(SZ) Es gibt einen soziologisch sehr interessanten Sketch von Gerhard Polt, der sich um einen jungen Mann in Lederjacke dreht, der es sich in einem Wirtshaus gutgehen lässt („Evelyn, bring mir noch ein Zwetschgenwasser“). Das Zwetschgenwasser bildet den Abschluss einer beeindruckenden Reihe alkoholischer Getränke, die der Mann, er heißt Ede, im Laufe des noch frühen Tages zu sich genommen hat. Gegen halb zwei zahlt er, und als Ede, nachdem Evelyn ihm den verloren geglaubten Autoschlüssel aus der Tasche gefriemelt hat, aus dem Lokal stolpert, fragt ein Gast die Kellnerin, ob sie den Mann in seinem Zustand wirklich Auto fahren lassen will. Ihre Antwort: „Wieso, der kann das, der ist doch Kraftfahrer von Beruf. Der fahrt an Schulbus.“ Das Dramolett endet, angetrieben von gut abgeschmecktem Sarkasmus, auf einer sehr hohen Moralebene. Der betrunkene Ede soll ausgerechnet die vulnerable Gruppe der Schulkinder sicher nach Hause bringen. Dabei kommt er selbst nicht mehr aus der Kneipentür heraus.
Polt hat mit seiner Szene Verwerfungen vorausgesagt, welche die deutsche Schulbus-Kultur erst in unseren Tagen so richtig erreichen. In Kaiserslautern beschlich einen Vater ein unbehagliches Empfinden, wenn er seinen Sohn in den Schulbus steigen sah. Er rief die Polizei, die den Bus auf seiner rumpeligen Fahrt stoppte. Zunächst musste ein loses Blech am Rad entfernt werden, damit der Bus überhaupt in die Werkstatt gebracht werden konnte. Dann ließ sich der Verbandskasten nur mithilfe einer Sprengung öffnen, und im Innenraum lösten sich zwei Sitzbänke. Der Vater wird seinen Sohn jetzt vermutlich per Auto zur Schule bringen wie jene vielen, viel zu vielen Eltern, die es mit ihrer Kultur der mobilisierten Überbetreuung bereits ins Feuilleton geschafft haben.
Erinnern wir uns an das goldene Zeitalter des Schulbusses! War er nicht das gewaltige Mobilitätsversprechen für die Vorortjugend? Hatten wir nicht alle unsere Schulbusabenteuer – von der geplatzten Kotztüte bis hin zum genervten Fahrer, der so lange am Radio drehen musste, bis ein Musikwunsch für die Mehrheit der Schüler gefunden war? Im Landkreis Gifhorn haben Kinder einen Schulbusfahrer kürzlich damit zur Weißglut gebracht, dass sie für jede Haltestelle den Haltewunschknopf drückten. Aber es stieg nie jemand aus. Daraufhin hielt der Fahrer an, sperrte die Türen zu und ließ die Schüler so lange schmoren, bis einer von ihnen die Polizei rief. Die kam auch und schickte den Fahrer in den Feierabend.
Viele schöne und grausame Geschichten ranken sich um den Schulbus. Und vermutlich werden auch künftige Generationen von Schülern ihren teils heiteren, teils rüden Schabernack mit dem Fahrer treiben. Hoffentlich wird man nie erleben, dass eine Fahrt mit Zwetschgenwasser-Ede in den Agenturen endet oder gar im Feuilleton.