Palantir unter Druck – Europäische Alternativen rücken in den Fokus

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Die Diskussion um die Nutzung der Palantir‑Software in der Polizeiarbeit spaltet Politik, Behörden und Zivilgesellschaft. Während einige Bundesländer wie Bayern, Hessen, NRW und Baden-Württemberg auf die US‑Lösung setzen, fordern andere vehement unabhängige Alternativen. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens brachte es kürzlich auf den Punkt: Palantir sei "nicht beherrschbar" und daher keine Option. Auch der Rechtswissenschaftler Dr. Jonas Botta warnt im Gespräch mit heise online vor tiefgreifenden verfassungs- und datenschutzrechtlichen Problemen beim Einsatz der Palantir-Software. "Der Staat müsste in der Lage sein, das System technisch und inhaltlich zu durchdringen – auch wenn Geschäftsgeheimnisse betroffen sind. Nur so kann er überwachen, ob die Grundrechte eingehalten werden. Aber genau das ist bei Palantir problematisch", sagte Botta. Es bedürfe strenger gesetzlicher Grundlagen, einer unabhängigen Kontrolle sowie ernsthaft geprüfter europäischer Angebote.

Tatsächlich dokumentieren Bundesratsbeschlüsse, Anträge von Bundesländern sowie die Haltung von Datenschutzbeauftragten seit Jahren ein deutliches Interesse an Alternativen. Doch während die Polizeigewerkschaften Palantir für "alternativlos" halten, treten deutsche Anbieter zunehmend aus dem Schatten – mit Lösungen, die in puncto Funktionalität, Datenhoheit und Rechtskonformität überzeugen wollen. Kritiker werfen der Bundesregierung daher vor, Alternativen bewusst zu ignorieren.

Unterstützung für Palantir kommt beispielsweise aus der Union. Der frühere Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt erklärte kürzlich gegenüber dem Stern: "Ich habe kein Störgefühl gegenüber einer Software, nur weil sie vom Anbieter Palantir kommt. Mir geht es darum, dass wir Verbrechen aufklären und weitere verhindern können. Diese Software leistet schon in einigen Bundesländern gute Arbeit. Das bestätigen mir die Landesinnenminister."

Mindestens sieben Bundesländer – darunter Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz – haben sich aktiv gegen den Einsatz von Palantir ausgesprochen. Auf der anderen Seite steht vorwiegend Bayern, das Palantirs Software als "verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform" (VeRA) nutzt und für dessen bundesweite Nutzung wirbt. Ende Juli hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Verfassungsbeschwerde gegen "systematische polizeiliche Datenanalysen in Bayern" erhoben, die der Polizei "Data Mining" erlaubt.

Auf Bundesebene herrscht Widersprüchlichkeit: Das Innenministerium prüft einen breiteren Einsatz, betont aber, dass man den Markt bisher kaum systematisch sondiert habe. Kritiker werfen der Bundesregierung daher vor, Alternativen bewusst zu ignorieren.

Die Auswahl deutscher Analyseplattformen wie NasA, Bardioc, One Data und Yoonite wird maßgeblich durch zwei zentrale Anforderungen bestimmt: digitale Souveränität und die Einhaltung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Das BVerfG-Urteil von 2023 setzt enge Grundrechtsmaßstäbe für polizeiliche Datenanalysen. Ausschreibungen und die Produktentwicklung müssen die Grundsätze berücksichtigen.

Digitale Souveränität bedeutet, dass offene Standards, Transparenz und die Möglichkeit zur Auditierung von Quellcode einen Systemwechsel, wenn nötig, erlauben und die Eigenständigkeit von Polizei und Verwaltung stärken.

Die vollständige Entwicklung und Kontrolle liegen bei deutschen oder europäischen Anbietern – das vermeidet von außen erzwungene Funktionalitäten oder Hintertüren. Deutsche Produkte speichern alle Daten ausschließlich in Deutschland beziehungsweise der EU und vermeiden so Zugriffsmöglichkeiten ausländischer Behörden und Gesetzgeber wie den US CLOUD Act.

Der bundesweite Einsatz von Palantir ist in Deutschland nicht rechtssicher geklärt und der Ruf nach Alternativen wächst. Mehrere Anbieter werben mit digital souveränen Alternativen für die US-Software.

