News des Tages: Bruce gegen Donald, Frust am Bau, Fußball vor der Bierhoffisierung

vor 4 Stunden 1

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1. Der Bully im Oval Office

»Memento mori«, das klingt wie eine Szene-Bar in, sagen wir, Berlin-Neukölln, atmet aber Weltgeschichte: Wenn es für siegreiche römische Feldherren einst im Triumphzug mit Trompeten, Purpur und Elefanten durch die Hauptstadt ging, den Kopf wie im Asterixcomic gekrönt vom Lorbeerkranz, stand stets ein Sklave dahinter und murmelte: »Sei Dir der Sterblichkeit bewusst – memento mori«.

Hat in den meisten Fällen nicht viel geholfen, Roms Kaiser waren in der Regel so demutsvoll wie eine goldene Rolex, Hybris (Caligula), Wahnsinn (Nero), Tyrannei (Cäsar), ich kam, sah und kippte. Die »Memento«-Tradition ist mit dem römischen Reich, nun ja, ausgestorben – für Donald Trump allerdings wünsche ich mir einen Reboot des Flüster-Korrektivs. Auf seiner Saudi-Arabien-Reise etwa, die ihm einen obszön glitzernden Orden, Waffenmilliarden und eine Boeing 747-8 bescherte, hätte ihm jemand aus seinem Tross, von mir aus Adlatus JD Vance, auf dem Rollfeld ins Ohr raunen können: »Memento mori – et Aëroplanum est decem annorum, Donaldus« (»Das Flugzeug ist zehn Jahre alt, Donald«). Seufz.

Immerhin auf den Boss ist Verlass: Bruce Springsteen, Amerikas DNA-Rocker, born and raised in the USA, wettert gegen Trumps Politik, wo immer er kann. Also meistens auf großen Bühnen, vor vielen Menschen, wie jetzt gerade in Manchester: »Die Mehrheit unserer gewählten Repräsentanten hat es völlig versäumt, das amerikanische Volk vor den Missbräuchen eines ungeeigneten Präsidenten und einer Schurkenregierung zu schützen«. Trump, bekanntlich eher Nero als Salomon, fackelte daraufhin bei Truth Social: »Nur ein aufdringlicher, unausstehlicher IDIOT«, »mochte ihn und seine Musik noch nie« und, diese Assoziation kommt selbst für Trump unerwartet: »Seine Haut ist völlig verkümmert!« Well. Der Bully im Oval Office. Mein Kollege Arno Frank hat den Fight der beiden sprachlich analysiert: »Es ist ein battle of the bosses«, schreibt er in seinem Kommentar. »Springsteen wurde der Titel ehrenhalber angetragen, Trump beanspruchte ihn durch seine Reality-TV-Performance für sich: You’re fired! Deshalb muss Trump, anstatt die Kritik präsidial zu ignorieren, auf die recht präzise geäußerte Sorge von Bruce Springsteen so reagieren, wie er es eben kann: mit beleidigtem Gekeife«. Spätrömische Dekadenz.

2. Hinter Gittern

Wenn ich gerade durchs Fenster schaue, fühle ich mich wie der Graf von Montechristo in Kerkerhaft: Ein Gerüst vergittert die Sicht, Himmel, Sonne, Mond, derzeit alles nur im Zebra-Modus. Das Dach muss neu gemacht werden, die kernigen Gerüstbauer haben längst geliefert, jetzt müssten die Zimmerleute kommen.

Eine, sie ahnen es, Lektion in Geduld: Vor zwei Wochen wollten sie eigentlich vor einer Woche starten. Vor einer Woche dann heute. Und heute früh meldete sich Zimmermeister W. per Mail: »Wir fangen erst morgen bei Ihnen an«. Warten auf Godot. »Wir finden keine Leute«, hatte besagter Meister W. schon bei der ersten Besichtigung geklagt. Klar, Fachkräftemangel. Und dann erst die Vorschriften: U-Wert der Dachdämmung, Sanierungsfahrplan, Flachdachentwässerung, Petrus, lass Formulare regnen. Mehr als 20.000 Bauvorschriften gibt es in Deutschland, in großen Firmen müssen Sachkundige für Beleuchtungsanlagen sitzen und, aber ja, Leiterbeauftragte. Muss das so? Oder kann das weg? 

Kein Wunder, dass Meister W. verzweifelt. Vielleicht sollte er sich mal bei unserem Karrierecoach Klaus Siefert auf die Couch setzen. Der gibt im heutigen SPIEGEL-Extra Tipps, wie Führungskräfte mit Krisen umgehen: »Welche Herausforderungen auf Sie zukommen, liegt nicht in Ihrer Hand«, schreibt Klaus. »Aber Sie können jede schwierige Situation nutzen.« Dornige Chancen? Etwas handfester rät Klaus in seinem Text dazu, die »unterschiedlichen Talente im Team zu identifizieren« und bestmöglich zu fördern. »Gerade in Krisenzeiten ist das ein unschätzbarer Vorteil«, so Klaus. Nun ja, ich bin gespannt, ob die unterschiedlichen Talente morgen vor meiner Tür stehen.

Was Führungskräfte noch tun können, um das eigene Selbstvertrauen zurückzugewinnen, lesen Sie hier. 

3. Aufgestiegen aus Ruinen

Während ich hier also hinter Gittern sitze, hupen da draußen Menschen in Synkopen. Ich ahne, dass es dabei weniger um die Warnung vor Verkehrsverstößen geht, sondern vielmehr um den HSV.

