Nach der gescheiterten Wahl von Brosius-Gersdorf: So geht es jetzt im Streit um die neuen Bundesverfassungsrichter weiter

vor 14 Stunden 2

Nach der abgesagten Richterwahl im Bundestag am vergangenen Freitag sind viele Fragen offen. Was passiert, wenn sich Union und SPD nicht einigen können? Was, wenn Frauke Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur zurückzieht? Wie ist der Zeitplan der aufgeschobenen Wahl? Zum weiteren Ablauf gibt es hier die wichtigsten Antworten.


Wer ist für die Wahl zuständig?

Verfassungsrichter werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Zuständig für alle drei jetzt zu besetzenden Plätze ist der Bundestag. Das hat sich auch durch die Absetzung der Wahlen von der Tagesordnung am vergangenen Freitag nicht geändert. Der Bundestag könnte diese jederzeit nachholen.

Ein Spezialfall gilt für den Richterstuhl, für den die CDU Günther Spinner nominiert hat. Dieser Platz ist schon seit vergangenem Herbst vakant. Da der Bundestag sich bisher nicht auf einen Nachfolger einigen konnte, hatten die Verfassungsrichter in Karlsruhe selbst das Recht, geeignete Kandidaten vorzuschlagen. Davon machten sie am 22. Mai Gebrauch, einer der Vorgeschlagenen war Spinner. Der Bundestag ist an diese Vorschläge aber nicht gebunden.

Hat das zuständige Wahlorgan innerhalb von drei Monaten, nachdem ihm das Bundesverfassungsgericht einen Wahlvorschlag gemacht hat, keinen Nachfolger gewählt, kann sein Wahlrecht auch vom anderen Wahlorgan ausgeübt werden.

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, § 7a, Abs. 5.

Durch ihre Vorschläge haben die Richter den sogenannten Ersatzwahlmechanismus in Gang gesetzt. Dieser ermöglicht es nach Ablauf von drei Monaten, also nach dem 22. August, auch dem Bundesrat, anstelle des Bundestags einen Richter oder eine Richterin zu wählen. Das Recht, die Wahl auch weiterhin selbst vorzunehmen, bleibt dem Bundestag aber erhalten.

Für die Posten, die Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Kathrin Kaufhold betreffen, ist dieser Mechanismus noch nicht in Gang gesetzt worden.


Wie ist der Zeitplan?

Geht es nach den Grünen, soll es möglichst schnell gehen. Die Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann forderten ihre Amtskollegen Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD) in einem Brief auf, noch diese Woche eine Sondersitzung des Bundestags zu beantragen. „Wir halten es für unverantwortlich, diese wichtige Entscheidung des Bundestags über Wochen offenzulassen“, mahnten die Grünen-Fraktionschefinnen. Das sei auch eine Frage des Respekts den Kandidierenden gegenüber.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass es zu einer schnellen Sondersitzung kommt. Solange sich Union und SPD nicht über das weitere Vorgehen verständigt haben, werden sie eine solche nicht beantragen. Die SPD will an Brosius-Gersdorf festhalten, aus der Union gibt es Forderungen, sie solle zurückziehen. Wie dieses Dilemma aufgelöst werden soll, ist noch völlig unklar.

Viele im Bundestag möchten alle drei Richter als Paket abstimmen und dem Bundesrat nicht die Besetzung eines der Posten überlassen. Das wäre aber theoretisch auch noch nach der Sommerpause möglich, da der Bundestag bereits Anfang September wieder regulär tagen wird, die nächste Bundesratssitzung aber erst für den 26. September angesetzt ist.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sprach sich deshalb für eine Wahl nach der Sommerpause aus. Bereits Ende August müsste der Bundestag allerdings auch für den Sitz von Doris König, für deren Nachfolge Brosius-Gersdorf nominiert ist, Vorschläge aus Karlsruhe einholen, wenn die Wahl bis dahin nicht erfolgt ist.


Was passiert, wenn Brosius-Gersdorf zurückzieht?

Frauke Brosius-Gersdorf ist offiziell als Kandidatin durch den Richterwahlausschuss des Bundestags nominiert. Sie erhielt dort mindestens zwei Drittel der Stimmen, mutmaßlich also auch die der Union.

Würde sie ihren Rückzug erklären, müsste der Ausschuss erneut einberufen werden, um einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin zu nominieren. Dabei hätte aufgrund einer informellen Absprache erneut die SPD das Vorschlagsrecht, da sie vor zwölf Jahren auch die Verfassungsrichterin Doris König nominiert hatte.

Zwischen Union, SPD, Grünen und FDP ist ein Besetzungsschlüssel von 3:3:1:1 für jeden der beiden Senate des Gerichts vereinbart. Daran gibt es aber Kritik von der Linkspartei, die für sich selbst ebenfalls ein Vorschlagsrecht fordert. Im Bundestag sind die Kandidaten rechnerisch auf die Stimmen der Linken oder der AfD angewiesen, da eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Selbst wenn sich Union und SPD doch einigen würden, könnte die Wahl also theoretisch auch an dieser Hürde scheitern.


Bleibt das Gericht in der Zwischenzeit arbeitsfähig?

Ja, das Gericht bleibt voll arbeitsfähig. Im Grundgesetz ist festgelegt, dass Verfassungsrichter nach Ablauf der Amtszeit ihre Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers fortführen. Karlsruhe droht also keine Unterbesetzung, sondern lediglich einigen Verfassungsrichtern die Verschiebung ihres Ruhestands.

Gesamten Artikel lesen