Die deutsche Kritik an der US-Sanktionierung der beiden Geschäftsführerinnen der Beratungsstelle Hate Aid reißt nicht ab. „Wer Organisationen angreift, die Betroffene von digitalem Hass unterstützen, stellt den Schutz von Grundrechten auf den Kopf“, sagte Adis Ahmetović, der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, der Süddeutschen Zeitung am Freitag. Meinungsfreiheit, sagt er, bedeute nicht Straflosigkeit für Hass und Hetze. „In Deutschland und Europa entscheiden Verfassung, Parlament und unabhängige Gerichte über ihre Grenzen – nicht politische Akteure in Washington“, so Ahmetović.
Die deutsche Beratungsstelle Hate Aid setzt sich gegen Hass und Hetze im Internet ein. Am Dienstag verhängten die USA gegen die beiden Leiterinnen der gemeinnützigen Organisation, Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg, sowie gegen drei weitere Europäer Einreiseverbote. Das US-Außenministerium begründete den Schritt auf der Plattform X mit dem Vorwurf, sie hätten zur Zensur amerikanischer Online-Plattformen beigetragen.
„Wir lassen uns von einer Regierung nicht einschüchtern“
Im Gespräch mit der SZ berichtet Josephine Ballon, sie habe bereits rund drei Stunden vor der offiziellen Mitteilung des US-Außenministeriums eine Nachricht über die Änderung ihres eigentlich noch gültigen ESTA-Visums erhalten. „Das zeigt, dass die Ankündigung kein PR-Gag ist“, sagt sie. Ihr Beruf greife inzwischen stark in das Privatleben ihrer Familie ein. Noch werde geklärt, sagte Ballon, was die Sanktionen über die Einreiseverbote hinaus konkret bedeuten. Einschüchtern lassen wolle man sich davon jedoch nicht: „Wir machen ganz normal weiter. Es zeigt ja auch, dass wir mit unserer Arbeit einen Nerv getroffen haben“, so Ballon.
In einem gemeinsamen Statement bewerten die beiden Geschäftsführerinnen die Maßnahmen der US-Regierung „als Akt der Repression einer Administration, die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht, ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen“. Die Trump-Regierung versuche mit allen Mittel zu verhindern, dass sich US-Konzerne in Europa an geltendes Recht halten müssen, und stelle damit „die europäische Souveränität infrage“.

Hate Aid bietet psychologische und rechtliche Unterstützung für Menschen an, die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder angegriffen werden. Im Oktober wurde von Hodenberg für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet.
Das von der US-Regierung am Dienstag verkündete Einreiseverbot richtet sich nach offizieller Darstellung gegen „radikale Aktivisten“ und Nichtregierungsorganisationen, die Zensurmaßnahmen durch Drittstaaten vorangetrieben hätten. „Viel zu lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht passen“, schrieb Außenminister Marco Rubio auf X. Er drohte die Liste der Sanktionierten zu verlängern, sollte es keine Kurskorrektur geben.
In seiner Sanktionsmitteilung warf das US-Außenministerium Hate Aid vor, die Organisation sei nach der Bundestagswahl 2017 mit dem Ziel gegründet worden, ein Gegengewicht zu „konservativen Gruppen“ zu bilden. Die Antwort der beiden Gründerinnen, die eine politische Agenda von sich weisen, fiel deutlich aus: „Wir lassen uns von einer Regierung nicht einschüchtern, die Zensurvorwürfe instrumentalisiert, um diejenigen, die sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einsetzen, mundtot zu machen.“
EU-Kommission droht mit Vergeltung
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) erklärte: „Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden“. Die Maßnahmen der Trump-Regierung „zeigen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement mächtigen Plattformen unbequem ist“. Auch Außenminister Johann Wadephul (CDU) nannte die Einreiseverbote nicht akzeptabel. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter forderte im Handelsblatt die Einbestellung der US-Geschäftsträger.
Vom US-Einreiseverbot betroffen ist auch der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton, der als Architekt des Digital Services Act gilt, mit dem Online-Plattformen in der EU reguliert werden. Das Gesetzespaket und dessen praktische Anwendung – im Fall der Plattform X von Rubio als „Attacke auf alle amerikanischen Tech-Plattformen und das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen“ bezeichnet – soll verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen drohte Vergeltungsmaßnahmen an. Man verurteile die Entscheidung der USA aufs Schärfste und habe Klarstellungen erbeten, teilte die Behörde in Brüssel mit. Falls erforderlich, werde man rasch und entschlossen reagieren, um das Recht zu verteidigen, seine eigenen Regeln festzulegen. Wie sie genau auf die Einreiseverbote reagieren könnte, erläuterte die EU-Kommission zunächst nicht. Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot betonte, der europäische Digital Services Act finde in den USA gar keine Anwendung.
Sanktionen verhängte die US-Regierung auch gegen die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und gegen den Gründer des in den USA und Großbritannien tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed. Der in den USA lebende Brite beschreitet nun den Klageweg, um seine drohende Ausweisung zu verhindern.
Hinweis der Redaktion: Eine frühere Fassung dieses Berichts, der Material der Deutschen Presse-Agentur enthält, wurde um weitere Informationen und Stellungnahmen ergänzt.










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