Wenn Sie – ähnlich wie ich – in etwa so viel Bundesliga-Expertise haben wie Antonio Rüdiger Impulskontrolle, dann hier kurz der Kontext: Der HSV ist nach sieben Jahren in der zweiten Bundesliga nun tatsächlich in die erste aufgestiegen, heute Abend wird deswegen in Hamburg gefeiert – gleich doppelt, denn die Frauenmannschaft hat das gleiche geschafft. Um 17 Uhr war Empfang im Rathaus, auf dem angrenzenden Markt Getränkeausschank für die Fans und ab 18.45 Uhr werden die beiden Teams »auf Eventtrucks eine Runde um die Binnenalster drehen«, wie es in der Ankündigung heißt. »Eventtrucks«! Well.

»Dass beim Fußball das Gute, Wahre und Schöne eingetauscht wird gegen einen allumfassenden Kommerz, lässt sich seit einigen Jahren mit dem schönen Begriff der »Bierhoffisierung« beschreiben«, so mein Kollege Marco Fuchs. Er hat über die fünf Dinge geschrieben, die er in der kommenden Fußballsaison nicht mehr sehen will. Spoiler: der HSV kommt auch vor. Aber es geht auch um die Fans: Platzstürme. Oder der Umgang mit den Ultras. »Der Fußball nimmt sich zu wichtig und leidet unter Ritualen«, schreibt Marco. Sein Text ist ein persönlicher Vorschlag zur Güte, »um den Nervfaktor in der nächsten Spielzeit zu senken«.

Hier geht´s zu Marcos Rant: Fünf Dinge, die ich in der kommenden Saison nicht mehr sehen will

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Grüne und Linke verlangen Aufklärung zu Merkels Rolle bei Nord Stream 2: Hat Angela Merkel Deutschland wider besseres Wissen einer einseitigen Energieabhängigkeit von Russland preisgegeben? Grüne und Linke fordern eine Aufarbeitung im Bundestag.

  • Unbekannte beschmieren Humboldt-Uni mit israelfeindlichen Parolen: »Yallah intifada«: Am Morgen sind am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität israelfeindliche Sprüche entdeckt worden. Die Universität schaltet die Polizei ein.

  • Angeklagter wirft JVA Augsburg-Gablingen Misshandlungen vor: Das irakische Ehepaar soll zwei jesidische Mädchen als Sklavinnen gekauft, ausgebeutet und sexuell missbraucht haben. Nun ist in München der Prozess gestartet. Er wurde jedoch unterbrochen – wegen schwerer Vorwürfe des Angeklagten.

  • Russland stuft Amnesty als unerwünschte Organisation ein: Zahlreiche kremlkritische NGOs hat Russland bereits verboten, nun ist auch die wohl bekannteste Menschenrechtsorganisation »unerwünscht«. Der Hauptgrund: Stellungnahmen zum Ukrainekrieg.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

 Mutmaßlich wahllos auf Fußballfans eingestochen

Tatort vor der Cutie-Bar in Bielefeld: Mutmaßlich wahllos auf Fußballfans eingestochen

Foto: Christian Müller

Das ist über den Messerangriff in Bielefeld bekannt: Vor einer Bar in Bielefeld soll ein 35-Jähriger mehrere Menschen teils schwer verletzt haben. Der Tatverdächtige ist weiterhin auf der Flucht. Was jetzt noch unklar ist – der Überblick. 

Was heute weniger wichtig ist

Trommelwirbel: Zak Starkey, 59, spielt nicht mehr Schlagzeug bei der britischen Band »The Who«. Wenn Sie sich jetzt fragen »who«? Starkey ist der Sohn von »Beatles«-Drummer Ringo Starr und saß 29 Jahre lang hinter den Trommeln. Warum jetzt plötzlich nicht mehr? Nun, freundschaftlich war die Trennung nicht, das legt zumindest nahe, was Sänger und Bandgründer Roger Daltrey bei einem der letzten gemeinsamen Auftritte gesagt haben soll: »Alles, was ich habe, ist ein Schlagzeug, das bumm, bumm, bumm macht. Dazu kann ich nicht singen.« Tja. The Song Is Over .

Mini-Hohlspiegel

Hinweis an einem Zaun in Hamburg

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Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Klaus Stuttmann

Und heute Abend?

Die Guten schlagen zurück: Auf TikTok gibt es ein schönes Format, Menschen werden dabei gefilmt, wie sie einen ihnen bis dato unbekannten Song hören. Natürlich sind es alles Banger, Stücke, bei denen man sich schlicht nicht vorstellen kann, dass es auf diesem Planeten jemanden gibt, der sie nicht kennt, aber hey, panta rhei. Wie auch immer, bei einigen Liedern wünsche ich mir diesen ersten Hörmoment zurück, Beispiel heute: »Killing In The Name«  von Rage against the machine.

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Der Text, grob gesagt geht es um staatliche Repression, ist noch immer so aktuell wie 1992, als der Song herauskam, Sänger Zack de la Rocha klingt so wütend wie ein Rottweiler vor dem Frühstück und Tom Morello spielt auf seiner Gitarre nicht einfach ein Riff, er wuchtet es aus dem Verstärker wie ein zu großes Möbelstück durch die Wohnzimmertür, bäm, da steht es. Ich habe vorhin die Augen geschlossen und den Song auf voller Lautstärke (pling, Warnhinweis meines Smartphones) gehört und war in Gedanken sofort auf der Tanzfläche im Lüner Jugendheim 1994: »Some of those that work forces, are the same that burn crosses«. Wenn Sie heute Abend 5.13 Minuten haben, tun sie es mir gleich. Und vielleicht denken wir dabei an all die Despoten in der Welt. Zak Starkey an Roger Daltrey. Zimmermeister W. an die Sanierungsfahrplan-Formulare. Und alle zusammen singen wir: »Fuck you, I won′t do what you tell me«.

Nur so eine Idee. Ich wünsche Ihnen einen anregenden Abend, Ihr

Jens Radü, Chef vom Dienst

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