Koalition streitet über Gesundheitsreform: SPD kritisiert „einseitige Sparvorschläge zulasten der Versicherten“

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Die ersten Briefe kamen kurz vor Weihnachten an. In diesen Tagen erhalten Millionen Bürger die Information, dass ihre Gesetzliche Krankenversicherung zum Jahreswechsel teurer wird. Laut dem Vergleichsportal Verivox haben bis Heiligabend schon 31 Krankenkassen einen Anstieg für ihre Kunden angekündigt.

Dabei hatten Kanzler Friedrich Merz und Unionsfraktionschef Jens Spahn (beide CDU) im Sommer zugesagt, dass es 2026 keine Beitragserhöhungen geben wird. Doch Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) konnte dieses Versprechen nicht erfüllen.

Das von ihr vorgelegte Sparpaket reduziert die Kosten der Krankenkassen im kommenden Jahr nur um rund zwei Milliarden Euro. Rund doppelt so viel wäre wohl nötig gewesen, um höhere Beträge zu vermeiden.

Klar ist auch, dass manche Leistungen entfallen müssen, um das Gesundheitssystem günstiger zu machen, was in anderen Ländern auch funktioniert.

Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU)

Das gebrochene Versprechen führt nun zu einer Reformdebatte während der Weihnachtsfeiertage. Per Zeitungsinterview hat Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) die Deutschen auf Einschnitte eingestimmt.

Weniger Facharzt-Besuche

„Klar ist auch, dass manche Leistungen entfallen müssen, um das Gesundheitssystem günstiger zu machen, was in anderen Ländern auch funktioniert“, sagte er dem „RND“. „Wir werden deshalb nicht kränker“, betonte Frei. Die Reformen will er trotz Widerständen vorantreiben: „Aber wir müssen das im Interesse des Ganzen durchsetzen“, sagte er.

Welche Behandlungen die Kassen künftig nicht mehr bezahlen sollen, ließ Frei offen. Der Kanzleramtsminister verwies lediglich darauf, dass die Deutschen sehr viel öfter als die meisten Europäer zum Arzt gehen. Zudem führte er aus, dass die Bürger bei den meisten Beschwerden künftig nicht mehr direkt einen Facharzt aufsuchen, sondern zunächst beim Hausarzt vorstellig werden sollen. Dieser soll die Patienten dann gegebenenfalls überweisen. Dass Schwarz-Rot ein solches Primärarztsystem einführen will, ist allerdings schon lange bekannt.

Beim Koalitionspartner SPD sorgen Freis Aussagen für Irritation. Wer pauschal Leistungskürzungen in den Raum stelle, bleibe eine ehrliche Analyse schuldig, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Christos Pantazis, auf Anfrage. „Entscheidend ist nicht, Leistungen gegeneinander auszuspielen, sondern die ungebremste Ausgabendynamik endlich strukturell anzugehen.“ Und weiter: „Einseitige Sparvorschläge zulasten der Versicherten“ führten in die Sackgasse.

Warkens Sparbemühungen verpufften

Einer Debatte über Leistungskürzungen wollen sich die Sozialdemokraten nicht vollständig versperren. Sie sind auch bereit, höhere Zuzahlungen für Medikamente und Krankenhausaufenthalte zu diskutieren, wie sie Warken vor Weihnachten erneut ins Spiel brachte. Doch die SPD hat eine Bedingung: Auch bei den Leistungserbringern muss dann gespart werden – also bei Krankenhäusern, den niedergelassenen Ärzten und der Pharmaindustrie.

Die Verhandlungen zu Warkens erstem Sparpaket hat die SPD in schlechter Erinnerung. Nach den Plänen der Gesundheitsministerin sollten nur die Kliniken 2026 weniger Geld erhalten. Das machten aber die Länder nicht mit. Warkens Gesetzesvorschlag landete im Vermittlungsausschuss.

Dort schlugen die Sozialdemokraten vor, dass auch die Pharmaindustrie und die niedergelassenen Fachärzte 2026 Einsparungen verkraften müssen. Höhere Zwangsrabatte für Medikamente blockierte jedoch das Kanzleramt und geringere Honorare für Fachärzte die Unionsfraktion. Am Ende stand deshalb ein halbgarer Kompromiss.

Warken kürzt nun 2026 fast ausschließlich bei den Kliniken, dafür erhalten diese aber in den folgenden Jahren eine vollständige Kompensation. Die Sparbemühungen hat die schwarz-rote Koalition so weiter in die Zukunft verschoben. Bei der SPD sieht man das als schlechtes Omen für die nun anstehende grundlegende Reformdebatte.

„Für das Jahr 2027 rechnen wir mit einem zweistelligen Milliardendefizit in der Gesetzlichen Krankenversicherung“, betonte Christos Pantazis. Er forderte Warken deshalb auf, geplante Strukturreformen schnell umzusetzen.

Die Krankenhausreform müsse vertieft und nicht verwässert werden, betonte Pantazis. Mit den neuen Honorarregeln für Kliniken wollte Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Zahl der Häuser reduzieren. Doch dagegen sträuben sich die Länder, weshalb Warken die Reform noch mal überarbeiten will.

Neben dem Primärarztsystem müsse man zudem die längst überfällige Notfallreform umsetzen, sagte Pantazis. Sie soll dafür sorgen, dass bei akuten Beschwerden weniger Patienten in den Notaufnahmen der Krankenhäuser landen, weil diese Form der Versorgung sehr teuer ist. Damit, so Pantazis, könne man kurzfristig Effizienzreserven in Milliardenhöhe heben.

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