Neue Grundsicherung: Prüfung der Wohnkosten: Lohnt sich das?

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Dem deutschen Sozialstaat wird ein Drang zur Einzelfallgerechtigkeit nachgesagt. Bedeutet: Fast jeden denkbaren Fall hat der Gesetzgeber so geregelt, dass man zu einem als fair erachteten Ergebnis kommt. Und wenn es der Gesetzgeber nicht regelt, dann fordern Gerichte detaillierte Vorgaben ein – selbst wenn sich dann Behördenmitarbeiter viele Stunden lang mit solchen Fällen befassen müssen. Dieses Muster zeichnet sich nun auch bei der geplanten Abschaffung des Bürgergelds ab. Der Gewinn, den der Staat durch eine strengere Prüfung der Wohnkosten erzielt, wird wohl weitgehend aufgefressen durch den Mehraufwand für die Jobcenter.

Einer der Aufreger des Bürgergelds ist die sogenannte Karenzzeit bei den Unterkunftskosten. Die geltende Regelung besagt: Wenn jemand Bürgergeld beantragt, übernimmt das Jobcenter ein Jahr lang die Miete, egal wie hoch diese ist. Erst nach der Jahresfrist kann die Behörde bei teuren Mieten die Zahlungen reduzieren. Als theoretischer Beleg für die Ungerechtigkeit dieser Regelung galt in Boulevardmedien jemand, der sich die schwindelerregende Miete für seine Starnberger Villa vom Jobcenter bezahlt haben lassen soll, auch wenn es diesen Fall nie gab. Die Regelung sollte Menschen ermöglichen, sich auf Jobsuche oder Fortbildung zu konzentrieren, statt Zeit darauf verwenden zu müssen, eine billigere Wohnung zu suchen.

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Unsere Gesellschaft will, dass manche Menschen arbeitslos sind, meint die Journalistin Anna Mayr. Umso mehr kritisiert sie Erniedrigungen, die aus ihrer Sicht mit dem Bürgergeld einhergehen.

Um skandalösen Einzelfällen vorzubeugen, sollen laut dem von Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) ausgehandelten Gesetzentwurf nun wieder Grenzen eingezogen werden. Die Wohnkosten werden in der Karenzzeit gedeckelt auf das Anderthalbfache einer allgemeinen „Angemessenheitsgrenze“. Die Jobcenter sollen zudem feststellen, ob die Kaltmiete gegen eine örtlich festgelegte Mietpreisbremse verstößt. Wenn ja, schickt ein Behördenmitarbeiter eine „Kostensenkungsaufforderung“ raus. Außerdem dürfen die Behörden künftig eine „Quadratmeterhöchstmiete“ festlegen. Verlangt ein Vermieter zu viel Geld pro Quadratmeter, so kommt auch hier künftig ein Verfahren in Gang zur Kostensenkung. Die Regelung soll Sozialmissbrauch verhindern, etwa durch Geschäftemacher, die Zimmer in Schrottimmobilien zu horrenden Preisen vermieten und das Jobcenter dafür bezahlen lassen.

Allein den Begriff „Bürgergeld“ zu ersetzen, wird wohl fünf Millionen Euro kosten

Das alles sollen die Jobcenter künftig prüfen und dann Briefe und Bescheide rausschicken, die auch vor Sozialgerichten Bestand haben. Und das in einem Themenfeld, in dem sich die Jobcenter bisher nur bedingt betätigt haben: dem Mietrecht, das nicht gerade als übersichtlich gilt. Das Ganze dürfte die Behördenmitarbeiter lange beschäftigen. Laut dem Gesetzentwurf lassen sich durch die strengeren Regeln bei den Wohnkosten voraussichtlich 58 Millionen Euro im Jahr einsparen. Schon das ist bei Gesamtausgaben im Bürgergeld von zuletzt 52 Milliarden Euro sehr bescheiden. Die geplanten Änderungen aber führten „aufgrund zusätzlicher Prüfungen auf das Überschreiten einer Flächenhöchstmiete bzw. dem Überschreiten der Mietpreisbremse“ zu höheren Verwaltungskosten von rund 33 Millionen Euro jährlich, heißt es im Gesetzentwurf. Weit mehr als die Hälfte der erwarteten Ersparnis wird damit voraussichtlich aufgezehrt vom zusätzlichen Aufwand.

Selbst die Streichung des Begriffs „Bürgergeld“ zieht laut dem Gesetzentwurf einen Aufwand in Millionenhöhe nach sich. CDU und CSU hatten im Wahlkampf die „Abschaffung“ des Bürgergelds gefordert, nun muss der Begriff offiziell verschwinden und ersetzt werden durch die neue Grundsicherung. Fünf Millionen, so schätzt das Arbeitsministerium, wird es kosten um „IT-Verfahren, Schriftstücke, Formulare, Internetseiten, Weisungen oder auch Merkblätter anzupassen“. Hinzu kämen die nötigen Schulungen und Fortbildungen in den Jobcentern. Ob da fünf Millionen reichen? Das kann auch das Arbeitsministerium nicht sicher sagen. Im Gesetzentwurf schreibt es, die Angaben dazu seien mit „erheblichen Schätzunsicherheiten“ verbunden.

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