Zu Fehleinschätzungen kommt es im Kunstbetrieb nicht nur dann, wenn Kunsthändler, Sammler oder Museumskuratoren Fälschungen für Originale halten. Es gibt auch Fälle, bei denen umgekehrt echte Kunstwerke nicht als solche erkannt werden. Die Objekte werden dann versehentlich zu Fälschungen erklärt oder einem falschen Urheber zugeschrieben. Dass kein Experte und kein Kenner davor gefeit ist, zeigen die drei folgenden, teils skurrilen Beispiele.
Ins Depot verbannt
Die äußerst vermögenden Schwestern Gwendoline und Margaret Davies aus Wales trugen von 1908 an eine bedeutende Sammlung französischer Malerei des 19. Jahrhunderts zusammen. In Londoner Galerien und Auktionshäusern erwarben sie außerdem sieben Ölgemälde des englischen Landschaftsmalers William Turner, die sie 1951 dem National Museum Cardiff vermachten. Fünf Jahre danach wurden jedoch drei der Werke von den Ausstellungswänden abgehängt: „Margate Jetty“, „Off Margate“ und „The Beacon Light“. Denn die angesehenen Experten der Tate Gallery in London hatten an ihrer Echtheit gezweifelt.

Deren Gutachten wurden nicht infrage gestellt, da das Museum – heute unter dem Namen Tate Britain bekannt – die weltweit umfangreichste Sammlung an Werken Turners besitzt. So verblieben die drei Gemälde 57 Jahre lang in den Depots des National Museum Cardiff, bis 2013 kunsttechnologische Analysen und Provenienzrecherchen ergaben, dass es sich doch eindeutig um Originalwerke von Turner handelt – eine für die beiden beteiligten Museen peinliche, aber natürlich wichtige Erkenntnis.
Ein anderer Irrtum unterlief dem Online-Auktionshaus Tiberius in Wien. Ende 2024 kam ein kleines Ölgemälde zum Aufruf: „Die Madonna mit Kind im Schoß der heiligen Anna, verehrt von den Heiligen des Hauses Habsburg“. Die Zuschreibung für die Ölskizze auf Holz lautete: Peter Paul Rubens und Werkstatt. Die Versteigerer hielten das Werk also nicht für eine rein eigenhändige Arbeit des flämischen Meisters und boten es deshalb für bescheidene 3000 Euro an. Auf der Auktion wurde es schließlich für über 50.000 Euro an einen Händler verkauft, was – wie sich herausstellte – immer noch ein Schnäppchen war.
Ein echter Rubens
Nach der Versteigerung wurde das Bild dem Centrum Rubenianum in Antwerpen vorgelegt, und die dortigen Experten waren begeistert: Nils Büttner, der Vorsitzende der Institution und einer der Herausgeber des „Corpus Rubenianum“, des Werkverzeichnisses des Künstlers, ist sich mit seinen Kollegen einig, dass Rubens der alleinige Urheber des Gemäldes ist. Wie Büttner auf Anfrage erklärte, hat der Künstler die komplexe Komposition im Malprozess, also ohne Unterzeichnung, angelegt, und auch die verwendeten Farbpigmente und die malerische Handschrift im Sinne des Individualstils verweisen eindeutig auf Rubens.
Die Arbeit, die zwischen 1621 und 1628 entstanden ist, wurde mittlerweile in den Catalogue raisonné aufgenommen und dadurch nobilitiert – und der Händler, der das Werk erwarb, kann sich freuen, denn als Original von Rubens kann er es nun für einen Millionenbetrag anbieten.

Bei einem Gemälde des italienischen Malers Giorgio de Chirico ist die Lage komplizierter. Denn nicht Museumskuratoren oder Auktionatoren unterlief eine Fehleinschätzung, sondern dem Künstler selbst. Das Ölbild „Der Wiedergänger“ von 1918 wurde von de Chirico 1972 auf einer Museumsausstellung als Fälschung bezeichnet. Heute dagegen gilt das surrealistische Bild mit zwei Figurinen in einem Innenraum unzweifelhaft als Original. Für die kunsthistorische Forschung – man denke etwa an Paolo Baldacci und Wieland Schmied – stand die Authentizität seit jeher außer Frage. Der Experte Gerd Roos betonte gegenüber der F.A.Z., dass es für das Gemälde eine lückenlose Provenienz gebe. Zum Beispiel belegen historische Schriftstücke und eine Fotografie, die das Bild 1929 in der Pariser Wohnung des Sammlers Jacques Doucet zeigt, die Herkunft und Geschichte des Werks. Röntgenaufnahmen, die den malerischen Entstehungsprozess verdeutlichen, untermauern ebenfalls, dass de Chirico sich mit seinem ablehnenden Urteil geirrt hat.
2008 konnte sich auch die Fondazione Giorgio e Isa de Chirico in Rom der Evidenz des Faktischen nicht mehr verschließen und bestätigte die Echtheit. Im Februar 2009 wurde das Gemälde auf der legendären Christie’s-Auktion der Sammlung von Yves Saint Laurent und Pierre Bergé im Pariser Grand Palais für über elf Millionen Euro versteigert. Heute gehört es dem Musée National d’Art Moderne im Centre Pompidou und gilt als eines der Hauptwerke des Künstlers.