Marathonläuferin Wolha Mazuronak aus Belarus: Von der Nationalheldin zur unerwünschten Person

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Im Februar 2025 überquerte die belarussische Marathonläuferin Wolha Mazuronak in Hongkong die Ziellinie als Erste. Mit einer Zeit von 2:27:00 Stunden hängte sie die Konkurrenz aus Äthiopien und Kenia deutlich ab. Knapp sieben Jahre zuvor hatte sie mit einem dramatischen Sieg bei den Europameisterschaften in Berlin für weltweites Aufsehen gesorgt: starkes Nasenbluten, eine falsche Abzweigung genommen – und trotzdem holte sie Marathon-Gold.

Damals war sie eine strahlende Nationalheldin. Doch schon bald darauf entzogen ihr dieselben Leute, die Mazuronak gefeiert und für ihre Leistung belohnt hatten, ein Stipendium, schlossen sie aus dem Nationalteam aus und erzwangen eine Karrierepause.

Der Grund für den plötzlichen Wandel: 2020 fanden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt. Alexander Lukaschenko, Machthaber seit 1994, erklärte sich bereits zum sechsten Mal und mit diesmal 80 Prozent zum haushohen Wahlsieger. Die Opposition und internationale Beobachter wiesen auf Betrug hin, Lukaschenko ließ Massenproteste von Sicherheitskräften niederknüppeln.

Wie Hunderte belarussische Sportler unterzeichnete auch Mazuronak einen offenen Brief mit der Forderung nach fairen Neuwahlen, dem Ende der Gewalt und der Freilassung der politischen Gefangenen. »Selbst nach all der Brutalität habe ich vom Staat kein Wort der Reue vernommen. Im Gegenteil, die Verantwortlichen wurden ausgezeichnet«, sagte sie im August 2020 auf Russisch dem polnischen Sender Belsat, der Programme für Zuschauer in Belarus ausstrahlt.

»Das sind meine Leute, keine Fremden«

Was sie bei einem Treffen von Sportminister Sergej Kowaltschuk mit Leichtathleten besonders aufbrachte: »Er fragte, ob jemand von uns enge Verwandte habe, die gelitten hätten«, sagte sie der Sportzeitung »Pressbol«. »Diese Frage war die schmerzhafteste von allen. Das sind meine Leute, keine Fremden. Das bedeutet, dass diejenigen, die gelitten haben, mir nahestehen.« Ihre Solidarität mit dem belarussischen Volk, das ihr in den Stadien und an den Fernsehschirmen zugejubelt hatte, löste eine Kettenreaktion aus.

Bis heute zählt Wolha Mazuronak zu den besten Marathonläuferinnen jenseits von Afrika. Bei großen Rennen war sie stets in der Spitzengruppe, belegte Platz vier beim London-Marathon 2016, jeweils Platz fünf bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio und bei der WM 2019 in Katar. Mit dem Sieg beim Hongkong-Marathon 2019 sicherte sie sich ihren Olympiaplatz für Tokio.

Zweimal wurde sie als beste belarussische Leichtathletin ausgezeichnet, erhielt ein Stipendium des Präsidenten Lukaschenko und 2019 sogar eine Medaille für herausragende Leistungen im Militärdienst. Denn formell wurde sie als Sportlehrerin in der belarussischen Armee geführt, wie viele Athleten.

Ende 2020 war das alles vorbei. Nun war Wolha Mazuronak eine Persona non grata.

Gedemütigt vom Regime

Ihr Stipendium wurde gestrichen, man versetzte Mazuronak zum »echten Dienst« in die Armee. Ohne ihren Status im Bereich des Sportministeriums konnte sie nicht länger im Nationalteam sein. Ihre einzige Möglichkeit zur Rückkehr, wie die internationale Sportseite Tribuna.com berichtete: eine persönliche Entschuldigung beim Sportminister.

 »Als ob ein Teil meines Lebens einfach verschwunden wäre«

Langstrecklerin Mazuronak 2021 in Tokio: »Als ob ein Teil meines Lebens einfach verschwunden wäre«

Foto: Ramsey Cardy / Sportsfile / Getty Images

Mazuronak beugte sich notgedrungen und konnte daraufhin 2021 in Tokio starten. Weil ihr eine angemessene Finanzierung fehlte, hatten belarussische Bürgerinnen und Bürger zwischenzeitlich Geld für das Trainingslager der Läuferin gesammelt. »Mazuronak war in meinem Büro. Sie hat sich entschuldigt«, bestätigte Sportminister Kowaltschuk nach den Olympischen Spielen in einem Interview mit dem staatlichen Medienhaus SB Belarus Segodnia.

Beim Olympiamarathon in Tokio erreichte Mazuronak Platz fünf – als schnellste europäische Läuferin. Danach verschwand sie von der internationalen Bühne, auch weil der Leichtathletik-Weltverband wie zahlreiche weitere Sportverbände Russland und Belarus wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine 2022 von Wettkämpfen ausschlossen.

