Krieg im Sudan: Deutschland und die Waffenlieferungen in der Nachkriegszeit

vor 2 Tage 2
 Verheerender Krieg

Vergoldete Gewehre von sudanesischen Soldaten: Verheerender Krieg

Foto:

Ashraf Shazly / AFP

Die Bundeswehr startete vor knapp zwei Jahren, im April 2023, Evakuierungsflüge aus dem Sudan. Dort war eine Woche zuvor ein Machtkampf zwischen Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan »Hemeti« Daglo zu einem blutigen Krieg eskaliert. Während einer Feuerpause retteten die deutschen Soldatinnen und Soldaten rund 700 Menschen aus der Hauptstadt Khartum, darunter über 200 deutsche Staatsangehörige .

Seither haben die Kämpfe zwischen Hemetis paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) und Burhans Koalition aus Armee und Milizen weite Teile des nordostafrikanischen Landes in Schutt und Asche gelegt. Über elf Millionen Menschen wurden zu Vertriebenen im eigenen Land, mehr als drei Millionen sind in Nachbarstaaten geflüchtet. In einigen Landesteilen herrscht akute Hungersnot, mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ist von humanitären Hilfslieferungen abhängig. Die Zahl der Todesopfer könnte mehr als 150.000 betragen.

Die Ursachen für den Krieg sind komplex. Grob vereinfacht liegt die Wurzel allen Übels in dem, was der britische Sudanexperte Alex de Waal als »Militarisierung des politischen Marktplatzes« bezeichnet hat. Will heißen: Politische Akteure kommen mittlerweile fast nur noch mit Waffengewalt zum Zug.

 Langfristige Partnerschaft mit dem BND

Vermummte Kämpfer in Darfur: Langfristige Partnerschaft mit dem BND

Foto:

Andrew Carter / SIPA / action press

Und Deutschland? Schaut weg.

Ermattet von Polykrise, Ukraine- und Gazakrieg hat die deutsche Öffentlichkeit diesen brutalen Konflikt sowie das damit verbundene humanitäre Desaster bislang eher achselzuckend zur Kenntnis genommen. Das ist ein Fehler: Deutschland sollte sich sehr wohl dafür interessieren – weil dieses Land in Teilen mitverantwortlich dafür ist, dass es im Sudan so weit kommen konnte. Denn es war die alte Bundesrepublik, die den sudanesischen Unterdrückungsapparat aus Armee, Geheimdienst und Polizei während des Kalten Krieges (der am Horn von Afrika ein heißer war) überhaupt erst aufbaute und hochrüstete.

Testfall für die Isolierung der DDR

Ausgangspunkt dieser verhängnisvollen Kooperationen war ein zeitlicher Zufall: Im Dezember 1955 formulierte das Auswärtige Amt die Hallstein-Doktrin, sie sollte die dekolonialisierten Staaten in der »Dritten Welt« davon abhalten, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen. Nur wenige Tage später beschloss das sudanesische Parlament, die Unabhängigkeit des Landes von den britisch-ägyptischen Kolonialherren zu erklären.

Foto:

Julia Joerin

Roman Deckert, Jahrgang 1974, hat Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum studiert und kam erstmals 1997 in den Sudan, um am Goethe-Institut in Khartum zu hospitieren. Seither forscht er schwerpunktmäßig zu deutschen Rüstungsexporten in die Region. Er arbeitet in Genf als unabhängiger Sudan- und Südsudan-Analyst, vor allem für Projekte der Medienentwicklungszusammenarbeit und des Kulturaustauschs.

Der neue Staat am Oberen Nil wurde damit zum ersten Testfall für eine internationale Isolierung des SED-Regimes.

Die Bonner Strategen versuchten fortan, sich das Wohlwollen der sudanesischen Herrscher zu erkaufen – vorwiegend durch massive Hilfen im nicht zivilen Bereich. So vereinbarte der Bundesnachrichtendienst (BND) 1957 mit dem Khartumer Innenministerium ein Ausbildungsprogramm. Kurz darauf startete das Bundeskriminalamt (BKA) in enger Zusammenarbeit mit dem BND eine langfristige Partnerschaft mit der sudanesischen Polizei. Und noch im Jahr 1958 richtete der BND eine getarnte, aber offizielle Vertretung in Khartum ein.

Der Staatsstreich der Armee unter General Ibrahim Abboud vom November 1958, dem bis heute Dutzende weitere Putsche bzw. Putschversuche folgten, tat den Kooperationen keinen Abbruch. Im Gegenteil: Nur einen Monat später schloss die Fritz Werner GmbH, ein in Geisenheim beheimatetes Rüstungsunternehmen, mit der Junta einen Vertrag über den Bau einer Munitionsfabrik für die Herstellung des Nato-Kalibers 7,62 mm.

