Museum muss es verraten: Wer hat Schabowskis berühmten Zettel verkauft?

vor 9 Stunden 1

Es ist der 9. November 1989, 18.53 Uhr. Günter Schabowski, Mitglied der Führungsriege der DDR, teilt am Ende einer internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin recht Erstaunliches mit. Man habe eine Regelung getroffen, die „die ständige Ausreise regelt, also das Verlassen der Republik“. Die Details der Neuregelung waren ihm bis dahin unbekannt, er liest sie von einem Papier ab. Überschrieben ist es mit „Ministerrat VVS b2-937/89“ und „Beschlußvorschlag“, wobei der Wortteil „vorschlag“ händisch durchgestrichen ist.

Der Zettel kostete 25.000 Euro

Daneben gibt es einen von Schabowski handgeschriebenen Zettel, sein persönlicher Fahrplan für die Pressekonferenz. Es handelt sich nicht um ein amtliches Dokument, deshalb ist der Zettel nie ins Bundesarchiv überführt worden.

Was steht auf dem Zettel? Vermerkt ist, dass die Bekanntgabe der Reiseregelung ganz am Schluss der Pressekonferenz erfolgen solle: DDR-Bürger könnten nun ständige Ausreisen und Privatreisen beantragen, Genehmigungen würden kurzfristig erteilt.

Internationale Journalisten fragen: Wann tritt das in Kraft? Schabowski spricht spontan seine berühmten Worte: „Sofort, unverzüglich!“ (die nicht auf dem Zettel stehen). Die „Tagesthemen“ verkünden verfrüht die Maueröffnung. DDR-Bürger dringen daraufhin an den Grenzen auf Durchlass. Mit Erfolg: Noch vor Mitternacht fällt die Mauer.

So sieht Schabowskis berühmter Zettel aus.So sieht Schabowskis berühmter Zettel aus.dpa

Erst später wird der Zettel berühmt. Heute befindet er sich im „Haus der Geschichte“ in Bonn und ist auch in der neuen Dauerausstellung zu sehen. Das Museum hatte den Zettel gekauft und dafür 25.000 Euro bezahlt, offen bleibt jedoch: an wen?

Der Reporter stellte drei Fragen

Seit langem will der „Bild“-Chefreporter Hans-Wilhem Saure das wissen. Das Museum, es gehört zu einer Stiftung des Bundes, schweigt. Man habe den Verkäufern Anonymität zugesichert. Verletze man diese Anonymität, müsse der Zettel womöglich zurückgegeben werden. Saure klagte trotzdem und verwies auf seinen Auskunftsanspruch nach Presserecht.

Der Reporter wollte drei Fragen beantwortet wissen: Wie heißt die Person, von der der Schabowski-Zettel erworben wurde? Wie heißt die Person („Erstverkäufer“), von der der Zweitverkäufer den Schabowski-Zettel erworben hat? Und: Wie lautet der Inhalt dieses Vertrages beziehungsweise der Vereinbarung im Wortlaut?

 Günter Schabowski, Mitglied des damaligen Politbüros des ZK der SED und 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, auf der Pressekonferenz am 9. November 1989.Danach ging die Mauer auf: Günter Schabowski, Mitglied des damaligen Politbüros des ZK der SED und 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, auf der Pressekonferenz am 9. November 1989.dpa

Das Verwaltungsgericht Köln entschied im Februar 2022, das Museum müsse die ersten beiden Fragen beantworten (Az. 6 K 3228/19). Das öffentliche Interesse an der „Aufklärung der Erwerbshintergründe“ überwiege die Anonymitätszusage. Zumal die Zusage der Anonymität zunächst nur mündlich in Ergänzung des schriftlichen Kaufvertrags vereinbart worden war und diese Zusage offenbar auch erst nach der ersten Presseanfrage erfolgte. Das Verwaltungsgericht urteilte: „Eine effektive funktionsgemäße Betätigung der Presse setzt voraus, dass ihre Vertreter in hinreichendem Maß von staatlichen Stellen Auskunft über Angelegenheiten erhalten, die nach ihrem Dafürhalten von öffentlichem Interesse sind. Mit der hohen Bedeutung der Presse für die öffentliche Meinungsbildung in der Demokratie wäre es nicht vereinbar, insoweit eine restriktive Betrachtungsweise an den Tag zu legen.“ Das Museum legte Berufung ein.

Saure: „Transparenz hat gesiegt“

Nun entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster erneut zugunsten von „Bild“ (Az. 15 A 750/22). Abermals sagt ein Gericht: Das Informationsinteresse der Presse überwiege die Vertraulichkeitsinteressen des Zweitverkäufers und des Museums. Die Weitergabe der in Rede stehenden personenbezogenen Daten an „Bild“ betreffe allein die Sozialsphäre des Zweitverkäufers. Besondere, über den Wunsch nach Anonymität hinausgehende Gründe lägen nicht vor. Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Folglich kann das Verfahren noch Jahre dauern. Dass das „Haus der Geschichte“ den Prozess fortführen wird, ist zu vermuten.

Der „Bild“-Chefreporter Saure sagte der F.A.Z. auf Anfrage: „Die Transparenz hat gesiegt. Das Urteil stärkt den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Behörden und die Pressefreiheit. Das OVG hat ebenso wie das Verwaltungsgericht Köln das erhebliche öffentliche Interesse an der von ‚Bild‘ gestellten Frage zu dem Verkäufer des berühmten Schabowski-Zettels bestätigt. Kritisch sehe ich die Länge des Verfahrens über zwei Instanzen und mehr als sechs Jahre.“ Bis wir wissen, wer Schabowskis Zettel dem Museum verkaufte, wird es indes wohl noch weiter dauern.

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