Die Plattform Bardioc von der zur Datagroup gehörenden Almato AG, versteht sich als semantische Datenbasis für Anwendungen, analog zu Palantir. Sie ist hoch skalierbar – laut Hersteller bis zu 100 Petabyte –, "neartime-fähig" und verfügt über eine eigene Ontologie. Gemeinsam mit Partnern wie Disy Informationssysteme GmbH aus Karlsruhe bietet Bardioc spezialisierte Fachanwendungen für Sicherheitsbehörden an – bis zu kartenbasierten Analysen und Reports.

Eine Argumentations-Engine ermöglicht laut Bardioc komplexes Reasoning und KI-gestützte Erkenntnisprozesse. Behörden sollen so maßgeschneiderte Applikationen entwickeln können, die ohne tiefgehende IT-Schulung nutzbar sind. Bardioc könne dabei die semantische Datenbasis für Applikationen liefern, Disy stelle Fachanwendungen, Analyse-Tools und Location Intelligence auf Basis semantischer Daten bereit, "die bei zahlreichen Sicherheitsbehörden" bereits im Einsatz sind". So könnten etwa Polizeibeamte zweckgebundene "spezifische Applikationen" nutzen, die "sehr zweckgebunden einsetzbar […] und ohne Schulungsaufwand oder Programmierkenntnisse bedient werden können", sagt ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage von heise online

Nach Angaben des Unternehmens nutzen aktuell verschiedene Kunden "die Bardioc Plattform im In- und Ausland" mit unterschiedlichen Anwendungsfällen. "Neben bisherigen erfolgreichen Projekten im behördlichen Umfeld" arbeite das Unternehmen unter anderem für ein Bundesministerium und mit weiteren Behörden, etwa aus Baden-Württemberg, zusammen.

Zur Kritik, dass Palantir-Alternativen nicht einsatzbereit sind, erklärt das Unternehmen: "Palantir wurde über Jahrzehnte durch US-Sicherheitsbehörden strategisch aufgebaut und finanziert". Investitionen in Palantir-Alternativen seien aus verschiedenen Gründen bisher nicht getätigt worden. "Jedoch gibt es erfolgreich etablierte und sehr wettbewerbsfähige Teilstücke der Palantir-Technologie auch in Deutschland, so der Sprecher.

Auch One Data präsentiert sich als ernst zu nehmende Palantir-Alternative. Nach Angaben des Unternehmens hat es bereits Gespräche mit dem Bundesinnenministerium gegeben. Die Plattform wurde laut dem Gründer Andreas Böhm so konzipiert, dass sich unterschiedliche Quellen verbinden lassen – von Polizei-IT-Systemen über Fachanwendungen bis zu Registern. "Im Unterschied zu monolithischen Plattformen setzen wir auf offene Standards, Schnittstellen (APIs) und modulare Integration", verspricht Böhm. Behörden behalten jederzeit volle Datenhoheit und können für föderale oder länderübergreifende Zusammenarbeit dank Interoperabilität flexibel andocken.

Zum Einsatz komme dabei eine "Spark-Engine" für "hoch performante Datenanalysen". So könne One Data Millionen Datensätze nahezu in Echtzeit verarbeiten und analysieren, was mit den Fähigkeiten von Palantir vergleichbar wäre. Für eine gute Nutzererfahrung arbeite das Unternehmen eng mit seinen Kunden zusammen.

Laut Böhm sei es dank selbst entwickelter Komponenten wie "Link AI" möglich, schwer kombinierbare Datensätze zuverlässig zusammenzuführen. "Mit integrierten Machine-Learning-Verfahren ermöglichen wir Mustererkennung (Pattern Recognition) über eine große Datenmenge in performanter Weise, wodurch das schnelle Erkennen von Zusammenhängen möglich ist", verspricht Böhm.

One Data werde vollständig in Deutschland entwickelt und betrieben, ermögliche On-Premise-Installationen und erfülle laut One Data höchste Datenschutz- und Sicherheitsstandards.

