Im nahöstlichen Kriegsgeschehen zeichnet sich eine erste gute Nachricht ab: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sprach sich nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts am Dienstagabend für eine Waffenruhe mit Libanon aus. Ein entsprechendes Abkommen sollte noch am selben Abend dem gesamten Kabinett zur Entscheidung vorgelegt werden.
Zuvor hatte bereits die libanesische Regierung grundsätzlich ihr Einverständnis zu dem von den USA vermittelten Plan signalisiert. Ein Ende der Kämpfe an dieser Front nach mehr als einem Jahr nährt die Hoffnungen auf eine regionale Entspannung. Im Gazastreifen allerdings wird der Krieg noch mit unverminderter Härte weitergeführt.
Die geplante Vereinbarung zwischen Israel und Libanon basiert auf der bereits nach dem vorigen Libanonkrieg 2006 erlassenen UN-Resolution 1701 und sieht Berichten zufolge zunächst eine Waffenruhe für 60 Tage vor. In dieser Zeit sollen alle israelischen Truppen aus dem Süden Libanons abgezogen werden. Zugleich soll sich die Hisbollah hinter den Litani-Fluss zurückziehen, 30 Kilometer entfernt von der Grenze. Die USA werden die Umsetzung überwachen, die libanesische Armee soll künftig das Gebiet kontrollieren.
Die Hisbollah war enorm in die Defensive geraten
Strittig war bis zuletzt, wie viel Handlungsfreiheit Israel im Falle eines Bruchs der Vereinbarung durch die Hisbollah eingeräumt wird. Netanjahu betonte in seiner Ansprache am Dienstagabend, dass Israel auf jeden Verstoß des Gegners mit enormer Härte reagieren werde. „Wenn sie versuchen, ihre Terrorinfrastruktur nahe der Grenze wieder aufzubauen, werden wir angreifen“, erklärte er. Das Gleiche gelte für jeden Versuch, die Waffenlager wieder aufzufüllen.
Unmittelbar vor Netanjahus Zustimmung zur Waffenruhe hatte Israel noch einmal besonders heftige Angriffe auf die libanesische Hauptstadt Beirut geflogen, und auch die Hisbollah hatte in den vergangenen Tagen ihren am 8. Oktober 2023 begonnenen Raketenbeschuss auf Israel intensiviert. Solche letzten Demonstrationen der Stärke sind nicht ungewöhnlich – zur Abschreckung des Gegners und als Signal einer intakten Kampfbereitschaft. Grundsätzlich jedoch werden beide Seiten nun versuchen, ihre Vorteile aus einer Waffenruhe zu ziehen.
Die Hisbollah war in den vergangenen zwei Monaten militärisch enorm in die Defensive geraten. Israel hatte mit gezielten Angriffen einen Großteil ihrer Führung getötet, allen voran den langjährigen Anführer Hassan Nasrallah. Zudem waren israelische Bodentruppen in den Süden Libanons eingerückt. Israelischen Angaben zufolge wurden inzwischen bis zu 80 Prozent des Waffenarsenals der Hisbollah zerstört. Auf libanesischer Seite gab es in diesem Krieg fast 4000 Tote, mehr als eine Million Menschen waren zuletzt auf der Flucht vor den Kämpfen. In dieser Lage muss es der schiitischen Miliz und ihren Paten in Iran darum gehen, zu retten, was noch zu retten ist, um nicht völlig zerrieben zu werden.
Die Biden-Regierung soll gedroht haben, Waffenlieferungen zu verzögern
Aus Israels Armee war zu hören, dass alle strategischen Ziele im Kampf gegen die Hisbollah erreicht worden seien. Dieser Einschätzung hat sich nun wohl auch die politische Führung um Netanjahu angeschlossen. Die Hisbollah sei „um Jahre zurückgeworfen“ worden, sagte er. Die Befriedung einer Front hat für Israel zudem den Vorteil, dass dies der Armee mitsamt den vielen einberufenen Reservisten eine dringend notwendige Erleichterung verschafft. Außerdem soll es Berichten zufolge massiven Druck aus Washington gegeben haben. Die im Januar aus dem Amt scheidende Regierung von US-Präsident Joe Biden soll damit gedroht haben, Waffenlieferungen zu verzögern und im UN-Sicherheitsrat bei Israel-kritischen Resolutionen auf ein Veto zu verzichten.
Trotz Netanjahus Einverständnis gibt es in Israel auch laute Kritik an einer Waffenruhe mit der Hisbollah. Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hatte bereits vorab vor einem „großen Fehler“ und einer „verpassten historischen Gelegenheit“ gewarnt, der Hisbollah nun endgültig den Garaus zu machen. Das spiegelt die Stimmung vieler im Norden Israels wider, wo 60 000 Bewohner vor mehr als einem Jahr schon aus Sicherheitsgründen ihre Häuser hatten verlassen müssen. Ihre Regionalvertreter sprechen nun von einem „Kapitulations-Abkommen“, das ihnen kein langfristiges Ende der Bedrohung garantiere.
Unklar bleiben zunächst die Auswirkungen auf Israels zweite Front im Gazastreifen. Klar ist, dass die Hamas nun die Waffenbruderschaft zur Hisbollah einbüßt. Aus dieser Isolation erwächst die Hoffnung, dass sie ihre Forderungen in Verhandlungen zu einem Geisel-Abkommen abschwächen könnte. Anderseits gibt es jedoch auch die Befürchtung, dass Israels Armee mit mehr Freiheit im Rücken nun die Kämpfe um Gaza noch intensiver führt.