Holocaustgedenkstätte Yad Vashem setzt auf neue Formen der Erinnerung

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Der langjährige SPD-Abgeordnete Michael Roth, 54, schilderte neulich in einem SPIEGEL-Interview , wie er 1999 zum ersten Mal das »Tal der Gemeinden« in der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem besuchte. In dem Felslabyrinth sind auf riesigen Steinquadern die Namen aller jüdischen Gemeinden eingraviert, die mit der Naziherrschaft ausgelöscht oder dezimiert wurden. Es sind rund 5000 Gemeinden. »Ich war fassungslos, als ich da die Namen vieler Orte aus meinem Wahlkreis las«, sagte Roth. »Dort hatte ich bis dahin noch nie einen Juden getroffen.«

Während Menschen der Generation Roth im Laufe ihres Lebens noch Gelegenheit hatten, Überlebende des Holocaust zu treffen, müssen die heutigen Jugendlichen sich beeilen. Der jüngste Tod von Margot Friedländer  macht deutlich, was es bedeutet, wenn die letzten Überlebenden sterben und nicht mehr für Gespräche mit Schulklassen zur Verfügung stehen.

Über diesen Einschnitt für die Erinnerungsarbeit macht man sich auch in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Gedanken. Dort wurde das 1992 eröffnete Tal der Gemeinden zwei Jahre lang überarbeitet und im April neu eröffnet. Die Besucher erwartet auf dem 10.000 Quadratmeter großen Gelände jetzt ein Amphitheater mit einer Multimediashow, die an die riesigen Felsblöcke projiziert wird.

Yad-Vashem-Vorsitzender Dayan, EU-Botschafter Zantschew, Italiens Botschafter Lutterotti (von rechts)

Yad-Vashem-Vorsitzender Dayan, EU-Botschafter Zantschew, Italiens Botschafter Lutterotti (von rechts)

Foto: Jorge Novominsky / Yad Vashem

Mit »state-of-the-art light projection« und »studio surround sound«, heißt es, soll vor allem jüngeren Menschen das Leben in den Tausenden von jüdischen Gemeinden nahegebracht werden, die sich über Jahrhunderte in Europa entwickelten und dann von den Nazis und ihren Kollaborateuren dezimiert oder ausgelöscht wurden. Die Projektion zeigt jüdisches Leben in seiner ganzen Vielfalt: von den Schtetln in Osteuropa zur jüdischen Avantgarde in Wien und dem liberalen Judentum in Deutschland, es geht um religiöse Rituale und das Familienleben.

»Das neue audiovisuelle Erlebnis ist ein innovativer Weg, den Besuchern, insbesondere den jüngeren Generationen, das reiche Erbe näherzubringen, das von den Nazis und ihren Kollaborateuren fast ausgelöscht wurde«, sagte der Vorsitzende von Yad Vashem, Dani Dayan, dem SPIEGEL. Yad Vashem finde dadurch neue Wege, um die Geschichten von Tragödie, Verlust und Wiedergeburt zu erzählen, so Dayan. »Unsere Aufgabe ist umso dringlicher, als wir uns dem Scheideweg zwischen den Generationen und der traurigen, aber unvermeidlichen Welt ohne Überlebende des Holocaust nähern.«

»Wenn man versteht, wie vielfältig jüdisches Leben war, wird man besser nachvollziehen können, welche Katastrophe der Holocaust für die Juden in Europa und für Europa selbst war.«

Katharina von Schnurbein, EU-Antisemitismusbeauftragte

Finanziert wurde der Umbau des Tals der Gemeinden maßgeblich durch die Europäische Union. Yad Vashem sei dankbar für die Unterstützung der EU, sagte Dayan, der am Dienstag Botschafter und Diplomaten aus 20 EU-Staaten anlässlich der Neueröffnung in Yad Vashem empfing.

Mit 20 Millionen Euro habe die Europäische Kommission das digitale Erlebnis in Yad Vashem zu jüdischem Leben gefördert, sagte Katharina von Schnurbein, Beauftragte der EU-Kommission für den Kampf gegen Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens, dem SPIEGEL. »Wenn man versteht, wie vielfältig jüdisches Leben war, wird man besser nachvollziehen können, welche Katastrophe der Holocaust für die Juden in Europa und für Europa selbst war.«

In der Schoa sei Europa gegen seine eigene DNA gegangen, so von Schnurbein, »und es war Antisemitismus, der zu dieser Katastrophe führte«. Die digitale Projektion lasse die internationalen Besucher eintauchen in das damalige jüdische Leben und sei »gleichzeitig Mahnung und Weckruf«.

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