Das vom Konsortium rund um Secunet entwickelte Projekt "NasA", Nationale souveräne Analyseplattform, demonstrierte die grundsätzliche Machbarkeit einer deutschen Analyseplattform, wurde jedoch aufgrund fehlender Anschubfinanzierung nicht weiterverfolgt. Secunet-CTO Kai Martius betont, dass deutsche Lösungen vor allem bei Transparenz, Datenhoheit und Compliance punkten können. Gerade angesichts verfassungsrechtlicher Vorgaben – etwa dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2023 – sei eine europäische Lösung realistischer und langfristig sicherer. Wichtig seien Aspekte wie "Datensicherheit, souveräne Technologie, ein praxistauglicher Betrieb, ein wirklich sicherer Zugangsdienst, ein revisionssicheres Log-in, strikte Datentrennung, Workflow-Management, eine souveräne Betriebsplattform". Daher sei Secunet zuversichtlich, in Konsortien aus deutschen Unternehmen eine solide Alternative zum US-Angebot entwickeln zu können. Erste Gespräche zur Wiederaufnahme des Projekts laufen, da sich das Interesse in letzter Zeit noch einmal gesteigert habe.

Sofern es von der Politik keine "klaren Commitments" gebe, sei die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft gering. "Und auf der anderen Seite treibt dann das vermeintliche Fehlen passender souveräner Lösungen die Politik zu den US-Lösungen. Diesen Teufelskreis gilt es aufzulösen", fordert Martius. Erforderlich seien "zumindest Abnahmegarantien wie in der Rüstungsindustrie, da es sich ebenfalls um einen Nischenmarkt handelt".

Secunet sei bereit, sich erneut einzubringen "und führt derzeit erste Gespräche mit potenziellen Partnern". Ebenfalls zur Kritik an Palantir-Alternativen befragt, sagt Martius: "Nicht alles, was US-Unternehmen anbieten, wird hierzulande auch benötigt oder ist überhaupt erlaubt. Umgekehrt gibt es auch Punkte, bei denen deutsche Anbieter die Nase vorn haben – man denke nur an Transparenz, Datenhoheit und Compliance". Die Situation sei Martius zufolge vergleichbar mit der im Cloud-Umfeld. Während die US-basierten Marktteilnehmer die Skaleneffekte auf ihrer Seite hätten, setzen europäische Anbieter auf Souveränität und Sicherheit der Angebote.

Yoonite von der FSZ GmbH aus Metzingen ließe sich innerhalb weniger Monate in Landespolizeien einsetzen, sagt der Hersteller. Die Software führt strukturierte und unstrukturierte Daten in einem einheitlichen Informationsnetzwerk zusammen und erlaubt flexible Erweiterungen über ein "MetaModel".

Unstrukturierte Daten wie E-Mails, Dokumente, Social-Media-Posts, Bilder, Videos, Audiodateien, Scans, PDFs, Präsentationen werden laut der FSZ GmbH als Objekte zum Beispiel in Objektklassen wie Document, Chat, Image und weitere abgelegt. "Diese Objektklassen können mit allen anderen Objektklassen Beziehungen aufnehmen und sind somit integraler Bestandteil des gesamten Informationsnetzwerkes und unterscheiden sich am Ende nicht von strukturierten Daten", sagt ein Sprecher des Unternehmens. Da Objekte, deren Eigenschaften und Beziehungen jederzeit anpass- und erweiterbar seien, könnten beliebige neue Datenquellen schnell angebunden werden. So könnten "Formulare, Übersichten, Diagramme, Abhängigkeits-/Beziehungsgraphen, Darstellungen in geografischen Karten, Reports" und Ähnliches nach Angaben des Unternehmens "in kürzester Zeit und optimiert auf die jeweilig fachliche Anforderung implementiert werden".

Informationsbearbeitung und Datentransformation (schematische Darstellung)

(Bild: FSZ GmbH)

Besondere Schwerpunkte legt Yoonite nach eigenen Angaben auf Transparenz (vollständige Historisierung jeder Datenänderung) und Datenhoheit. Demnach verspricht die FSZ GmbH, dass alle Kunden die volle Kontrolle, auch über den Betrieb, behalten.

Es bestehe bereits Interesse in Polizeibehörden einzelner Bundesländer. Kontakte zu Landespolizeien bestehen, konkrete Pilotprojekte hängen jedoch von politischen Entscheidungen und Ausschreibungen ab. Jedoch ist anzumerken, dass die "spezifischen Anforderungen, auch im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, noch nicht festgelegt sind und eine konkrete Produktsichtung damit verfrüht sei". Erst mit klaren rechtlichen Vorgaben kann es daher für alle Alternativen weitergehen.

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