Es half wohl nichts, mit jenen Menschen in Peking zu reden, die Chinas Politik bestimmen. Mit jenen Vertretern des Regimes, die Einfluss auf die Geschehnisse in Fabriken in der Provinz Xinjiang hätten, wo Russland offenbar neue Drohnen zum Einsatz gegen die Ukraine herstellen lässt. Also wählt die EU jetzt eine Sprache, die China verstehen soll: Sie plant Sanktionen gegen mehr als ein Dutzend chinesische Firmen, die mutmaßlich Russlands Angriffskrieg unterstützten. Entweder indem sie am Export von militärisch nutzbaren Gütern ins Nachbarland beteiligt sind. Oder indem sie direkt militärisch wichtiges Material an Moskau liefern.
Mit der neuesten Ausweitung der EU-Sanktionen gegen Russland macht Brüssel jetzt also erstmals ernst mit Ausfuhr- und Handelsbeschränkungen gegen mehrere chinesische Unternehmen. Exporte aus Europa an diese Firmen stünden dann unter Strafe. Auf einer neuen Liste von etwa 50 Personen, die künftig mit Reiseverboten belegt und deren Vermögenswerte in der EU eingefroren werden sollen, findet sich auch eine Frau aus China. Das geht aus mehreren als vertraulich eingestuften Dokumenten hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen.
Alle 27 EU-Länder müssen Sanktionen einstimmig beschließen
Sie bilden zusammen das mittlerweile 15. Sanktionspaket seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Es hat mehr als vier Monate gedauert, bis es dem Auswärtigen Dienst der EU sinnvoll erschien, diese zusätzlichen Sanktionen vorzulegen. Und es wird deutlich: Außer neuen Beschränkungen für Einzelpersonen, für Firmen aus Russland, China und weiteren Staaten sowie Sanktionen gegen russische Öltanker sind die Aussichten auf eine weitere Verschärfung des Sanktionsregimes wohl endgültig dahin.
Die EU hatte wiederholt Kritik an Chinas Unterstützung für Moskau geäußert. Mehrmals standen in geringem Umfang Sanktionen gegen Peking in Aussicht. Konkrete Maßnahmen blieben allerdings überschaubar – man hoffte darauf, mit Pekings Hilfe den Kriegsherrn Wladimir Putin irgendwie zu mäßigen. Deshalb überwog die Vorsicht, um Chinas Regime nicht zu verärgern. Mit der Produktion von Kampfdrohnen, für die es laut Brüsseler Diplomaten erstmals konkrete Beweise gibt, scheint jetzt aber eine Grenze überschritten zu sein.
Abgesehen von den China-Sanktionen dürfte der Rest wenig kontrovers werden; an einem großen Wurf versuchen sich die Sanktionsexperten der EU-Kommission erst gar nicht mehr. Restriktive Maßnahmen, wie die EU-Sanktionen im Fachjargon heißen, müssen einstimmig von den 27 EU-Staaten beschlossen werden. Und bei ambitionierteren Maßnahmen wie etwa neuen Importverboten – in Rede stehen häufig Flüssigerdgas, Erdöl, Stahl oder Uran – sind sich die EU-Staaten nicht mehr einig. So betreffen die neuen Sanktionen neben weiteren russischen Firmen vor allem Unternehmen unter anderem in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder der Türkei sowie nordkoreanische Beamte, die an der Entsendung von Truppen nach Russland beteiligt gewesen sein sollen.
Viele Mitgliedsstaaten sorgen sich um ihre eigene Wirtschaft
„Mit jedem Paket dauert es länger und werden die Verhandlungen schwieriger“, so beschreibt es ein Brüsseler Diplomat. Bereits seit mehr als einem Jahr überwiege bei vielen Mitgliedstaaten die Sorge, ihre Wirtschaft zu sehr zu belasten. Sektorspezifische Sanktionen seien kaum noch machbar. Trübe Konjunkturaussichten verringern den Appetit auf neue Sanktionen zusätzlich. Dagegen erscheint es noch vergleichsweise einfach, weitere Menschen, Firmen und Schiffe zu listen. So ist zu erklären, dass das neue Paket eben nicht mehr wirklich eines ist, sondern die EU-Kommission lediglich die seit der Krim-Invasion im Frühjahr 2014 immer länger werdenden Sanktionslisten weiter verlängert.
Diese Listen enthalten inzwischen auch mehrere Dutzend Öltanker, die Russlands sogenannter Schattenflotte zugerechnet werden. Erdöl ist die wichtigste Einnahmequelle des Kremls. In mehreren Sanktionsrunden hatte es der Westen Russland deutlich erschwert, sein Öl zu exportieren. So darf kein russisches Öl mehr über EU-Häfen importiert oder verladen werden, und westliche Versicherer dürfen russische Tanker nur noch dann versichern, wenn das Öl unter dem von den G-7-Staaten verhängten Preisdeckel von 60 Dollar pro Fass Russland-Öl (etwa 159 Liter) gehandelt wird.
Inzwischen kontrollieren russische Ölkonzerne über meist obskure Eigentumsstrukturen mehrere Hundert Schiffe, mit denen sie diesen Preisdeckel unterlaufen und Sanktionen umgehen. Diese Tanker sind meist am Ende ihrer Lebensdauer, älter als 15 oder gar 20 Jahre, und gelten als massives Umweltrisiko für europäische Gewässer. Seit Anfang des Jahres zielen Sanktionen der USA, Großbritanniens und der EU zunehmend auf einzelne dieser Schiffe ab; jetzt sollen 45 weitere hinzukommen. In vielen Fällen hat das diese Tanker bereits gestoppt. Russlands Ölexport auf hoher See läuft dennoch weiter, auch dank ausgefeilter Verschleierungsmethoden, indem etwa russisches Öl von Schiff zu Schiff gepumpt wird, wie unter anderem SZ-Recherchen belegen.
Die neuen Sanktionslisten müssen noch im Rat der Mitgliedstaaten diskutiert werden, sie könnten sich noch wesentlich ändern. Der Umgang mit China wird absehbar schwierig. Am Dienstag meldete sich bereits eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums zu Wort. „Wir haben niemals Waffen geliefert und wir haben Güter mit doppeltem Verwendungszweck streng kontrolliert, einschließlich des Exports von Drohnen“, sagte sie bei einer Pressekonferenz. „Wir werden die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die legitimen Rechte und Interessen chinesischer Unternehmen zu wahren.“ Gespräche mit Peking könnten also doch noch Ergebnisse liefern, so wie in der Vergangenheit. Allerdings hat sanfte Diplomatie Peking nicht davon abgehalten, mehr oder minder offen Russlands Krieg zu unterstützen.