Militärpolitische Reise von Boris Pistorius: Handlungsreisender für die deutsche Rüstungsindustrie

vor 1 Tag 1

Verteidigungsminister Boris Pistorius ist seit Tagen in Kanada, Island und Großbritannien unterwegs. Es geht um Sicherheit – und um lukrative Aufträge.

23. Oktober 2025, 16:51 Uhr

4 Kommentare
 Boris Pistorius (rechts) und John Healey, Verteidigungsminister von Großbritannien, am Donnerstag auf der Royal Airbase in Lossiemouth, daneben der Seefernaufklärer Poseidon P8
Boris Pistorius (rechts) und John Healey, Verteidigungsminister von Großbritannien, am Donnerstag auf der Royal Airbase in Lossiemouth, daneben der Seefernaufklärer Poseidon P8 © Kay Nietfeld/​dpa

Ein Leuchtturmprojekt muss nicht leuchten, es kann auch in unscheinbarem Grau daherkommen, aus einem fensterlosen Airbus 737 bestehen und auf einem zugigen Rollfeld im schottischen Nordwesten, in einem Küstenort namens Lossiemouth, auf seinen nächsten Einsatz warten. Das einzig Auffallende, sogar ein wenig Exzentrische, an diesem leuchttürmigen Projekt ist der Name – er klingt weniger nach einem hochmodernen militärischen System als nach einem der zahlreichen Sprösslinge von Elon Musk: P-8A-Poseidon.

Boris Pistorius wird gleich eine dieser "P-Eight", so das Fach-Jargon-Kürzel, besteigen, in die Lüfte über dem nördlichen Atlantik entschweben und die Nordflanke der Nato sichern. Allerdings nur auf Probe. Denn noch besitzen bloß Briten und Amerikaner und der ein oder andere Nato-Staat diesen modernen Seefernaufklärer, mit dem sich feindliche U-Boote besser bekämpfen lassen als bisher. Doch schon im November soll auch die deutsche Marine ihren ersten erhalten, sieben weitere werden in den kommenden zwei bis drei Jahren folgen. Man könnte sie auch U-Boot-Jagdflugzeuge nennen. Seefernaufklärer hört sich aber defensiver an, mehr nach Verteidigung als nach Angriff.

Ein Leuchtturmprojekt ist das Flugzeug, weil es vor genau einem Jahr im Trinity House Agreement – einem Abkommen zwischen Deutschland und Großbritannien zur vertieften Kooperation in Sicherheitsfragen – als solches identifiziert wurde, neben drei weiteren. Ziel: die militärische Schlagkraft Europas entscheidend erhöhen, um Russland vor Provokationen, Sabotageakten und letztlich vor einem Angriff abzuschrecken. Anders gesagt: Es soll in großem Stil nachgerüstet werden.

Es geht auch um die Nachschublinien zwischen Nordamerika und Europa

Mit seinem Besuch in Lossiemouth – einem Ort, der im Wesentlichen aus einer gigantischen Base der Royal Air Force, ein paar versprengten Häusern und viel grasgrünem, sehr windigem Nichts besteht – rundet Pistorius von Mittwochabend bis Donnerstagmittag eine fünftägige Reise nach Island, Kanada und Großbritannien ab. Die Tour stand ganz im Zeichen der Sicherheitskooperation im Nordatlantik, einer Region, die immer stärker in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt. Wegen des Wettlaufs um den besten Zugang zur rohstoffreichen Arktis, wegen ihrer Bedeutung für die Seeverbindungs- und, im Ernstfall, für die Nachschublinien zwischen Nordamerika und Europa, wegen der Gefahr von Sabotageakten gegen dort verlaufende, wichtige Unterseekabel. 

Und weil vor allem in der strategisch wichtigen GIUK-Lücke – den Meeresbereichen zwischen Grönland, Island und Großbritannien – immer häufiger mit Nuklearwaffen bestückte russische U-Boote auftauchen. Folge: Mehrere Anrainerstaaten der Nato verstärken ihre Zusammenarbeit, erhöhen ihre maritime Präsenz – und rüsten nach. Bei dem Pistorius-Trip ging und geht es vor allem um U-Boote. Und halt um jene modernen Systeme, mit denen man sie so schnell entdecken und so effektiv bekämpfen kann wie noch nie: den Seefernaufklärern.

Im vergangenen Jahr gründeten die Nato-Partner Deutschland, Norwegen und Kanada eine sogenannte Maritime Sicherheitspartnerschaft, der inzwischen auch Dänemark beigetreten ist. Ziel ist es, Ausbildung und Übungen der jeweiligen Armeen so zu synchronisieren, dass gemeinsame Einsätze so effektiv wie möglich gestaltet werden können. Die Deutschen und Norweger sind mit einer Initiative vorgeprescht, für die sie nun auch die Kanadier begeistern wollen, weshalb neben Pistorius sein norwegischer Amtskollege Tore Sandvik ins kanadische Ottawa gereist kam. 

Die beiden Länder haben vor geraumer Zeit beim deutschen Rüstungskonzern Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) zehn baugleiche U-Boote der Klasse 212 CD bestellt, sechs die Deutschen, vier die Norweger. Mit dem – fast völligen – Verzicht auf nationale Sonderwünsche soll nicht nur Geld gespart, sondern auch die "Interoperabilität" erhöht werden, also die Fähigkeit zur reibungslosen Zusammenarbeit. Und dies in einem Ausmaß, dass die Besatzungen ohne Effizienzverluste komplett ausgetauscht werden könnten. Innerhalb des Bündnisses bedeutet diese "Changeability" etwas, das sich im Unterwasserbereich ein wenig skurril anhört: Neuland. Kanada soll jetzt als dritter Partner der Allianz der identischen U-Boot-Besitzer beitreten. 

Beim deutschen Verteidigungsminister fielen im Kanada-Teil seiner Reise daher das strategisch Sinnvolle mit dem wirtschaftlich Vorteilhaften zusammen. Pistorius, ein gelernter Kaufmann im Groß- und Außenhandel, vertrat in Ottawa nicht nur seine sicherheitspolitischen Überlegungen, sondern auch die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie, genauer gesagt die von TKMS.   

Gesamten Artikel lesen