Die bundeseigene Firma agierte traditionell in einer Schattenwelt. Zwei Manager hatten in der NS-Zeit als Agenten für Admiral Wilhelm Canaris, den Leiter des Geheimdienstes der Wehrmacht, gearbeitet, zumindest einer von ihnen unterhielt enge Kontakte zum BND. Ein weiterer hatte Verbindungen zu Walter Schellenberg gehabt, dem Leiter des SS-Auslandsnachrichtendienstes im Reichssicherheitshauptamt (RSHA).

Der BND legte zu Beginn des Jahres 1959 den Grundstein für den Aufbau des sudanesischen Überwachungsstaates durch die Lieferung von »Spezialgerät (Mikrofonanlagen usw.)«. Das BKA stationierte derweil »einen Polizeibeamten mit besonderen fernmeldetechnischen Spezialkenntnissen« in Khartum.

Während sie die DDR-Handelsvertretung ausspionierten und ihre sudanesischen Kollegen ausbildeten, schützten die BND- und BKA-Beamten offenbar den KZ-Arzt Horst Schumann, der sich in den Südsudan geflüchtet hatte und dort ein Krankenhaus leitete. Bevor es zu einem Auslieferungsgesuch kam, konnte er nach Ghana fliehen – eine Reportage in der evangelischen Wochenzeitung »Christ und Welt« pries den Mann als »einen zweiten Albert Schweitzer«.

Autor war Giselher Wirsing, der als SS-Propagandist ein enger Vertrauter von Geheimdienstchef Schellenberg gewesen war und nun gute Kontakte zum BND pflegte. Die Solidarität mit dem Massenmörder war nicht erstaunlich, hatte doch BND-Resident Erich Olbrück selbst für Schellenbergs Amt VI im RSHA gearbeitet, zuletzt im Range eines Obersturmbannführers.

Über das, was Olbrück genau im RSHA gemacht hat, ist nur wenig bekannt. Bemerkenswerterweise setzte er sich jedoch im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess 1947/48 für Martin Sandberger ein , der ein Protagonist des Holocaust im Baltikum war. Später wurde er Abteilungsleiter im SS-Auslandsnachrichtendienst und lebte bis zu seinem Tod 2010 als einer der letzten lebenden hochrangigen NS-Verbrecher unbehelligt in Stuttgart.

Doch zurück zu Olbrück, 1948 war er der Organisation Gehlen beigetreten, dem Vorgänger des BND. 1952 zog er nach Kairo, wo er im Dunstkreis der Militärberatergruppe aus ehemaligen SS- und Wehrmachtsoffizieren tätig wurde – laut CIA als Waffenhändler.

Nach Erkenntnissen von Gerhard Sälter, der für die unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND und dessen NS-Kontinuitäten untersucht hat, verkehrte Olbrück dort im gleichen Milieu wie Gerhard Mertins, der zum berüchtigtsten Waffenhändler der alten BRD avancierte.

Nach seinem Wechsel in den Sudan 1958 war Olbrück ein Jahrzehnt lang nicht nur die Schlüsselfigur beim Aufbau des sudanesischen Geheimdienst- und Polizeiapparates. Wie die US-Armee aus verlässlicher Quelle in Khartum erfuhr, war er auch »instrumental« dabei, die Bonner Militärhilfe für das Abboud-Regime zu arrangieren.

Dies zusammen mit seinem »engen Freund« Herbert Becker, der im Bonner Verteidigungsministerium für Wehrwirtschaft zuständig war. Er galt als »Lieblings-General« (DER SPIEGEL) von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) und geriet später in den Ruch, Strauß-Freunde mit korrupten Rüstungsgeschäften bereichert zu haben.

»Minister Strauss is a Sudanese«

Strauß war es auch, der Ende 1961 mit Armeechef Hassan Beshir Nasr auf der Hardthöhe Militärhilfen für 120 Millionen D-Mark vereinbarte. Darin ging es zum einen um große Mengen an Waffen und Munition, darunter 13.165 G3-Sturmgewehre von Heckler & Koch, während Fritz Werner den Ausbau der Munitionsfabrik übernahm.

