Führung schweigt, wenn einer ihrer früheren Vorsitzenden die eigene Regierungspolitik, zumal die ihres Verteidigungsministers Boris Pistorius, unterminiert, ja vorführt. Und, nur zur Erinnerung: Kanzler Scholz besaß nie so viel Ansehen wie nach seiner Zeitenwende-Rede 2022, also nach Führung und klarem Kurs für die Ukraine, gegen Putin.

Schweigen und Schulterzucken offenbaren Schwäche, nicht Stärke. Putin darf man ein feines Sensorium für jede westliche Indifferenz unterstellen. Bisher hat er noch jede Schwäche ausgenutzt.

Gesamten Artikel lesen