News des Tages: Stadtplanung, Gaza, US-Demokrat Gavin Newsom

vor 1 Tag 2

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Im August und Anfang September geht die Lage am Abend auf Weltreise: SPIEGEL-Korrespondentinnen und -Reporter berichten aus den Metropolen und entlegenen Ecken Asiens, Afrikas, Amerikas und Europas. Und natürlich bekommen Sie hier auch weiterhin Ihr Nachrichten-Briefing: News, Meinung, Storys – alles, was am Tag wirklich wichtig ist.

1. Vorbild Paris und die Bilderbuchstadt Leipzig

An diesem Montag ist es noch ruhig in Paris, die Stadt erwacht nur langsam aus ihrem Sommerschlaf. Viele Pariser Familien sind immer noch auf dem Land oder am Meer. »La rentrée«, die große Rückkehr der Bewohner nach den langen Ferien, wird erst für die kommende Woche erwartet. Vor den Fenstern meiner Wohnung tobt nicht der übliche Verkehr, dafür ist ständig das Geräusch von Rollkoffern zu hören. Die Touristen verlassen langsam die Stadt.

Paris ist nicht nur eines der meistbesuchten Ziele Europas, es ist auch der Ort, an dem das Konzept der »15-Minuten-Stadt« weltweit als erstes umgesetzt wurde. Um Geld und Energie zu sparen. Und um das Leben für seine Bewohner lebenswerter zu machen.

»La ville du quart d’heure«, die Stadt der Viertelstunde, will alle notwendigen Bereiche des Lebens so zusammenzuführen, dass vom Wohnort in einer Viertelstunde möglichst viel erreichbar ist: Lebensmittelgeschäfte und Märkte, die Schule der Kinder, deren Sport, Musik- und Theaterunterricht. Und im Idealfall auch die Arbeit.

Dahinter steht die Idee, dass Menschen nicht so viel Zeit im Auto verbringen sollen und sich Metropolen nicht mehr in Wohn- und Büroviertel aufteilen, die kilometerweit auseinanderliegen. Die sozialistische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hatte das Konzept verbindlich in ihr Programm aufgenommen. Mit Erfolg. Mehrere französische Großunternehmen starteten Modellversuche, bei denen sie ihren Mitarbeitern wohnnahe Arbeitsflächen anboten, andere zogen nach (hier mehr dazu ).

In Deutschland war das Ideal der »15-Minuten-Stadt« bisher weniger bekannt. Lange ging man davon aus, dass es allenfalls in Großstädten umzusetzen sei. Eine großangelegte Studie kommt nun zu einem anderen Ergebnis. Danach sind schon über 2100 Städte und Gemeinden »15-Minuten-tauglich«, wie meine Kollegen Guido Grigat, Lukas Kissel, Klaas Neumann und Patrick Stotz berichten. Leipzig, so schreiben sie, sei sogar schon eine 6,7 Minuten Stadt.

2. Kritik nach Angriff auf Klinik im Gazastreifen

Kann man sich an permanent schlechte Nachrichten gewöhnen? An die Tatsache, dass die Welt gerade einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen zuschaut? Nachdem Uno-Experten am vergangenen Freitag erstmals offiziell eine Hungersnot im Norden des Gazastreifens deklarierten und damit die höchste Alarmstufe ausriefen, gab es heute neue traurige Nachrichten aus dem Nahen Osten. Bei einem israelischen Angriff auf das Nasser-Krankenhaus im Süden des Gazastreifens wurden nach palästinensischen Angaben 20 Menschen getötet, darunter wohl auch fünf Journalisten (hier mehr dazu).

Mein Kollege, SPIEGEL-Israel-Korrespondent Thore Schröder, berichtet seit bald zwei Jahren über die Lage, gemeinsam mit unserer Mitarbeiterin Ghada Alkurd, die dort arbeitet, wo westliche Journalisten nicht hinkommen: aus dem Gazastreifen.

Ghada, die selbst große Schwierigkeiten hat, ihre beiden Töchter und sich zu ernähren, traf in Gaza-Stadt vor wenigen Tagen eine Familie, die während des Krieges bereits etliche Male vertrieben wurde und sich nun auf die geplante israelische Einkesselung der Stadt vorbereitet. Noch weiß die Familie nicht, wohin sie gehen soll. Vater Fayez Qasem, 55, sagte ihr, sie seien vom Hunger bereits so entkräftet, dass eine Flucht rein körperlich für ihn und seine sechs Kinder fast unmöglich sei. »Ich glaube nicht, dass ich das schaffen werde.« Nach zwei Jahren permanenter Ortswechsel habe er außerdem das Gefühl, er verliere langsam seine Fähigkeit klar zu denken.

3. Lieber peinlich gewinnen als redlich verlieren

Lange war es still, zu still im Lager der US-Demokraten, die auch noch Monate nach Trumps Amtsantritt im Januar dieses Jahres wie gelähmt wirkten. Nun scheint es in der Partei einen neuen Hoffnungsträger zu geben: Er heißt Gavin Newsom, ist 57 Jahre alt, Gouverneur in Kalifornien und tritt auf wie eine Trump-Parodie des linken Lagers – ähnlich platt, vulgär und plakativ.