Zum anderen erhielt die sudanesische Armee rund 1000 geländegängige Mercedes-Lkw; mehr als 300 sudanesische Soldaten wurden bei der Bundeswehr fortgebildet. CSU-Politiker Strauß hatte intern die Losung ausgegeben: »Mit dem Sudan beginnend soll ein Block westlich orientierter Staaten geschaffen werden.« Dabei solle man »den unwahrscheinlichen Ruf des deutschen Soldaten und seine Leistungen« ins Feld führen. Nasr hatte schon nach dem ersten Treffen geschwärmt: »Minister Strauss is a Sudanese.«

 Langjährige Verbindungen

Franz Josef Strauß im Jahr 1978 mit Sudans Präsident Gaafar Mohamed Nimeiri: Langjährige Verbindungen

Foto:

United Archives / ullstein bild

Dabei agierte die Bundesrepublik keineswegs als Handlanger Washingtons. US-Außenminister Dean Rusk rätselte noch ein halbes Jahr später über den Inhalt des Abkommens. Die vergrätzten Verbündeten in London wurden erst 1963 durch einen weiteren Waffenhandel besänftigt: Die Hardthöhe kaufte 97 britische Panzerspähwagen für den Sudan, was praktischerweise auf das Ausgleichsabkommen für die DM-Ausgaben der Rheinarmee angerechnet werden konnte.

Der laut CIA engste Freund von BND-Resident Olbrück war Wirtschaftsattaché Richard Pohl. Er verließ Khartum zwar 1960, blieb Olbrück aber insofern verbunden, als er in die Geschäftsführung von Fritz Werner wechselte. Dafür erhielt Olbrück vor Ort Verstärkung durch einen Bundeswehroffizier mit einschlägigem NS-Hintergrund: Wilhelm Diemke war ab 1936 Geschäftsführer der NSDAP Kairo gewesen, führte während des Krieges für das Auswärtige Amt Sonderaufträge in Nordafrika aus.

Kurz vor Abbouds Sturz im Oktober 1964 durch eine Volkserhebung versprach die Hardthöhe weitere Waffenhilfen im Umfang von 40 Millionen D-Mark, darunter 20.000 G3-Gewehre und eine dritte Fertigungslinie für die Munitionsfabrik. Die Bonner Strategen kannten keinerlei Skrupel, obwohl mittlerweile im Südsudan ein brutaler Bürgerkrieg tobte.

Botschafter Oswald Freiherr von Richthofen, der 1935 in die SS eingetreten war, hatte just einen Monat vor der Zusage gemeldet, dass »sudanesische Truppen zumindest in gewissen Gebieten des Südens offenbar nach System verbrannter Erde und Ausrottung der Eingeborenen vorgehen.«

Deutschland liefert die »Hitlersäge«

Ein größeres Hindernis für die neuen Hilfen war indes, dass der Sudan im Mai 1965 mit acht anderen arabischen Staaten die diplomatischen Beziehungen zu Bonn abbrach. Anlass war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel.

Auf der Hardthöhe gab Abteilungsleiter Werner Knieper, der schon im Wehrmachtsführungsstab Rüstungsfachmann gewesen war, die Linie aus, den Sudanesen als Anreiz für eine Wiederaufnahme »einige ›Bonbons‹« zu geben.

Und so erhielt die sudanesische Armee in den folgenden Jahren über Fritz Werner 15.000 G3-Gewehre und 1500 Maschinengewehre des Typs MG1 von Rheinmetall, besser bekannt als »Hitlersäge«. Zudem konnten die Geisenheimer in der Munitionsfabrik zwei zusätzliche Produktionslinien errichten. Andere Militärprojekte wurden als zivil getarnt, etwa die Ausbildung von Hubschrauberpiloten durch eine Firma von Adolf Galland, dem ehemaligen General der Jagdflieger.

 Hilfe durch westdeutsche Rüstungsexporte

Kommandant Kerubino Bol (3.v.r.): Hilfe durch westdeutsche Rüstungsexporte

Foto:

Conradin Perner

Ironie der Geschichte: Eine Gruppe nasseristischer Offiziere nutzte ausgerechnet diese »Bonbons« im Mai 1969 dazu, um sich an die Macht zu putschen – als eine ihrer ersten Amtshandlungen erkannten sie das SED-Regime völkerrechtlich an. Ihr Anführer, Dschafar Numeiri, war selbst bei der Bundeswehr fortgebildet worden.

Die ausgehende Große Koalition in Bonn nahm diesen Durchbruch der DDR zum Anlass, die Hallstein-Doktrin zu begraben, für die just der Sudan ursprünglich zum Paradebeispiel auserkoren worden war.

