Das erneute Verpassen der Königsklasse ging beim SC Freiburg vor allem dem erfahrensten Profi nahe. Matthias Ginter haderte und vergoss Tränen - wegen des Spielverlaufs, des besonderen Teams und der Historie. Nach persönlich starker Saison blickte der Abwehrchef aber auch angriffslustig in die Zukunft.

Enttäuschung nach dem 1:3 gegen Frankfurt: Matthias Ginter kommen die Tränen. IMAGO/Fotostand
Der Mann hat im Profifußball so gut wie alles erlebt. Weltmeister 2014, Olympia-Silber 2016, Confed-Cup-Triumph und DFB-Pokalsieg 2017, 51 DFB-Länderspiele und 476 Vereinspartien - Matthias Ginter kann schon mit 31 Jahren auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken. Der Innenverteidiger ist mit Abstand der erfahrenste Freiburger Profi, hat in diesem Geschäft trotz seiner Erfolge natürlich auch schon unangenehme und schmerzhafte Momente erlebt.
Doch am Samstagabend rang Ginter mit seinen Emotionen. Obwohl er für Dortmund und Gladbach auch bereits 21-mal in der Champions League aufgelaufen ist, ging ihm das mit 1:3 verlorene "Finale" um die Königsklasse besonders nahe.
"Es fühlt sich maximal bitter an. Vielleicht kommt es in den nächsten Tagen und Wochen, dass wir stolz und froh über den fünften Platz sein können", sagte Ginter: "Aber, wenn man das dritte Mal in innerhalb von vier Jahren um die Champions League spielt ..." Ist die Enttäuschung nachvollziehbarerweise umso größer, wenn es wieder nicht klappt. Zum allem Überfluss für Ginter, tönte während seiner Ausführung in der Interviewzone auch noch die Champions-League-Hymne aus der nahen Frankfurter Kabine.
Wenn man die Leute hier sieht, die Fans, hätten wir es ihnen gerne zum ersten Mal geschenkt."
2022, kurz vor Ginters Rückkehr zum SC, und 2023 war jeweils Union Berlin am 33. und 32. Spieltag mit Siegen gegen Freiburg dazwischen gegrätscht. Diesmal hätte der SC das Traumziel noch am letzten Spieltag mit einem Heimsieg gegen Frankfurt erreichen können. "Wir haben super angefangen, haben auch verdient das 1:0 gemacht", haderte Ginter damit, dass selbst eine Führung, von ihm nach einem Einwurf per Kopf für Ritsu Doan vorgelegt, nicht ausreichte: "Die Tore kurz vor und bald nach der Halbzeit haben uns dann gekillt."
Ginter war als junges SC-Eigengewächs schon 2013, zusammen mit seinem jetzigen Trainer Julian Schuster, am 34. Spieltag in der Startelf gestanden, als die Breisgauer ihr erstes "Endspiel" um die Königsklasse knapp verloren hatten, damals mit 1:2 gegen Schalke.
Auch dieses unerfreuliche Ereignis wird in Ginters Gefühlswelt eine Rolle gespielt haben. Dass das königliche Traumziel erneut verpasst wurde, bewegte ihn auch aus diesem Grund so sehr: "Weil wir kein zusammengekaufter Haufen sind, sondern eine große Gemeinschaft, mit zehn Spielern, die bei uns auch im Nachwuchs waren. Wenn man die Leute hier sieht, die Fans, hätten wir es ihnen gerne zum ersten Mal geschenkt", sagte Ginter, ehe ihn die Tränen kurz unterbrachen. Ginter sammelte sich noch einmal: "Wir wollten es unbedingt, aber es hat leider nicht gereicht." Danach verschwand der Abwehrchef in der Kabine.
Vielleicht spielen wir in den nächsten vier Jahren aber wieder ein paar Mal um die Champions League - und dann schaffen wir's."
Wenig später, beim Saisonabschlussfest mit den Fans neben dem Stadion, richtete Ginter den Blick zumindest teilweise auch schon wieder nach vorne. "Man hat es mir angesehen, ich war sehr emotional. Wir hätten euch gerne als Mannschaft die Champions League geschenkt", rief er den Anhängern zu: "Vielleicht spielen wir in den nächsten vier Jahren aber wieder ein paar Mal um die Champions League - und dann schaffen wir's." Großer Jubel brandete einmal mehr in der Menge auf, der Ginter vielleicht beim Verarbeiten der Enttäuschung helfen wird.
Auch nächste Saison wird der SC kein zusammengekaufter Haufen sein, der Kern des Teams wird erneut erhalten bleiben. Dennoch arbeiten die Verantwortlichen bereits frühzeitig erfolgreich am Kader, investieren allein rund 18 Millionen Euro in drei neue Offensivspieler, um die Qualität in der Breite und auf Sicht auch in der Spitze zu erhöhen.
Beste Feldspieler-Stammkraft nach kicker-Noten
Cyriaque Irié, Yuito Suzuki und Derry Scherhant werden sich ab Sommer zunächst auch auf die kommenden Europa-League-Saison freuen, die der SC erstmal im neuen Ligamodus mit zunächst acht Partien statt wie zuvor nur sechs Gruppenspielen erleben wird. Das Trio kann aber natürlich auch dabei mithelfen, Ginters Vision demnächst in die Tat umzusetzen.
Ginter selbst hatte mit einer persönlich starken Saison großen Anteil am erneuten Einzug in den Europacup. Dank seiner Erfahrung, die sich unter anderem im cleveren Stellungsspiel und einer guten Antizipationsfähigkeit Niederschlag findet, rettete der 1,90-Meter-Mann oft in höchster Not, präsentierte sich am Boden und in der Luft zweikampfstark und kurbelte das Offensivspieler immer wieder mit präzisen langen Bällen an.
Nach kicker-Noten ist Ginter mit einem Liga-Durchschnitt von 3,03 knapp vor Ritsu Doan (3,06) die beste Freiburger Stammkraft unter den Feldspielern der abgelaufenen Saison. Nur Youngster Johan Manzambi kommt mit vier bewerteten Einsätzen auf eine bessere Durchschnittsnote (2,88). Ginter wird sicher mit ungebrochenem Ehrgeiz daran arbeiten, es in seinen letzten Karrierejahren doch noch mit seinem Heimatverein in die Königsklasse zu schaffen.
Carsten Schröter-Lorenz