Jan Furtok ist tot: Nachruf auf Ex-HSV-Profi - Hamburgs Dynamo

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Nachruf auf Ex-HSV-Profi Jan Furtok Hamburgs Dynamo

Er war der Torgarant Anfang der Neunzigerjahre: Jan Furtok hat mit seinen Toren den Fans des Hamburger SV Glücksgefühle beschert. Er erkrankte früh an Alzheimer.

27.11.2024, 15.45 Uhr

HSV-Stürmer Jan Furtok

HSV-Stürmer Jan Furtok

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sportfotodienst / Oliver Hardt / IMAGO

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An den Schnauzbart erinnern sich viele. An seine Tore sowieso. 51 Treffer für den Hamburger SV in 135 Bundesligaspielen. Jan Furtok war ein Naturereignis im gegnerischen Strafraum in jenen Jahren, Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre. Ein Energiepaket, ein Dynamo.

Es waren nicht mehr die allerbesten Jahre für den HSV, der damals noch vom Erfolg so verwöhnt war. Aber wenn man als Hamburger Fan an diese Jahre zurückdenkt, dann an Jan Furtok.

Transfer als Nervenspiel

1988 war der Pole in die Bundesliga gewechselt, es war ein komplizierter Vorgang damals, der Kalte Krieg lag schon in seinen letzten Zügen, aber das Regime in Warschau wollte noch einmal Härte zeigen. Die Transferverhandlungen zogen sich monatelang hin. Furtok erhielt zwar im Oktober die Freigabe für seinen Wechsel, aber seine Familie musste er zunächst zurücklassen.

Kurz zuvor hatte sich der polnische Profi Andrej Rudy in den Westen und in die Bundesliga abgesetzt. Die polnischen Behörden behaupteten, Furtok habe von dieser Aktion gewusst, und untersagten Frau und Kindern die Ausreise.

Erstes Spiel, erstes Tor

Man kann sich die nervliche Belastung vorstellen, unter der der damals 26-Jährige zu seinem allerersten Bundesligaspiel am 29. Oktober im Volksparkstadion gegen den Karlsruher SC antrat. Die Partie endete 1:1, das Tor schoss Jan Furtok.

Gegen den FC Bayern und Hansi Flick in der Saison 1988/1989

Gegen den FC Bayern und Hansi Flick in der Saison 1988/1989

Foto: imago

Zwei Monate dauerte es, dann durfte die Familie nachreisen, und Jan Furtok, der Torjäger aus Kattowice, legte danach so richtig los. Fünf Jahre schoss er die Tore für den HSV, 1990 lockte ihn Olympique Lyon mit einem sagenhaft dotierten Vertrag, aber er blieb lieber in Hamburg und wurde in der kommenden Spielzeit mit 20 Toren zweitbester Bundesligatorschütze hinter Bayern-Angreifer Roland Wohlfarth.

Es war die Zeit, in der der Hamburger SV begann, ins Mittelmaß abzurutschen: Die Saison zuvor hatte das Team als Elfter abgeschlossen, der Klassenerhalt wurde erst mit dem letzten Spiel gegen Waldhof Mannheim gesichert: Torschütze Furtok.

Nando, Doll, von Heesen

Aber im nächsten Jahr, da leuchtete noch einmal der alte HSV auf. Furtok und Nebenmann Nando machten die Tore, dahinter führten Thomas von Hessen, der aus Ost-Berlin verpflichtete Thomas Doll und Ex-Bayernprofi Armin Eck die Regie. Hinten hielten Dolls früherer DDR-Kollege Frank Rohde und die Vokuhila-Fraktion Dietmar Beiersdorfer und Carsten Kober den eigenen Strafraum rein.

Der HSV erreichte in der Tabelle noch einmal Platz fünf, seine beste Platzierung in den Neunzigerjahren. Selige HSV-Tage.

Elfmeterschütze gegen den 1. FC Kaiserslautern

Elfmeterschütze gegen den 1. FC Kaiserslautern

Foto: sportfotodienst / Ferdi Hartung / IMAGO

Selten hat der HSV danach solche Tage wiedererlebt, erst unter dem niederländischen Wirbelwind Rafael van der Vaart viele Jahre später, es war aber gleichzeitig auch die beste Zeit von Furtok. 1993 wechselte er mit großen Erwartungen zu Eintracht Frankfurt, dem Team, das damals zu höchsten Hoffnungen Anlass gab, besetzt mit feinsten Fußballern wie Jay-Jay Okocha und Anthony Yeboah. Aber die Tormaschine Furtok, sie funktionierte nicht mehr wie gewünscht. Was auch an einem Kreuzbandriss lag, den er sich in seinen späten Hamburger Zeiten zugezogen hatte.

Im Trikot von Eintracht Frankfurt

Im Trikot von Eintracht Frankfurt

Foto: IMAGO

In den zwei Eintracht-Jahren kamen nur noch neun Bundesligatreffer hinzu, Furtok versuchte es danach noch in Salzburg, als der dortige Klub noch Austria hieß und es noch keine Energiedrinks gab. Sein letztes Bundesligaspiel absolvierte er mit der Eintracht stilgemäß gegen den Ex-Verein Hamburger SV – der HSV siegte 3:1, Furtok wurde in der 81. Minute eingewechselt.

Zum Ende seiner Fußballerkarriere kehrte er nach Kattowice zurück, dort, wo alles begonnen hatte, wo er zum polnischen Nationalspieler reifte, bei der WM 1986 durfte er dabei sein. Im Achtelfinale gegen Brasilien wurde er nach einer Stunde eingewechselt, er durfte also eine halbe Stunde den Ballkünstlern aus Südamerika staunend zugucken. Socrates, Careca, Alemao. Brasilien gewann 4:0.

Furtok versuchte sich anschließend als Trainer, stieg aber mit Kattowice ab. Danach wurde er der Präsident des Klubs, Spieler, Trainer, Vorsitzender: Furtok hat in diesem Verein fast alles gemacht.

2015 wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert, diese perfide Krankheit, die so schleichend beginnt und die Menschen nach und nach unentrinnbar ins Vergessen abschiebt. Irgendwann hat er sein eigenes Spiegelbild nicht mehr erkannt, hat seine Frau polnischen Medien erzählt. Auf alten Mannschaftsfotos fand er sich nicht mehr wieder, es hieß, er habe darauf nur noch Anthony Yeboah erkannt, sich selbst nicht mehr.

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