Es gibt international wenig Zweifel daran, dass Min Aung Hlaing, 68, Anführer der Junta in Myanmar, ein Verbrecher ist. In der Nacht auf den 1. Februar 2021 wollte der General in einem Staatsstreich die Macht im Land an sich reißen, er ließ die Regierungschefin Aung San Suu Kyi einsperren und jeden Widerstand blutig niederschlagen. Das Land versinkt seitdem im Bürgerkrieg. Tausende wurden ermordet, verschleppt, gefoltert. Hunderttausende sind auf der Flucht.
Derselbe Min Aung Hlaing war allerdings auch schon verantwortlich für die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohingya in den Jahren 2016 und 2017. Mehr als 700 000 Rohingya mussten damals vor einer Militäroffensive im Bundesstaat Rakhine nach Bangladesch fliehen, wo sie bis heute in Flüchtlingslagern leben. Als Chef der Streitkräfte unter der Regierung von Aung San Suu Kyi war er auch dafür verantwortlich, dass die Rohingya nicht nur vertrieben, sondern massenhaft vergewaltigt und umgebracht wurden, gemeinsam mit der Polizei und buddhistischen Anwohnern walzten die Soldaten ganze Dörfer nieder.
Ein „Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberung“
In einem Bericht der Vereinten Nationen wurde das Vorgehen später als „Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberung“ bezeichnet. Und für dieses „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ soll sich Min Aung Hlaing bald vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verantworten. Der IStGH ermächtigte bereits im Jahr 2019 seinen Chefankläger Karim Khan, wegen der Vertreibungen eine umfassende Untersuchung einzuleiten. Es wurde ein Präzedenzfall geschaffen, weil Myanmar den IStGH nicht anerkennt, die Staatsanwälte die Verbrechen aber auf Antrag von Bangladesch untersuchen, das dem Römischen Statut beigetreten ist, welches dem Gerichtshof zugrunde liegt.
Eine Untersuchung vor Ort wurde durch den Bürgerkrieg, der seit dem Putschversuch in Myanmar tobt, unmöglich. Doch die Ermittler stützten sich auf Zeugenaussagen sowie auf dokumentarische Beweise und beglaubigtes wissenschaftliches, fotografisches und gefilmtes Material. Die Staatsanwaltschaft erklärte am Mittwoch, ihre Ermittlungen seien umfassend, unabhängig und unparteiisch, und es würden weitere Anträge auf Haftbefehle gegen Myanmar folgen. Ein Sprecher der Junta erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass das Land kein Mitglied des IStGH sei und dass man dessen Erklärungen nicht anerkenne.
Ein Gremium von drei Richtern wird nun entscheiden, ob es genügend „vernünftige Gründe“ gibt, um anzunehmen, dass Min Aung Hlaing strafrechtliche Verantwortung für die Deportation und Verfolgung der Rohingya in Myanmar trägt. Es gibt keinen festen Zeitrahmen für die Entscheidung, aber im Allgemeinen dauert es etwa drei Monate, bis ein Haftbefehl ausgestellt wird. Min Aung Hlaing reist kaum, und wenn dann nur in Staaten wie China oder Russland, die ihn stützen und schützen und sich dem IStGH ebenso wenig angeschlossen haben wie die USA und Indien. Eine Verhaftung ist also unwahrscheinlich.
Doch die Nachricht bringt „einen seltenen Tag des Feierns für die Rohingya“, wie Tun Khin, ein prominenter Rohingya-Aktivist, dem britischen Guardian am Mittwoch sagte. „Jahrzehntelang hat die internationale Gemeinschaft zugelassen, dass das Militär in Myanmar internationales Recht gegen ethnische und religiöse Minderheiten verletzt, ohne etwas dagegen zu unternehmen.“ Nun sei endlich ein Schritt in Richtung Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht getan.
Auf Recht und Rechenschaft hoffen auch die Opfer des „War on Drugs“ auf den Philippinen, den Rodrigo Duterte in seiner Amtszeit als Präsident von 2016 bis 2022 ausgerufen hatte. Die Kampagne wird vom IStGH als „weitverbreiteter und systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ bezeichnet. Von 12 000 bis 30 000 reichen die Schätzungen, wie viele Menschen bei dieser offenen Jagd auf Dealer ermordet wurden. Die IStGH-Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum vom 1. Juli 2016, als Duterte sein Amt antrat, bis zum 16. März 2019, als Duterte die Philippinen wegen dieser Untersuchung aus dem IStGH zurückzog.
Das Büro von Ferdinand Marcos Jr., Dutertes Nachfolger, ließ vor wenigen Wochen eine Erklärung verbreiten, dass man zwar weiterhin nicht mit dem IStGH zusammenarbeiten werde, sich aber verpflichtet fühle, Duterte zu verhaften, wenn es eine offizielle „rote Notiz“ von Interpol gäbe, in der seine Verhaftung im Namen des IStGH gefordert wird. Nicht zuletzt deswegen kam es zum Bruch mit der Vizepräsidentin Sara Duterte – der Tochter des Ex-Präsidenten.
Rodrigo Duterte wiederum blieb sich treu, „Was ich getan habe, habe ich für mein Land und für die jungen Leute getan“, sagte er bei der Anhörung zu dem Thema Ende Oktober im philippinischen Parlament. „Keine Ausreden. Keine Entschuldigungen. Wenn ich in die Hölle komme, dann soll es so sein.“ Vielleicht geht es dort bald hektischer zu als vor dem Strafgerichtshof, der seine Arbeit macht, aber die Angeklagten schwer zu greifen bekommt. Aber immerhin haben die Opfer das Gefühl, dass Politiker nicht mit allem einfach davonkommen.