Es ist wohl nur ein seltsamer Zufall und keine grenzübergreifend konzertierte Aktion. Aber die Gleichzeitigkeit passt in diesen Herbst der politischen Hiobsbotschaften und der kollektiven Zukunftsängste: Sowohl in Schweden als auch in Norwegen wurden in den letzten Wochen Broschüren an die Bevölkerung verschickt, die darüber aufklären, wie man sich als Privatperson oder Familie auf einen Krisenfall vorbereitet. Finnland hat ebenfalls kürzlich einen Leitfaden für Notzeiten veröffentlicht, allerdings nur online. Was die drei nahezu zeitgleich erschienenen Anleitungen freilich unterscheidet, sind der Ton und die Aufmachung.
Alle 2,2 Millionen norwegische Haushalte hatten Anfang November ein Heft in den Briefkästen, in dem sie direkt angesprochen werden: „So tragen Sie dazu bei, dass Norwegen gut vorbereitet ist“. In Finnland heißt das Ganze ähnlich nüchtern „Vorbereitung auf Zwischenfälle und Krisen“. Der schwedische Leitfaden, der an alle 5,5 Millionen schwedischen Adressen verschickt wurde, trägt dagegen den Titel: „Wenn die Krise oder der Krieg kommt“.
Gleich zu Beginn heißt es darin: „Die militärische Bedrohung für Schweden hat zugenommen, wir müssen auf das Schlimmste vorbereitet sein – einen bewaffneten Angriff.“ Und gelb hinterlegt strahlen einen die Sätze an: „Wenn Schweden angegriffen wird, werden wir niemals aufgeben. Alle Informationen, dass der Widerstand eingestellt wird, sind falsch.“ Alles im Indikativ, so als sei dieses „wenn“ keine Eventualität, sondern eine Zeitangabe, und es gehe nur noch darum, wie man mit dem – wahrscheinlich ja russischen – Angriff nun umgeht. Insgesamt wird 29 Mal das Wort Krieg verwendet.
Die eine Broschüre zeigt Nahrungsmittel, die andere Soldaten mit Maschinenpistole
Die norwegische und die finnische Broschüre schlagen einen ruhigeren Ton an. Im Finnischen kommt das Wort Krieg kein Mal vor, dort ist nur von „Krisen“, „Störungen“ und „außerordentlichen Notfällen“ die Rede. Das Innenministerium betont, der Leitfaden sei nicht dazu gedacht, die Menschen zu alarmieren, sondern vielmehr dazu, die Haushalte auf verschiedene außergewöhnliche Umstände vorzubereiten. Die Norweger fragen: „Wie werden Sie und Ihre Lieben mit einem längeren Stromausfall zurechtkommen? Was tun, wenn das Wasser verschwindet? Auch wenn in Norwegen die meisten Dinge funktionieren, wie sie sollen, müssen wir darauf vorbereitet sein, dass extreme Wetterbedingungen, Pandemien, Unfälle, Sabotage und im schlimmsten Fall auch Kriegshandlungen uns treffen können.“
Auch die Aufmachung der Broschüren könnte unterschiedlicher nicht sein. Die finnische Broschüre zeigt zwei Frauen, die im Regen stehen, die eine wird nass, die andere hält einen Schirm und lächelt den Fotografen aus dem Schutz der Trockenheit an. Norwegen zeigt nüchtern Gegenstände, die man im Notfall brauchen könnte, Wasserflaschen, Nudeln, Müsli. Auf der schwedischen Broschüre stehen wie im Action-Comic ein Soldat und eine Soldatin in Flecktarnuniform, beide mit Maschinenpistole im Anschlag. Hinter ihnen schießt ein Düsenjäger über den Himmel, ein Patrouillenboot durchpflügt die stürmische See. Ganz am Rand, halb verdeckt durch die Soldatin, noch eine zivile Szene: ein junger Mann, der Kindern etwas vorliest – vielleicht ja 29 Mal das Wort Krieg.
Der schwedische Leitfaden passt zur Rhetorik der Regierung
Der Ton der schwedischen Broschüre passt zu der Regierungsrhetorik, die immer wieder an verbale Schnappatmung grenzt. Fast klingt es manchmal, als wolle Schweden seinen neuen Natoverbündeten zeigen, dass man militärisch absolut parat stehe. Oder als traue man den eigenen Landsleuten nach langen Friedens- und Neutralitätszeiten nicht zu, dass sie den Ernst der Lage begriffen. Im Januar sagte Zivilschutzminister Carl-Oskar Bohlin von der konservativen Moderaten-Partei: „Auf eine Nation, für die der Frieden seit fast 210 Jahren ein angenehmer Begleiter ist, wirkt die Vorstellung, dass er eine unverrückbare Konstante ist, plausibel. Aber sich damit zu trösten, ist so gefährlich wie lange nicht. Es könnte Krieg in Schweden geben.“
Bohlins Chef und Parteikollege, der Premierminister Ulf Kristersson, mahnte danach nicht, der Zivilschutzminister solle rhetorisch einen Gang herunterschalten, sondern sagte selbst, es gehe „darum, Schweden, unsere Werte und unsere Lebensweise mit der Waffe in der Hand und mit dem Leben als Einsatz zu verteidigen.“ Eine finnische Journalistin kommentierte dieses bellizistische Feuerwerk mit den Worten, in Finnland würde man derartig drastische Rhetorik „als Hysterie bezeichnen (…). Mit dem Wort Krieg spielt man nicht.“
Was die konkreten Tipps angeht, so ähneln die drei Broschüren einander stark. Wobei die Finnen und die Schweden raten, Vorräte für drei Tage anzulegen, während die Norweger ihre Bevölkerung sogar dazu aufrufen, soviel zu horten, dass man eine Woche lang alleine zurechtkommt: also 20 Liter Wasser pro Person, ansonsten, wie in den Nachbarländern auch, haltbare Lebensmittel, einen Grill oder Gaskocher. Warme Kleidung, Schlafsäcke, Streichhölzer und Kerzen. Taschenlampen, Bargeld und ein batteriebetriebenes Radio. Landkarte, Stadtplan, Kompass. Kompost oder Sägemehl zur Abdeckung der Trockentoilette nicht vergessen.
Auf die Anfrage der SZ, warum die schwedische Broschüre so oft von Krieg spreche, als ob der schon da sei, antwortet die zuständige Behörde für Katastrophenschutz, die martialischen Eingangssätze - „Wenn Schweden angegriffen wird, werden wir niemals aufgeben. Alle Informationen, dass der Widerstand enden wird, sind falsch.“ - hätten schließlich schon in der ersten schwedischen Broschüre dieser Art gestanden. Die ist freilich 1943 erschienen, mitten im Zweiten Weltkrieg.