Es ist schon erstaunlich, wie oft man einen Satz sagen kann, ohne dass jemand groß Notiz davon nimmt. Und dann sagt man ihn einmal mehr – und plötzlich hören alle hin. So ergeht es nun Lars Klingbeil. Der SPD-Chef hat in seinem Sommerinterview im ZDF laut über Steuererhöhungen für Spitzenverdiener nachgedacht und diese explizit nicht ausgeschlossen. Das ist Parteilinie, auch Klingbeil hat das schon mehrfach artikuliert. Nur eben nicht in der momentanen Lage und nicht in der Rolle des Finanzministers, der allein 2027 ein Haushaltsloch von rund 30 Milliarden Euro schließen muss.
Er könne deswegen „keine Option vom Tisch“ nehmen, sagte Klingbeil, auch Steuererhöhungen nicht. Die SPD sei schon immer der Auffassung gewesen, dass Menschen mit hohen Einkommen und großen Vermögen einen Teil dazu beitragen müssten, die Gesellschaft gerechter zu machen, so der Vizekanzler. „Diese Grundüberzeugung gebe ich ja nicht auf mit Eintritt in eine Koalition.“
Die Union hält von Steuererhöhungen gar nichts
Die Überlegung, Erben mit einer Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer mehr an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen, findet sich bereits im Wahlprogramm. Ebenso wurde diskutiert, dass die oberen fünf Prozent der Spitzenverdiener höhere Steuern zahlen sollen und die Vermögenssteuer wieder eingesetzt wird. Zudem, dass Einkommen aus Kapitalgeschäften über den Einkommensteuertarif und damit höher besteuert werden sollen. All das war allerdings vorgesehen, um im Gegenzug mittlere und untere Einkommen zu entasten.
Doch der Koalitionspartner hält von derartigen Gedankenspielen genau gar nichts. „Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten sind Steuererhöhungen das falsche Signal. Sie schaden dem Rückgrat unseres Mittelstandes, gefährden Investitionsfähigkeit und Arbeitsplätze“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Steffen Bilger der Welt. Eine gerechte Steuerpolitik dürfe kein Klassenkampf sein. Wer täglich als Facharbeiter, Handwerker oder Unternehmer Verantwortung übernehme, verdiene Anerkennung und keine höheren Abgaben.
Ähnlich hatte sich zuvor Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geäußert. Von ZDF-Moderatorin Diana Zimmermann darauf angesprochen, konnte sich Klingbeil eine Spitze gegen den CSU-Chef nicht verkneifen. „Auch Herr Söder hat ja nun mit einigen Vorhaben, die ihm wichtig sind, dazu beigetragen, dass eine Lücke im Haushalt größer wird“, sagte er. Ein Verweis auf die Ausweitung der Mütterrente, die Wiedereinführung der Agrardiesel-Subvention und die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie.
Auch in der SPD wächst der Reformdruck
Die Union will vor allem beim Sozialen sparen. Sie erwartet von Klingbeils Co-Parteivorsitzender, Arbeitsministerin Bärbel Bas, Milliardeneinsparungen beim Bürgergeld. Söder hat vorschlagen, Geflüchteten aus der Ukraine die Leistung zu streichen. Das Bürgergeld kostet den Staat inzwischen mehr als 50 Milliarden Euro im Jahr. Da auch die Finanzierung von Rente und Krankenkassen außer Kontrolle zu geraten droht und immer mehr Zuschüsse aus dem Haushalt, also Steuermittel, braucht, ist der Druck groß. Die Lücke muss geschlossen werden, ob mit Einsparungen oder Steuererhöhungen.
Klingbeil macht hier nun den ersten Vorstoß, wissend, dass bestimmte Absprachen aus dem Koalitionsvertrag nicht mehr gelten könnten. Selbst in der SPD wächst angesichts der eigenen Umfragewerte und des AfD-Höhenflugs der Druck, mit der Union eine Agenda zur Straffung und Kürzung bestimmter Sozialausgaben auszuhandeln. Sollte die Union im Gegenzug zu Steuererhöhungen für mehr Umverteilung bereit sein, könnte das der SPD eine Zustimmung erleichtern.
Klingbeil und Kanzler Friedrich Merz (CDU) müssen sich daran messen lassen, wie reformfähig die Koalition ist. Geht es nach Klingbeil, soll die Regierung nach der Sommerpause diverse Maßnahmen gleichzeitig prüfen: „Wo können wir Subventionen abbauen? Wo können wir diese sozialen Sicherungssysteme reformieren? Wo kann in den Ministerien eingespart werden?“ Letzteres dürfte speziell den unionsgeführten Ministerien gelten, die sich aus Sicht des Finanzministers bislang nicht genug anstrengen, das Haushaltsloch zu schließen.
Allerdings: Auch Klingbeil selbst hat noch keine konkreten Vorschläge für den Abbau von Subventionen oder eine Reform der Sozialversicherungen gemacht. Ebenso wenig wie seine Co-Vorsitzende Bärbel Bas, die als Ministerin für Arbeit und Soziales im Kabinett dafür zuständig ist und den größten Einzeletat im Bundeshaushalt verwaltet – der von aktuell 190 Milliarden Euro bis 2029 auf rund 219 Milliarden Euro anwachsen soll. Das ist selbst mit steigenden Steuereinnahmen kaum zu stemmen.