Felix Banaszak, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen (Archiv)
Foto: Shireen Broszies / dpaIn der von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausgelösten Stadtbild-Debatte hat Grünenchef Felix Banaszak davor gewarnt, die Augen vor den existierenden Problemen zu verschließen. Es müsse anerkannt werden, dass Merz mit seinen Äußerungen zu den Folgen von Migration »eine breit getragene Wahrnehmung anspricht, mit der sich progressive Kräfte beschäftigen müssen«, schrieb Banaszak in einem Beitrag, aus dem die Funke-Zeitungen (Montagsausgaben) zitierten. »Es gibt sie, die Angsträume in unserem Land«, wo sich Menschen in der Dunkelheit kaum noch auf die Straße trauen, so der Grünenchef.
»Es gibt die an Kleinstadtbahnhöfen herumlungernden Faschos und sturzbesoffen grölende Fußballfans in Zügen«, schrieb Banaszak. »Und es gibt kriminelle Gruppen auch aus migrantischen Familien, die am Freitagabend Leute abziehen oder Frauen belästigen.« Gerade die progressiven Kräfte seien gefordert, dies nicht mehr einfach zu ignorieren.
Die Art und Weise, wie der Bundeskanzler über Migration und das Stadtbild spricht, lehnt er dennoch ab, wie Banaszak in dem Beitrag betont.
»Warum fällt es uns schwer, diese Wahrnehmungen als tiefes Gefühl von Verunsicherung, als Vertrauens- und Kontrollverlust zu verstehen, der schon längst in unseren Alltag eingegriffen hat?«, fragte Banaszak. »Progressive Kräfte, die notwendige und berechtigte Kritik an rassistischen Aussagen und Strukturen formulieren, dürfen nicht den Eindruck erwecken, diesen Teil des Lebens auszublenden, denn es gibt ihn.«
Banaszak wirft Merz »Stammtischgerede« vor
Über all diese Themen müsse man sprechen – ehrlich und unmissverständlich, fordert der Grünenvorsitzende, der aus Duisburg stammt. Merz habe dies allerdings nicht getan. Denn es sei unehrlich, »die Zustände zu beklagen, die seine Partei mitzuverantworten hat«. Wer Integrationsarbeit an Ehrenamtliche auslagere, Frauenhäuser chronisch unterfinanziere und die öffentliche Infrastruktur vernachlässige, dürfe sich nicht durch »Stammtischgerede« aus der Verantwortung stehlen.
»Es gibt Jugendzentren in der Sächsischen Schweiz, in denen man als trans Mann von anderen Jugendlichen ausgegrenzt wird.«
Felix Banaszak, Grünenchef
Der Grünenchef rief dazu auf, das gesamte Bild zu sehen: »Es gibt Femizide, die von weißen Tätern an ihren Ehefrauen und Ex-Freundinnen begangen werden, und es gibt Frauenmorde muslimischer Männer an ihren Frauen, Schwestern und Töchtern im Namen der Ehre. Es gibt Jugendzentren in der Sächsischen Schweiz, in denen man als trans Mann von anderen Jugendlichen ausgegrenzt wird. Und es gibt Schulen in Berlin-Moabit, in denen ein schwuler Lehrer von Kindern in die Psychotherapie gemobbt wird, die ihr Verhalten damit begründen, der Islam sei hier Chef.«
Protest in mehreren Städten – 2600 Demonstranten in Hamburg
Bundesweit gingen Menschen an diesem Wochenende gegen Merz' Stadtbild-Aussagen auf die Straße. In Hamburg versammelten sich nach Polizeiangaben am Samstag rund 2600 Demonstrierende. Auf Transparenten forderten sie »Zusammenstehen gegen Rassismus und Spaltung« und »Merz raus aus unserem Stadtbild!«. In Bremen waren es laut der Polizei rund 2000 Menschen, das Veranstaltungsteam geht von bis zu 2500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus.
Zahlreiche Menschen nahmen in Bremen an einer Kundgebung gegen Äußerungen von Bundeskanzler Merz auf dem Domshof teil
Foto: Focke Strangmann / dpaBei einer Kundgebung in Magdeburg, an der sich am Samstag etwa 300 Menschen beteiligten, sagte die Vertreterin eines afghanischen Frauenvereins, die Äußerungen von Merz »haben viele von uns tief betroffen«. Migration werde dabei nicht als selbstverständlicher Teil Deutschlands verstanden, sondern als etwas Störendes.
Bereits am Freitagabend gab es in Bielefeld eine Kundgebung, die dortige SPD-Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar nahm daran teil. Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Steffen Bilger, sagte dem »Tagesspiegel« dazu: »Wer als SPD-Führungskraft gegen den Bundeskanzler der gemeinsamen Koalition demonstriert, trägt leichtfertig dazu bei, dass die Menschen uns weniger zutrauen, gut zu regieren.«
Auch im Wohnort des Kanzlers, dem sauerländischen Arnsberg, demonstrierten am Samstag rund 150 Menschen. In Bonn waren es am Sonntag rund 200. In der Stadt am Rhein wurde zudem in der Nacht zum Samstag die CDU-Kreisgeschäftsstelle mit den Worten »Maßnahme zur Verschönerung des Stadtbildes« beschmiert. Der Staatsschutz ermittelt.
Merz’ Aussagen zur Migrationspolitik
Merz hatte am 14. Oktober gesagt, die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte. »Aber«, führte er fort, »wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen«. Später sagte er auf Nachfrage: »Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.«
Am vergangenen Mittwoch konkretisierte er dann, Probleme würden Einwanderer machen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiteten und die sich auch nicht an die in Deutschland geltenden Regeln hielten.

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