Gehalt als Tänzer: »Ich muss für die Zukunft vorsorgen«

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Wir wollen mit Ihnen über Ihr Einkommen sprechen: darüber, wie Sie mit Ihrem Verdienst zurechtkommen, wie Sie Ihr Gehalt verhandeln, wofür Sie Ihr Geld ausgeben, ob Sie ein Haushaltsbuch führen, was fürs Alter übrig bleibt. Wenn Sie Lust haben – anonym oder nicht anonym –, an unserer Serie Gehaltsabrechnung teilzunehmen, schreiben Sie uns gern eine E-Mail an: florian.gontek@spiegel.de .

Beruf: freiberuflicher Tänzer

Einkünfte pro Jahr (brutto): im Schnitt etwa 55.000 Euro

Ausbildung: Bachelor im Fach »Sport, Erlebnis und Bewegung«, Tanzlehrer-Ausbildung

Durchschnittliche Wochenarbeitszeit: 20 Stunden

Vincent Schultz* lebt in einer westdeutschen Großstadt und tritt als Tänzer bei Shows und Fernsehauftritten international bekannter Stars auf. Als er mit Anfang 20 zwei Todesfälle im Freundeskreis verarbeiten musste, wurde dem Sohn eines Bankkaufmanns klar, wie schnell das Leben vorbei sein kann. »Darum habe ich mich entschlossen, das zu tun, was ich wirklich möchte«, sagt der 32-Jährige, der seit seiner Jugend tanzt.

Wie viel verdienen Sie?

Das schwankt von Monat zu Monat. Jetzt im Frühling und im Herbst bin ich oft als Tänzer gebucht. In manchen Monaten fahre ich zu mehr als zehn Shows, ich tanze in Musikvideos, bei Konzerten und auf Unternehmensveranstaltungen. Im Sommer und im Winter gibt es aber weniger Shows. Darum gebe ich auch Tanzkurse, arbeite als Cycling-Coach im Fitnessstudio und organisiere ein Kulturevent. Ein paar Mal im Jahr arbeite ich auch noch als Model. Wenn es richtig gut läuft, komme ich damit auf gut 60.000 Euro brutto im Jahr. Während der Pandemie war es aber auch mal nur halb so viel.

Wer lebt noch von Ihrem Einkommen?

Davon lebe nur ich. Meine Partnerin lade ich gerne mal ein, aber sie verdient ihr eigenes Geld. In unserer Beziehung ist Geld kein Thema.

Wann wurde das letzte Mal Ihre Gage erhöht?

Von allein hat mir noch nie jemand mehr Geld angeboten. Für die Shows vermitteln mich verschiedene Agenturen. Eine hat mal für einen Auftritt in einem Werbespot richtig viel für mich rausgeholt, weil der Spot drei Monate lang auf YouTube und im Fernsehen lief und mein Gesicht deutschlandweit zu sehen war. Der Dreh hat einen Tag gedauert – und ich habe 5000 Euro dafür bekommen. Wäre die Laufzeit verlängert worden, hätte es noch mal etwas obendrauf gegeben. Aber dazu kam es nicht.

Fragen Sie nach mehr Geld?

Hier und da mal habe ich auch selbst schon mal danach gefragt, ob nicht eine höhere Gage oder ein höheres Honorar drin wäre. Aber als Tänzer kann man sich das eigentlich abschminken. Es gibt einfach zu viele von uns. Meine Auftraggeber können für denselben Preis auch jemand anderen bekommen, warum sollten sie mir also mehr zahlen? Aber als Tanzlehrer habe ich schon mal nach einer Honorarerhöhung gefragt.

Wie haben Sie dabei verhandelt?

Ich habe mit meiner Erfahrung argumentiert: Vor meinem Studium habe ich eine Tanzlehrer-Ausbildung gemacht. Ich bringe Kindern seit mehr als zehn Jahren Tanzen bei, und ich tanze auf internationalem Niveau. Da habe ich dann auch mehr Geld bekommen.

Verdienen Sie, was Sie verdienen?

Im Studium fand ich die Tanzgagen super, da habe ich mich aber auch mit anderen verglichen, die noch gekellnert haben. Jetzt denke ich: Für den Moment verdiene ich vielleicht ganz gut, aber mir fehlt der Puffer für später. Wenn ich für eine große Show engagiert bin, sind das schon mal fünf Probetage. An einem solchen Tag tanze ich acht Stunden lang im Proberaum, das ist harte, körperliche Arbeit – und dafür bekomme ich 200 Euro brutto. Nach Abzügen bleibt mir davon etwa die Hälfte. An einem Samstag oder Sonntag ist dann die Show, für die es 400 Euro gibt.

Ist Ihre Entlohnung fair?

Mit Blick auf viele andere Sportler und Athleten finde ich das deutlich zu wenig. Auch ich arbeite ja mit meinem Körper, da muss ich vorsorgen für den Fall, dass ich mal nicht mehr in der Lage sein sollte zu tanzen.

