Konservative in Europa: Vorfreude auf den deutschen Regierungswechsel

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Ulf Kristersson, der schwedische Ministerpräsident, ist ein höflicher Gast. Überschwänglich bedankt er sich bei Bundeskanzler Olaf Scholz dafür, dass er sich mitten im Wahlkampf Zeit nehme für ihn. „Aber ist das nicht, was demokratisch gewählte Regierungen tun?“, fragt er dann, „wir feiern die Demokratie, indem wir das Wahlkämpfen ernst nehmen, aber wir feiern die Demokratie auch, indem wir das Regieren ernst nehmen.“ Schweden und Deutschland, so Kristersson, hätten immer  „extrem gut zusammengearbeitet, unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Regierenden“.

Das klingt ganz so, als sei es Schwedens Regierungschef einerlei, wie die Wahl in Deutschland am 23. Februar ausgeht. Das wäre glaubwürdiger, hätte der Chef der konservativ-wirtschaftsliberalen Moderaten nicht ein paar Stunden später einen weiteren Termin in Berlin: Im Konrad-Adenauer-Haus wird er von CDU-Chef Friedrich Merz erwartet, dem Mann, der nach landläufiger Einschätzung schon bald an Scholz’ Stelle treten wird.

Neun Staats- und Regierungschefs sowie Ursula von der Leyen sind zu Besuch gekommen

Merz hat zusammen mit Manfred Weber (CSU), dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), zur Klausur der Spitzen der europäischen Christdemokratie geladen. Sie ist der eigentliche Anlass der Deutschlandreise des Schweden. In der EVP, dem Zusammenschluss der christdemokratisch-konservativen Parteien in Europa, wird so bereits Vorfreude zelebriert auf die Rückkehr eines der ihren ins Berliner Kanzleramt. Neun Staats- und Regierungschefs sind der Einladung gefolgt, drei Vizeministerpräsidenten sowie etliche Oppositionsführer.

Mit dabei sind auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Ursprünglich gedacht gewesen war der Termin für einen eher ruhigen Start in ein Jahr, in dem erst im September gewählt wird. Obwohl die Klausur nun aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl in die Wahlkampfphase fällt, hielt Merz an der Einladung fest, als Beitrag zu einem zügigen europapolitischen Start nach Übernahme der Amtsgeschäfte. Was wiederum Kristersson und Kollegen entgegenkommt.

„Wenn es Ihnen gut geht, geht es uns gut“, sagt Kristersson

Wie hoch die Erwartungen sind, lässt der Schwede an der Seite des Sozialdemokraten Scholz dann doch kurz durchblicken. Deutschland sei wichtig für Schweden, versichert er. „Wenn es Ihnen gut geht, geht es uns gut. Wenn Sie in Schwierigkeiten sind, dann teilen wir Ihre Probleme“, sagt er. Die deutsche Wachstumsschwäche muss er nicht explizit erwähnen. Man habe europaweit mit Scholz abgeschlossen, heißt es in der EVP, nun richteten sich die Hoffnungen auf Merz und die von ihm angekündigte Wirtschaftswende.

Im erwarteten Wahlsieg von Merz wird überdies die Fortsetzung eines deutlichen Machtzuwachses der europäischen Mitte-rechts-Parteien seit der Europawahl gesehen. Im EU-Parlament sind sie klar stärkste Kraft, ebenso wie auch im Rat der Mitgliedstaaten und in der von der CDU-Frau von der Leyen geführten Kommission. „Als EVP haben wir das Mandat, die EU zu führen“, heißt es unbescheiden im Entwurf eines Beschlusspapiers der Klausur.

Merz als Kanzler der größten Volkswirtschaft würde das komplettieren. Nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten war der CDU-Chef, der seine politische Laufbahn 1989 im EU-Parlament begonnen hatte, demonstrativ nach Brüssel gereist. Seinem Konkurrenten Scholz wirft er vor, sowohl die europäische Führungsrolle Deutschlands vernachlässigt zu haben als auch zu wenig auf die europäischen Partner eingegangen zu sein.

Im Dezember hatte Merz Scholz im Bundestag vorgehalten, im Europäischen Rat als Schweiger aufzufallen, was zum „Fremdschämen“sei. Dies tat Scholz als  „Tünkram“ ab, also dummes Zeug. In der EU will sich Merz für massiven Bürokratieabbau einsetzen, eine Forderung, die auch Scholz für sich reklamiert. „Kleine kosmetische Veränderungen werden unseren Unternehmen nicht helfen, im Wettbewerb zu bestehen“, heißt es im EVP-Papier.

Allerdings dürfte Merz während des Treffens in mindestens einem Bereich mit den Grenzen seiner Führungsmöglichkeiten konfrontiert werden.  Geladen ist auch Alexander Schallenberg, Interims-Bundeskanzler aus Österreich, wo die zur EVP gehörende ÖVP mit der extrem rechten FPÖ über eine Regierung verhandelt. Merz, der in Deutschland unbedingt die Brandmauer zur AfD aufrechterhalten will, bringt das in eine unglückliche Lage. Der CSU-Mann Manfred Weber hat indes bereits signalisiert, unter welchen Umständen die Koalition in Ordnung gehe – dann nämlich, wenn sie sich von diesen Prinzipien leiten lasse: pro EU, pro Ukraine und pro Rechtsstaat.

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