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In Deutschland ist Franz Wagner jetzt schon einer der ganz Großen. Weltmeister 2023, Olympia-Halbfinalist 2024, seit diesem Herbst auch noch Europameister – der 24-Jährige ist eines der Gesichter der goldenen Generation des deutschen Basketballs. Das größte Talent seit Dirk Nowitzki.
In den USA ist Wagner ein Projekt, spätestens vor der nun beginnenden Saison wird seine Entwicklung als X-Faktor bei den Orlando Magic gesehen. Das Team aus Florida startet in der Nacht (1 Uhr, Stream: DAZN) gegen die Miami Heat in die NBA-Saison. Bei Orlando ist die Hoffnung so groß wie nie.
Der Grund dafür ist das beste Jungduo im Basketball: Paolo Banchero, 22, und Wagner. Mit jeweils 2,08 Metern sind sie stark unterm Korb, fungieren aber als de facto Spielmacher der Magic. »Was wir hier mit Franz und mir haben, ist wirklich einzigartig«, sagte Banchero, Orlandos Kronjuwel, im Februar über die besondere Konstellation.
Orlandos Hoffnungsträger: Paolo Banchero (l.) und Franz Wagner
Foto: Mike Ehrmann / Getty ImagesIn der Gegenwart ist oft vom positionslosen Basketball die Rede. Das Prinzip ist einfach: Spieler sind weder so winzig wie Allen Iverson noch so riesig wie Shaquille O'Neal, sondern irgendwas dazwischen. Statt überragender Inselbegabungen werden holistische Spielerprofile geschätzt und gefördert.
Zeit, erwachsen zu werden
Das Duo Banchero-Wagner ist eine Personifikation dieser Idee. In der Geschichte der NBA waren sie vergangene Saison das erste U23-Duo überhaupt, das im Schnitt jeweils mindestens 24 Punkte, 5 Rebounds und 4 Assists pro Spiel erzielte. Hinzu kam von beiden überragende Defensivarbeit.
Seit 2021 hat sich Orlando unter Bancheros und Wagners Führung stetig verbessert, ohne zum absoluten Spitzenteam zu reifen. Beide Playoff-Teilnahmen in den vergangenen zwei Saisons endeten mit Enttäuschungen in der ersten Runde.
Jungstars mit Wachstumsschmerzen: Paolo Banchero (l.) und Franz Wagner
Foto: David Zalubowski / APDas war aber kein Skandal. Die Strategie der Magic war ohnehin langfristig ausgelegt. Wenn der Kader hier und da mal mit neuen Spielern aufgepeppt wurde, dann ohne allzu großes Risiko, denn organische Entwicklung galt vor kurzfristigen Erfolgen. Eine Art Welpenschutz.
Damit ist jetzt Schluss.
Im Sommer gab Orlando in einem Trade mit den Memphis Grizzlies wertvolle zukünftige Auswahlrechte in der Draft ab und bekam dafür Desmond Bane. Die Zukunft im Tausch gegen die Gegenwart.
Der Guard wird bis 2029 jährlich um die 40 Millionen US-Dollar verdienen. Bancheros und Wagners Gehälter sind sogar noch etwas höher, hinzu kommen rund 30 Millionen jährlich für den Aufbauspieler Jalen Suggs.
»Die Zeit ist gekommen«
Bis 2029 ist der Kurs damit festgelegt, Orlando ist kein Zukunftsprojekt mehr.
Nicht nur im Management hat ein Umdenken stattgefunden, auch in der Kabine. »Es ist mit Abstand das talentierteste Team, das wir hier je hatten«, sagte jüngst Moritz Wagner, der ältere Bruder von Franz: »Der Druck ist groß, die Zeit ist gekommen.« Als Ziel gibt er kein geringeres als die Meisterschaft aus.
Moritz Wagner (r.) vor dem Anpfiff
Foto: Mark Blinch / Getty ImagesDas mag vielleicht etwas optimistisch sein, aber auch die Konkurrenz hat große Achtung vor Orlandos Projekt. In einer Umfrage auf NBA.com werden jährlich die General Manager aller 30 NBA-Teams nach Einschätzungen zur neuen Saison gefragt. 47 Prozent stimmten für die Magic als jenes Team, das sich 2025/2026 am stärksten verbessern wird. In anderen Kategorien erhielt Orlando weitere Anerkennung, mehrheitlich wird mit einem dritten Platz der Eastern Conference gerechnet.
Die ganze Liga rechnet mit einem Entwicklungssprung. Dafür gibt es drei Gründe:
An erster Stelle gibt es die Hoffnung auf weniger Verletzungen. Vergangenes Jahr fiel erst Banchero mit einer Bauchmuskelverletzung lange aus, dann erwischte es Wagner mit dem gleichen Problem, ehe im Januar sich auch noch Suggs schwer am Knie verletzte. Von insgesamt 87 Partien spielten die drei Topverdiener gerade mal sechs gemeinsam. Hinzu kam ein Kreuzbandriss beim älteren Wagner-Bruder. Allein schon weniger Verletzungspech dürfte eine große Verbesserung bedeuten.