Machen Sie den Job wegen des Geldes?

Ich würde sagen: eher ja. Ich tanze zwar eigentlich aus Leidenschaft, aber bei den Jobs muss ich oft etwas tanzen, was ich selbst gar nicht fühle. Ich komme eher aus Richtung R’n’B und Hiphop, tanze aber meistens Schlager, das ist in Deutschland einfach der größere Markt. So gesehen mache ich viele Tanzjobs schon eher fürs Geld. Aber auch, wenn ich auf einen Job mal nicht so große Lust habe, bin ich dankbar, dass ich mit Tanzen Geld verdienen kann.

Welche Aufträge machen Ihnen besonders viel Spaß?

Meine Traumjobs sind die, bei denen ich die Musik und die Choreografie auswählen kann – dann bucht man wirklich mich und meine Kunst. Auch mein Tanzlehrer-Dasein erfüllt mich: Ich möchte etwas auf diesem Planeten hinterlassen, darum ist es mir wichtig, mein Wissen und die Freude am Tanzen weiterzugeben. Die junge Generation sitzt ja heute nur noch vor dem Handy und guckt sich Tänzer auf TikTok an. Wenn sie dann in den Kurs kommen und selbst tanzen lernen, geht mir das Herz auf.

Wissen Sie, was Ihre Kollegen bekommen?

Für die Shows bekommen meist alle das gleiche: 150 Euro pro Probetag und 300 pro Show ist quasi die Mindestgage. Ich berechne etwas mehr, weil ich schon länger dabei bin, nämlich 200 und 400 Euro. Wenn Tänzer besondere Parts übernehmen, weil sie zum Beispiel akrobatische Skills haben und auf der Bühne einen Überschlag machen, bekommen sie einen Zuschlag. Dann steigt schließlich auch das Risiko. Manchmal wünschen sich Kunden mehr Freizügigkeit, auch dafür gibt es etwas extra. Ich persönlich möchte aber nicht oberkörperfrei auf der Bühne tanzen. Dann steht die Kunst noch weniger im Vordergrund, finde ich. Ich habe das nur ein einziges Mal gemacht, bei einer ganz tollen Show, bei der es nicht um die Nacktheit ging, sondern eher um die Ästhetik. Nach den Zuschlägen muss man zum Teil aber fragen.

War Ihnen klar, was Sie später mal verdienen würden, als Sie den Beruf ergriffen haben?

Nein, das war mir überhaupt nicht klar. Mein großer Traum war es, nach Los Angeles zu gehen. Dort ist die Crème de la Crème der Tanzszene – und dort kann man echt Kohle verdienen. Ich war auch zweimal bei Castings in L.A., habe Flug und Unterkunft selbst finanziert. Dort waren dann 300 Männer, und am Schluss haben sie einen einzigen genommen. Ich habe es immerhin in die Top 50 geschafft, da war ich schon total stolz. Das ist mein einziges tänzerisches Ziel, das ich mir bisher nicht erfüllen konnte: mit einem internationalen Star auf Tour zu gehen, dessen Lieder ich auch privat höre, wie Chris Brown oder Bruno Mars.

Für welche Facetten Ihres Berufs bekommen Sie was?

Pro Woche gebe ich fünf- bis sechsmal Tanzunterricht, dafür bekomme ich 40 bis 50 Euro pro Stunde. Für die Cycling-Einheiten im Fitnessstudio gibt es jeweils 60 Euro, davon gebe ich jede Woche drei bis fünf. Die Shows finden unregelmäßig statt, da bekomme ich 200 Euro für acht Stunden Probe und 400 Euro für den Auftritt selbst. Alle ein bis zwei Monate veranstalte ich außerdem mit zwei Kollegen ein Event, bei dem wir Solo-Performer in einer Kneipe auf die Bühne bringen. Damit verdienen wir bisher nichts, wir machen das vor allem, weil wir Künstlern eine Plattform bieten wollen. Aber vielleicht finden wir dafür in Zukunft einen Sponsor.

Wie wichtig ist Ihnen Geld?

Ich habe nicht das Bedürfnis, reich zu werden. Ich glaube, dass man auch mit einem bescheidenen Leben glücklich sein kann. Nur Geldsorgen will ich niemals haben. Außerdem möchte ich eine Familie gründen und die dann auch unterhalten können.

Sind Sie jeden Monat auf Ihr Einkommen angewiesen?

Ja. Ich habe niemanden, der mich unterstützt, und auch kein großes Erbe, das auf mich wartet.

Haben Sie Schulden?

Nein.

Bereuen Sie manchmal, dass Sie keinen Job ausüben, in dem Sie mehr verdienen, mehr Sicherheit haben?

