Italien und Ungarn: Schweigen, wenn der Besucher austeilt

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Viktor Orbán und Giorgia Meloni mögen sich noch immer, wenn man den Bildern aus Rom glaubt. Ungarns Ministerpräsident war am Montag zu Besuch in der italienischen Hauptstadt, erst beim Papst, dann bei Meloni. Mit Italiens Regierungschefin verbindet ihn viel, er hat sie gelobt in der Vergangenheit und sie ihn. Kritische Beobachter nennen das Ungarn unter Orbán immer wieder als Vorbild Melonis, als das, was sie mit ihrer Partei Fratelli d'Italia eigentlich für Italien anstrebe: eine illiberale Demokratie. Weswegen ein Treffen der beiden unter besonderer Beobachtung steht.

Zu sehen waren also eine strahlende Meloni und ein Orbán, der seine Kollegin mit Handkuss begrüßt. Was die Kameras jedoch nicht einfingen, waren die Irritationen rund um den Besuch. Auf dem Weg vom Papst zu Meloni schaute Orbán in seinem Hotel in der römischen Innenstadt vorbei, dabei wurde er von Journalisten befragt – und teilte, wieder einmal, gegen Europa aus. „Die Europäische Union zählt nichts“, zitiert ihn die Zeitung La Repubblica. Europa sei „völlig aus dem Spiel“, wenn es um Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gehe, so Orbán.

Italiens Außenminister distanziert sich sogleich

Nun ist es gerade das Verhältnis zu Europa, das beim Wahlsieg Melonis 2022 viele Fragen aufwarf. Im Wahlkampf klang es bei ihr noch so, dass sich Italien nicht länger ducken werde vor den Anforderungen der EU, wiederholt sprach sie von den „Bürokraten in Brüssel“. Seit sie Ministerpräsidentin ist, hat sie den Ton gemäßigt. Sie soll sich gut mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verstehen, sie ist für Waffenlieferungen an die Ukraine und für Sanktionen gegen Russland, liegt also im europäischen Mainstream. Klar ist dabei: Italien kann nicht ohne Europa, erst recht nicht ohne das europäische Geld. Meloni und Italiens Wirtschaft profitieren nach wie vor stark vom Corona-Wiederaufbaufonds der Europäischen Union, es geht immerhin um 220 Milliarden Euro.

Die Äußerungen Orbáns unter dem schönsten römischen Herbsthimmel bringen daher seine Gastgeberin in Verlegenheit, so zumindest deuten das mehrere italienische Medien. Vizepremier und Außenminister Antonio Tajani von der Forza Italia distanzierte sich dann auch gleich. Nur weil man jemanden empfange, sagte er laut Repubblica noch während des laufenden Treffens der Regierungschefs, müsse man nicht derselben Ansicht sein: „Italien vertritt eine andere Haltung.“ Meloni selbst schwieg, auch im Anschluss an den Empfang.

Die Opposition macht ihr dieses Schweigen zum Vorwurf. Vertreter des Partito Democratico forderten eine klare Distanzierung von Orbán, während die Partei +Europa schon vorab einen Flashmob mit Plakaten organisiert hatte, Inhalt: „Orbán, you are not welcome.“

Den Green Deal sehen beide kritisch

In einer Mitteilung der italienischen Regierung war am Ende recht nüchtern zu lesen, zwischen Orbán und Meloni habe es einen „Meinungsaustausch zu den wichtigsten aktuellen internationalen Themen“ gegeben. Dazu eher schlagwortartig die Themen: Ukraine, Naher Osten, „europäische Agenda“ und Migration.

Orbán dagegen schrieb auf X, ein wenig überschwänglicher: „Es war großartig, in Rom Premierminister @GiorgiaMeloni zu treffen! Gemeinsam stark stehend, werden wir unsere Nationen verteidigen.“

Den Journalisten in Rom sagte er, das größte Problem sei die europäische Wirtschaft, die an Wettbewerbsfähigkeit verliere. Die Ursache aus seiner Sicht: „Die grüne Transformation.“ In diesem Punkt hat sich Meloni in der Vergangenheit ähnlich geäußert, beide sehen den Green Deal kritisch. Auch was ihre Sicht auf Migration und ihr Familienbild angeht, scheinen die beiden sich weiter einig zu sein. Die Repubblica rekonstruiert aus Berichten von Teilnehmenden, Meloni habe Orbán bei dem Treffen offenbar nahegelegt, das Thema Ukraine für eine Weile gut sein zu lassen und stattdessen gemeinsam den Einfluss der Progressiven in der EU zu reduzieren.

Zu Hause ist Orbán gerade im Wahlkampf, seine Äußerungen in Rom könnten daher Taktik sein. Der Corriere della Sera zitiert Menschen aus dem Umfeld Melonis: Jedes Mal, wenn Orbán schärfere Töne anschlage, werde das ein Problem für sie. Denn es sei dann oft Melonis Aufgabe, die Scherben zusammenzukehren. Zudem, vermutet die Zeitung, spekuliere Orbán womöglich auf Melonis gute Beziehungen zu US-Präsident Donald Trump. Ungarn ist abhängig vom russischen Gas. Bei seinem Besuch in Italien führte der Ministerpräsident daher auch aus, Trump liege in Bezug auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin völlig falsch. Er werde bei Trump auf ein Ende der Sanktionen drängen.

Bleibt die Frage, ob Meloni von Orbáns Auftreten am Ende nicht sogar profitiert. Denn, so analysiert etwa die Zeitung Domani: Italiens Regierungschefin könnte sich in Brüssel wieder einmal als besonders wichtige Vermittlerin darstellen, wie schon bei Donald Trump. Als wäre sie die Einzige, die Orbán zähmen kann.

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