Den MAGA- Slogan hat er umgetauft in »Make America Gavin again«. In seinem »Patriot Shop« verkauft er rote Kappen, auf denen in Großbuchstaben »NEWSOM HATTE MIT ALLEM RECHT« steht. Der Demokrat schreckt vor wenig zurück, reklamiert ironisch den Friedensnobelpreis für sich und inszeniert sich wie Trump als Heilsbringer. Lieber peinlich gewinnen als redlich verlieren, so lautet die Newsom-Doktrin. Er sagt: »Wir bekämpfen Feuer mit Feuer«.

All das sei krude, kindisch und niveaulos, aber es funktioniere, sagt mein Kollege Cornelius Dieckmann, der sich mit dem Mann beschäftigt hat. » Es ist selten geworden, dass ein Demokrat den Dauerlärm des krakeelenden Bewohners des Weißen Hauses durchdringt«, schreibt Cornelius. »Newsom gelingt es.« Zuletzt wurde der neue Hoffnungsträger sogar von Barack Obama gelobt.

Was heute sonst noch wichtig ist

  • 64 Prozent der 2015 nach Deutschland Geflüchteten haben heute einen Job: Sie haben es geschafft: Laut einer neuen Studie haben fast zwei Drittel der 2015 nach Deutschland gekommenen Menschen eine Arbeit. Allerdings gibt es ein großes Gefälle zwischen Männern und Frauen.

  • China nimmt wieder mehr Kohlekraft ans Netz: Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt gilt als wichtiger Akteur im Kampf gegen den Klimawandel, löst sich aber nicht von dem klimaschädlichen Energieträger Kohle. Woran das liegen könnte.

  • UniCredit stockt direkte Beteiligung an Commerzbank weiter auf: Die offene Ablehnung in Deutschland scheint UniCredit-Chef Orcel nicht zu beeindrucken. Die italienische Großbank erhöht ihren Aktienanteil an der Commerzbank. Folgt jetzt die Übernahme?

Meine Lieblingsgeschichte heute: Habeck gibt sein Bundestagsmandat auf

In diesem Fall gilt das Lob mehr dem Protagonisten als der Meldung zu Robert Habecks Rückzug aus dem Parlament. Weil ich es sympathisch finde, wenn ein Spitzenpolitiker auch mal loslassen kann, das Amt für eine jüngere Kollegin freimacht und Konsequenzen aus seiner Niederlage zieht. Seine politische Idee sei abgewählt worden, sagte Habeck geradezu demütig im Interview mit der taz: »Da kann man nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen«.

Grünenpolitiker Robert Habeck vor der Kuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin

Grünenpolitiker Robert Habeck vor der Kuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin

Foto: Kay Nietfeld / dpa / picture alliance

Der ehemalige Vizekanzler und grüne Wirtschaftsminister will nun ein Jahr lang an ausländischen Forschungs- und Bildungseinrichtungen lehren und lernen. Den Grünen scheinen lässige Abschiede besser zu gelingen als anderen. Unvergessen bleibt das »Ciao, ragazzi!« von Joschka Fischer, als der ehemalige Außenminister 2006 seinen Verzicht auf das Bundestagsmandat ankündigte.

Was heute weniger wichtig ist

 »Der Inhalt dieses Buchs ist von entscheidender Bedeutung«

Virginia Giuffre (im April 2025): »Der Inhalt dieses Buchs ist von entscheidender Bedeutung«

Foto:

Emily Michot / ZUMA Press Wire / IMAGO

Die Memoiren einer Toten: Virginia Giuffre gehörte zu den jüngsten Opfern des US-Milliardärs Jeffrey Epstein, der sich und seinen prominenten Freunden Anfang der Nullerjahre minderjährige Mädchen zuführen ließ, um sie sexuell zu missbrauchen. Giuffre hatte Jahre später den britischen Prinzen Andrew wegen sexueller Nötigung verklagt und sich später außergerichtlich mit ihm geeinigt. Gemeinsam mit der Journalistin Amy Wallace arbeitete die mittlerweile 41-jährige Giuffre an ihren Memoiren. Im April dieses Jahres beging sie Suizid. Die Memoiren sollen nun trotzdem erscheinen, »weil sie von entscheidender Bedeutung sind«, so hatte Giuffre es vor ihrem Tod hinterlassen.

Mini-Hohlspiegel

Von az-online.de

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Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Klaus Stuttmann

Fassade des Centre Pompidou

Fassade des Centre Pompidou

Foto: LOIC VENANCE/ AFP

Könnten Sie sich darüber informieren, was passiert, wenn das berühmte Museum und Kulturzentrum Centre Pompidou demnächst für fünf Jahre schließt. Der ikonische Pariser Bau im Zentrum der Stadt muss umfassend renoviert werden, bevor er 2030 wieder eröffnet. Bis dahin sollen Ausstellungen an anderen Orten stattfinden. Das Centre Pompidou, das die Pariser nur »Beaubourg« nennen, wird zum Nomaden. Mehr dazu hier .

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Abend. Herzlich

Ihre Britta Sandberg, Korrespondentin, Paris

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