Frischer Wind für die Offense
Der zweite Grund ist die Komposition des Kaders, dem in den Entwicklungsjahren von Banchero und Wagner stets die Balance fehlte. Dadurch hatten die Magic mit ihren großen, physisch starken Spielern zwar eine der besten Defensiven der NBA, taten sich dafür aber im Angriff schwer.
Orlando fehlten zwei Dinge: Kreativität und vor allem Distanzschützen. Vergangene Saison trafen die Magic nur 31,8 Prozent ihrer Dreierwürfe, die schlechteste Quote als Team seit den Los Angeles Lakers 2015/2016. Das wirkte sich auf das gesamte Offensivspiel aus, weil gegnerische Verteidiger bewusst Orlandos Dreierschützen missachteten und dafür die Wege zum Korb verengten, was wiederum Banchero und Wagner oft zu verkrampften Abschlüssen zwang. Die Magic-Offense war ineffizient, träge und phasenweise kaum mitanzusehen.
Neu in Orlando: Desmond Bane
Foto: John Raoux / APGenau dafür wurde im Sommer Bane geholt. Der 27-Jährige ist einer der besten Dreierschützen der Welt, bewegt sich flüssig ohne Ball und kann außerdem als Spielmacher aushelfen. Außerdem kam mit Tyus Jones ein verlässlicher Point Guard mit guter Dreierquote für die Bank hinzu. Diese beiden Verstärkungen allein könnten Orlandos Offensive zumindest aus dem Ligakeller hieven.
Der dritte Grund ist wohl der wichtigste: die Jugend.
Spieler von Bancheros Kaliber machen häufig zu diesem Zeitpunkt ihrer Karrieren den großen Sprung vom Toptalent zur Weltklasse. Wenn es ideal läuft, könnte der bullige Forward zum Saisonende sogar ein paar Stimmen bei der Wahl zum wertvollsten Spieler (MVP) abbekommen, so schwer ist er beim Zug zum Korb aufzuhalten.
Kann Wagner seinen Wurf reparieren?
Doch nicht Banchero, sondern Wagner ist es, der dieses Jahr den Unterschied zwischen gut und großartig machen könnte. Bei der Integration von Bane wird der Deutsche das Bindeglied sein. Von Wagners intuitivem, vielseitigem Angriffsspiel wird es abhängen, ob sich die Magic-Stars nur helfen, indem sie sich mit dem Ball abwechseln oder ob sie synergetisch zusammenspielen.
Wagner muss vor allem seinen Wurf verbessern. Wäre der Deutsche gefährlicher aus der Distanz, käme nicht nur er selbst zu mehr Punkten. Das gesamte Raumspiel Orlandos profitierte davon, wenn Gegner Wagner näher am Mann decken müssten. Selbst ein vermeintlich marginaler Anstieg der Trefferquote von ein paar Prozentpunkten würde schon einen Unterschied machen.
Franz Wagner beim Slam Dunk
Foto: Stephen M. Dowell / ZUMA Press Wire / IMAGOVergangene Saison fielen die Dreier zunächst gut, aber nach der Verletzungspause fand Wagner seinen Rhythmus nicht wieder. Die Dreierquote blieb konstant unter 30 Prozent, ein schlechter Wert. Viele Beobachter meinten, eine Art Zucken in der Wurfbewegung auszumachen.
»Werfen ist eine einzelne, repetitive Bewegung«, sagte Wagner nach der Saison: »Es ist ein bisschen wie der Golfschwung. Ich glaube, mentale Aspekte spielen dabei eine große Rolle, Wiederholungen, Selbstvertrauen und so.« Für die Saisonpause habe er sich vorgenommen, viel Arbeit in seinen Distanzwurf zu stecken.
Ein besserer Dreierwurf würde Wagner in die Weltklasse bringen. Das meint auch Nowitzki, der bislang letzte deutsche NBA-Allstar. »Wir wissen alle, dass er ein super Allrounder ist. Er hat den Zug zum Korb, er kann alle verteidigen, kann alles switchen, kann vorn Pick and Roll spielen, ist ein guter Passer. Er hat ein tolles Repertoire«, sagte dieser jüngst dem SID bei einem Event des Streamingdienstes Amazon Prime, für den Nowitzki diese Saison als TV-Experte arbeitet: »Wenn er von außen ein gutes Jahr erwischt, dann ist echt alles möglich«
Der 47-Jährige hat recht. Seine herausragende Vielseitigkeit hat Wagner bis an diesen Punkt gebracht – will er noch weitergehen und in Nowitzkis Fußstapfen als deutscher Allstar und möglicherweise sogar Champion treten, muss er am grundlegendsten aller Skills im Basketball arbeiten: den Ball in den Korb werfen.

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