Zum zweiten Mal muss der junge Mann im roten Shirt nun schon aufstehen, dem Wink eines Polizisten folgen und in den Nebenraum gehen, wo sie ihm persönliche Fragen stellen: Richter Curtis Farber, die Staatsanwältin und die Anwälte von Harvey Weinstein. Die Auswahl der Geschworenen im neuen Prozess gegen den 73 Jahre alten ehemaligen Filmproduzenten ist mühselig. Das muss sie sein, denn wenige können behaupten, noch nie von Weinstein gehört zu haben, unvoreingenommen zu sein.
Mehr als achtzig Frauen werfen dem Gründer der Produktionsfirma Miramax Vergewaltigung und Belästigung vor, wie kein anderer ist sein Name mit der MeToo-Bewegung verknüpft. Weinstein war 2020 in New York in zwei Fällen schuldig gesprochen und zu 23 Jahren Haft verurteilt worden. Dass er nun erneut im 13. Stock des Gerichtsgebäudes in Manhattan sitzt und Dokumente durchblättert, während seine Anwälte den jungen Mann in Rot befragen, liegt an seinem erfolgreichen Einspruch. Das Urteil war 2024 aufgehoben worden, weil das Gericht Zeuginnen gehört hatte, deren Tatvorwürfe nicht Gegenstand der Klage waren.
Ein neuer Prozess mit bekannten Klägerinnen
Am zweiten Tag der Jury-Auswahl haben sich der Richter und die Anwälte nun bereits nach kurzer Zeit in das angrenzende Zimmer zurückgezogen, um die Kandidaten einzeln zu befragen. Übrig sind inzwischen noch etwas mehr als zwei Dutzend. Zwölf von ihnen konnten schon einmal auf der Geschworenenbank Platz nehmen, der Rest sitzt auf den Holzbänken im Gerichtssaal. Manche unterhalten sich leise, andere lesen. Weinsteins Anwältin Jennifer Bonjean meldet sich gleich zu Anfang zu Wort und erinnert den Richter an besondere Sorgfalt bei der Jury-Auswahl – die Rechtsanwälte hätten einen „schweren Kampf“ vor sich, um Fairness für ihren Mandanten zu erreichen.
Am Vortag hatten mehrere potentielle Geschworene die Frage verneint, ob sie unvoreingenommen seien – ein Schauspieler, wie die anderen Kandidaten zufällig ausgewählt, hatte hinterher Journalisten gesagt, Weinstein sei ein „mieser Kerl“. Dass mögliche Geschworene befangen sind, ist nicht ungewöhnlich, denn jeder Bürger kann zum Jury-Dienst aufgefordert werden und muss zur Befragung antreten. Wenn die zufällig ausgewählten Leute dann erklären, voreingenommen zu sein, ist das im amerikanischen Justizsystem so vorgesehen.
Im neu aufgerollten Prozess geht es erneut um die Klagen von Miriam Haley und Jessica Mann, die Weinstein Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung in den Jahren 2006 und 2013 vorwerfen. Hinzu kommt eine neue, bislang anonyme Klägerin, die nicht Teil des ersten Verfahrens war. Das Berufungsurteil von 2024 galt manchen als Niederlage für die MeToo-Bewegung, die die Aktivistin Tarana Burke bereits 2006 gestartet hatte.
Das Urteil stützte sich auf eine New Yorker Regelung, nach der keine Zeugen zugelassen sind, die über strafbares Verhalten berichten, das nicht Gegenstand eines Verfahrens ist. Kritiker bemängeln, dass die Vorschrift veraltet sei, weil Verhaltensmuster von Beklagten nicht transparent gemacht werden könnten. Außerdem halte sie Opfer davon ab, ihre Erfahrungen publik zu machen.
Befürworter der Regelung betonen, dass sie Menschen vor Vorverurteilungen schütze. In 16 anderen Bundesstaaten sind „Charakter-Zeugen“ erlaubt, in New York läuft eine Gesetzesinitiative. Weinstein war nach der erfolgreichen Berufung kein freier Mann, weil ihn auch ein kalifornisches Gericht 2022 wegen Vergewaltigung zu 16 Jahren Haft verurteilt hatte. Er leidet unter Leukämie, ist herzkrank, musste notoperiert werden. Seine Anwälte beantragten jetzt, der Richter solle ihm erlauben, nicht im Gefängnis Rikers Island, sondern im Krankenhaus zu übernachten. Der neue Prozess, in dem auch die mutmaßlichen Opfer noch einmal neu aussagen müssen, könnte bis zu sechs Wochen dauern.