Nein. Gerade wenn ich meine alten Kommilitonen sehe, die nicht alle so zufrieden in ihrem Beruf sind. Als Sportlehrer in der Schule kann man zwar auch Wissen weitergeben, aber man trifft eben auch auf Kinder, die gar keine Lust auf Sport haben. Ich bin schon sehr dankbar für das, was ich machen kann.

Hatten Sie Glück, dass Sie Ihre Leidenschaft zum Beruf machen konnten?

Ich hätte auch noch mehr Glück haben und in L.A. als Showtänzer arbeiten können. Aber im Ernst: Vielleicht hatte ich das Glück, die richtigen Leute zu treffen. Aber es war auch ganz klar harte Arbeit. Ich mag es nicht, wenn Leute sagen: Hey, du bist ja echt talentiert. Ich habe mit 14 Jahren angefangen zu tanzen und da sehr viel Zeit und Energie reingesteckt.

Für was geben Sie Ihr Geld aus?

Fürs Wohnen. Die Mieten sind hier in der Großstadt recht hoch. Neben den Lebenshaltungskosten gebe ich mein Geld für Sport aus, ich habe ein Abonnement für einen Sportclub, bin begeisterter Fahrradfahrer und habe ein eigenes Kajak. Auch für Essen gebe ich etwas mehr aus, sowohl fürs Kochen als auch für Restaurantbesuche. Und generell für Entertainment, ich gehe gerne mit Freunden Bouldern oder Billardspielen.

Wie viel Geld sparen Sie?

Ich habe mein Leben lang ein Sparbuch gehabt, mein Vater ist Bankkaufmann. Als ich beruflich mit dem Tanzen anfing, haben meine Eltern gesagt: Junge, wir vertrauen dir, aber denk daran, dass du irgendwann nicht weitertanzen kannst. Darum habe ich zum einen eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung. Das heißt, wenn ich mich so verletze, dass ich nicht mehr tanzen kann, bin ich nicht komplett blank. Außerdem habe ich ein Depot, auf das ich jeden Monat etwas einzahle. Dabei versuche ich, breit zu streuen: ein bisschen Krypto, ein bisschen Aktien, andere Währungen, Ressourcen, so etwas. Inzwischen habe ich 50 Prozent meines Kapitals angelegt. Ich kann mir auch vorstellen, eine Immobilie zu kaufen.

Wissen Sie immer, wie Ihr Kontostand ist?

Mehr oder weniger. Nicht auf den Euro genau, aber in welchem Tausenderbereich ich mich befinde, weiß ich immer. Ich habe ein Notizbuch, in das ich jeden Monat meine Einnahmen und größere Ausgaben eintrage. Viele Kunden zahlen erst drei Monate nach Rechnungserhalt. Da will ich nicht den Überblick verlieren, ob das Geld auch eingegangen ist.

Wann mussten Sie zuletzt den Gürtel enger schnallen?

Knapp war es noch nie, ich bin ja mit dem Depot gut abgesichert. Ich habe mir schon immer Geld zur Seite gelegt. Wenn Freunde sagen, sie können nicht mit in den Urlaub fliegen, weil sie kein Geld haben, frage ich mich immer, wie das sein kann. Ich kenne diese Situation nicht. Vielleicht ist das auch eine Frage der Erziehung, ich habe schon als Kind nie all mein Geld ausgegeben.

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Wie blicken Sie auf Ihre Absicherung im Alter?

Das ist ein großes Thema für mich. Ich wechsele gerade in die Künstlersozialkasse, davon habe ich leider erst viel zu spät erfahren. Dadurch wird meine Krankenkasse günstiger und man zahlt dort auch in die gesetzliche Rentenkasse ein. Dann habe ich meine Aktien und, wenn es alles gut läuft, irgendwann eine Immobilie. Aber für mich stellt sich auch die Frage: Was mache ich nach dem Tanzen? Da habe ich zwei Ideen: Zum einen klettere ich gerne und kann mir vorstellen, Baumklettern zu lernen. Das ist natürlich auch körperliche Arbeit, aber im Gegensatz zum Tanzen gibt es da keine Altersgrenze. Und dann macht es mir unglaublich viel Spaß zu tischlern, ich genieße die Ruhe in der Werkstatt – das ist ein guter Gegenpol zum Entertainment auf der Bühne. In beides will ich mal reinschnuppern, vielleicht kann ich das mit meiner Selbstständigkeit als Tanzlehrer kombinieren. Ein paar Jahre habe ich ja noch als Tänzer. Vor fünf Jahren habe ich immer gesagt, mit 30 ist es bestimmt vorbei. Jetzt bin ich 32 und fühle mich fitter denn je. Ich werde einfach auf meinen Körper hören.

* Anmerkung der Redaktion: Der Protagonist ist der Redaktion bekannt, auf seinen Wunsch haben wir den Namen verändert. Alle Angaben haben wir soweit möglich verifiziert.

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