»Meine Olympischen Spiele für Belarus sind vorbei«

»Kein Verbot ist vergleichbar mit dem Tod von Menschen, die einen Krieg erlebt haben«, sagte Mazuronak dem Blog »Liudi«, nachdem sie das Land bereits verlassen hatte. Erst 2024 tauchte sie wieder auf und wurde Zweite beim Marathon in Los Angeles. Nach dem Comeback kündigte sie ihren Umzug in die USA an: »Meine Olympischen Spiele für Belarus sind vorbei.«

»Ich hatte das Gefühl, dass ich gerade meinen Höhepunkt erreicht hatte, dass alles noch vor mir lag«, sagte sie über ihre Entscheidung. »Aber dann kamen die Pandemie, familiäre Probleme, all das, was in Belarus und in der Welt geschah … Es ist, als ob ein Teil meines Lebens einfach verschwunden wäre und meine Karriere in einem Augenblick vorbeiflog.«

Trotzdem fand Mazuronak die Kraft weiterzulaufen. Noch schneller sogar, mit inzwischen fast 36 Jahren: In Minnesota brach sie den Streckenrekord und gewann den Marathon in persönlicher Bestzeit von 2:23:52 Stunden, siegte zuletzt auch erneut in Hongkong. Nun will sie sich ein neues Leben in den Vereinigten Staaten aufbauen und unter 2:22:00 laufen.

Unter Druck der Diktatur

Vor, bei und nach den Olympischen Spielen 2021 hatte das Regime in Belarus Athletinnen und Athleten massiv bedroht. Dennoch beklagte ausgerechnet der daran beteiligte Sportminister Kowaltschuk, der Sport sei »zu einem Werkzeug in den Händen skrupelloser Politiker geworden« und habe »seine Anziehungskraft und Unabhängigkeit verloren«. Die Rechte von »Athleten, Trainern und allen, die den Sport lieben und unterstützen, werden grob verletzt. Dies gilt insbesondere für russische und belarussische Sportler«, sagte er 2023 bei einer Konferenz in Baku.

 Beide ließen sich durch Scheinwahlen bestätigen – zuletzt mit jeweils rund 88 Prozent der Stimmen

Präsidenten Lukaschenko und Putin (2021 in Sotschi): Beide ließen sich durch Scheinwahlen bestätigen – zuletzt mit jeweils rund 88 Prozent der Stimmen

Foto: Sergei Ilyin / imago images/ITAR-TASS

Dabei hatte die Lukaschenko-Diktatur schon lange vor internationalen Sanktionen versucht, Athletinnen und Athleten zum Schweigen zu bringen. »Ich wurde in Belarus erdrückt«, sagte Mazuronak im »Liudi«-Interview. Die Hindernisse, mit denen sie konfrontiert war, seien direkt von Sportminister Kowaltschuk aufgebaut worden. Auch ihre Versuche, im Sport aktiv zu bleiben, habe man systematisch blockiert: »Irgendwann habe ich versucht, meinen eigenen Laufklub zu eröffnen, aber das wurde nicht erlaubt.«

Solange belarussische Athleten noch im Ausland an Wettkämpfen teilnahmen, habe das Sportministerium vermieden, sie direkt unter Druck zu setzen, aus Furcht vor möglichen Sanktionen des Internationalen Olympischen Komitees, so Mazuronak weiter. »Aber jetzt, wo die Belarussen bereits gesperrt sind, können sie den Leuten leicht den Sauerstoff abschnüren.«

Start unter anderer Flagge

Schätzungen zufolge haben in den vergangenen fünf Jahren über eine halbe Million Belarussen das Land verlassen, darunter viele Sportlerinnen und Sportler. Manche beschlossen, ihre Karrieren in Ländern mit mehr Sicherheit und Unterstützung fortzusetzen. So treten inzwischen unter der polnischen Flagge an:

  • Kristina Timanowskaja, belarussische Meisterin im 100- und 200-Meter-Sprint und Silbermedaillengewinnerin bei den U23-Europameisterschaften 2017. Sie sollte die Olympischen Spiele in Tokio gegen ihren Willen verlassen, nachdem sie die Mannschaftsleitung kritisiert hatte, und ging 2021 aus Angst ins Exil. Inzwischen hat sie den polnischen Pass und erreichte 2023 das WM-Halbfinale.

  • Ksenja Drontschanka, zweifache U21-Karate-Europameisterin in der Klasse bis 55 Kilogramm

  • Hochspringerin Marija Schodsik, belarussische Meisterin 2020 und polnische Meisterin 2024

  • Bogenschützin Karina Kaslouskaja, mit dem belarussischen Frauenteam auf Rang 4 in Tokio

Doch nicht jede Geschichte führt zu einem Neuanfang. Ihre Meinung zu äußern, bedeutete für andere Sportlerinnen und Sportler aus Belarus ein frühes Ende ihrer Karriere und der Träume, die sie einst hatten.

Etliche Athleten erhielten keinen Zugang mehr zu den Nationalmannschaften oder zu Wettkämpfen. Ihre Namen sind von den Sportseiten verschwunden. Sie mussten alle sportlichen Ambitionen zurückstellen und ein neues Leben aufbauen – für sich selbst und für ihre Familien.

Unterdessen hat Machthaber Lukaschenko, 70, seine siebte Amtszeit angetreten: Nach einer Scheinwahl Ende Januar mit angeblich 87,6 Prozent Zustimmung ließ er sich für weitere fünf Jahre im Präsidentenamt bestätigen.

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