Auch für die sozialliberale Bundesregierung blieb die Munitionsfabrik von Sheggera der härteste Kern der bilateralen Beziehungen. Noch Ende 1969 durfte Fritz Werner 800 Tonnen an Vorprodukten in den Sudan exportieren. Selbst der BND-Resident Rolf Pröschold, der ein Stiefsohn Olbrücks war und dessen Posten 1967 übernommen hatte, konnte in Khartum verbleiben.

Für das Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit (MfS) etablierte zwar HVA-Chef Markus Wolf höchstpersönlich die Zusammenarbeit mit sudanesischem Geheimdienst und Militär. Als sich Numeiri aber schon 1971 wieder dem Westen zuwandte, berichtete der bundesdeutsche Geschäftsträger Klaus Aurisch von einem Gespräch mit einem DDR-Diplomaten: »Auf meine Frage, ob ich jetzt wieder ruhig telefonieren könne, meinte er lächelnd: ja. Im Übrigen regte er an, wir könnten die freigewordenen Posten jetzt ja wieder besetzen.«

Tatsächlich nahmen unter der sozialliberalen Koalition die Hilfen für Armee, Geheimdienst und Polizei im Sudan sogar noch zu: Nach offiziellen US-Angaben betrug der Umfang der westdeutschen Rüstungsexporte in den Sudan zwischen 1976 und 1985 rund 480 Millionen US-Dollar. Dazu zählten auch rein kommerzielle Geschäfte, die vor allem durch Saudi-Arabien finanziert wurden und die Bundesrepublik zum wichtigsten Lieferland der sudanesischen Armee machten.

 Immer wieder das G3-Gewehr

Sudanesische Kämpfer: Immer wieder das G3-Gewehr

Foto:

Andrew Carter / SIPA / action press

 Goldene Gewehre

Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi: Goldene Gewehre

Foto:

AFP

Bei dem neuerlichen Rüstungsboom mischten einige der berüchtigtsten Waffenhändler der Welt mit. So der Saudi Adnan Khashoggi, der offensichtlich bei einem korrupten Deal über Magirus-Deutz-Lkw mit Präsidentenbruder Mustafa hohe Provisionen kassierte. Auch Olbrücks SS- und BND-Kamerad Gerhard Mertins machte nunmehr Sudan-Geschäfte.

Während eines Besuchs in Khartum 1977 hinterließ er bei Botschafter Hans Hermann Kahle den Eindruck, dass er noch immer über beste Beziehungen zur CDU/CSU verfügte wie auch »zu allen Stellen, die sich mit Waffenproduktion und -export befassen«.

Und auch Helmut Kohls christlich-liberale Koalition setzte die Tradition der Rüstungshilfen zunächst fort. Zwar kamen den Exportkontrolleuren im Auswärtigen Amt 1985 erstmals Skrupel, da nach einem Jahrzehnt fragilen Friedens im Südsudan eine neuerliche Rebellion entbrannt war. Letztlich gaben sie aber dennoch grünes Licht an Fritz Werner zur Lieferung von Ersatzteilen für die Munitionsfabrik.

Wie stark die Beharrungskräfte waren, zeigt die Tatsache, dass selbst nach dem islamistischen Putsch von 1989 eine Gruppe von Bundeswehrberatern für den Aufbau einer handwerklichen Ausbildungsstätte in Khartum stationiert blieb. Noch 1993 bewilligte die Hardthöhe neue Mittel, um das Projekt nicht zur Entwicklungsruine verkommen zu lassen – zu einem Zeitpunkt also, als Osama bin Laden bereits in Khartum residierte.

Wie stark die Altlasten der bundesdeutschen Militärhilfen ins neue Jahrtausend reichen, zeigen die Berichte von Sudanexperten, wonach sich der Name der genozidalen Dschandschawid-Milizen auch von dem deutschen G3-Gewehr herleitet. Aus den Dschandschawid gingen wiederum Hemetis RSF hervor, die vor zwei Jahren den verheerenden Krieg vom Zaun brachen.

Während also die Neu-Rechten in Deutschland die Sorgen vor Geflüchteten aus Afrika anfachen, ist die global größte Fluchtkrise nicht zuletzt ein Erbe der Alt-Rechten. Das Internet ist voll mit Bildern von RSF-Kämpfern mit G3-Gewehren.

Für ihre derzeitigen Hauptunterstützer, die Vereinigten Arabischen Emirate, wo vor Kurzem US-Präsident Donald Trump zu Besuch war , hat die Ampelkoalition im vergangenen Jahr Rüstungsexporte im Wert von fast 150 Millionen Euro bewilligt.

Gesamten Artikel lesen