Die Einladungen zum Festakt sind schon verschickt. Ende Oktober wird in Berlin das 75-jährige Bestehen des Bundesamts für Verfassungsschutz gefeiert. Spätestens dann, so hieß es zuletzt im Bundesinnenministerium, solle die lange Vakanz an der Spitze der Behörde auch beendet sein. Nun ist klar, wer die Festrede halten wird. Die schwarz-rote-Koalition hat sich nach Informationen der Süddeutschen Zeitung aus Sicherheitskreisen auf Sinan Selen geeinigt, den Vizepräsidenten der Behörde. Zuerst hatte das Portal Table darüber berichtet.
Bereits zu Wochenbeginn will Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Personalie öffentlich machen. Am Mittwoch könnte das Kabinett den Wechsel Selens an die Spitze dann endgültig besiegeln.
Die Entscheidung über den neuen Chef war angesichts der Bedrohungen dringend notwendig
Seit dem abrupten Abgang von Ex-Chef Thomas Haldenwang im November 2024, der vergeblich für den Bundestag kandidierte, wurde die Behörde mit 4500 Mitarbeitern nur kommissarisch geführt. Wegen der vielen Aufgaben des Verfassungsschutzes im Kampf gegen hybride Bedrohungen aus Russland, Terrorgefahren, Rechtsextremismus, Cyberangriffe und Desinformation wuchs zuletzt der Druck auf die Regierung, bald eine Entscheidung zu treffen.
Vor allem im Kampf gegen Sabotage und Spionage muss der Verfassungsschutz aufrüsten. Denn die Gangart Russlands wird laut Selen immer robuster. „Unsere Gegner gehen immer aggressiver und komplexer vor“, sagte er unlängst bei einem öffentlichen Auftritt.
Erst vergangene Woche durchsuchten Sicherheitsbehörden ein Schiff mit russischer Besatzung in Kiel, das als Basis für Drohnenflüge über Norddeutschland gedient haben könnte. Dabei soll der Inlandsgeheimdienst auch unabhängiger von den USA werden.
Selen lobte zwar zuletzt einen nach wie vor „vorzüglichen Austausch“ mit den US-Sicherheitsbehörden. Er will aber auch nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass die Amerikaner es sich nicht doch anders überlegen. „Es ist nie gut, sich ausschließlich auf einen Partner zu verlassen“, sagte er.
Selen ist schon länger das Gesicht der Behörde
Viel Arbeit wartet auf Selen nun auch beim Umgang mit der AfD. Die Partei geht vor Gericht gegen ihre Partei als gesichert rechtsextrem vor. Im Mai hatte der Verfassungsschutz ein entsprechendes, über 1000 Seiten langes Gutachten, vorgelegt. Die Einordnung liegt aber wegen des Rechtsstreits vorerst auf Eis.
Selen galt schon länger als Favorit auf den Posten, war seit dem Abgang Haldenwangs bei offiziellen Auftritten bereits das Gesicht der Behörde. Er ist seit 2019 Vizepräsident des Amtes, zusammen mit Silke Willems. Seine Karriere in den Sicherheitsbehörden begann der studierte Jurist 2000 im BKA und war unter anderem für den Personenschutz der damaligen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) zuständig. Danach wechselte er als Leiter des Referats „Ausländerterrorismus und Ausländerextremismus“ in den Stab Terrorismusbekämpfung im Bundesinnenministerium. Nach zehn Jahren wechselte Selen 2016 kurz in die Wirtschaft und baute beim Reisekonzern TUI eine konzernweite Sicherheitsstruktur auf, bevor er als Vizechef zum Verfassungsschutz kam.
Erstmals wird der Posten des Chefs des Inlandsgeheimdienstes damit mit einer Führungskraft besetzt, die nicht in Deutschland geboren wurde. Selen wurde 1972 in Istanbul geboren. Er kam mit vier Jahren als Sohn türkischer Einwanderer nach Deutschland und wuchs in Köln auf.
Sein Vorgänger Haldenwang hatte Ende 2024 angekündigt, für die CDU in Wuppertal zu kandidieren. Bei der Bundestagswahl Ende Februar unterlag er jedoch dem SPD-Konkurrenten Helge Lindh. Haldenwang war nicht über die Landesliste der CDU in Nordrhein-Westfalen abgesichert und verfehlte den Einzug in den Bundestag.