Gas: EU-Kommission plant Unabhängigkeit von Russland bis Ende 2027

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 »Ernsthafte Sicherheits- und Wirtschaftsrisiken für die Union«

Verdichterstation einer Erdgasleitung in Österreich: »Ernsthafte Sicherheits- und Wirtschaftsrisiken für die Union«

Foto: Harald Schneider / APA / dpa

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Aus der großen Abhängigkeit von Russland hat sich die Europäische Union gelöst, doch vor allem bei einem Energieträger fällt dem Staatenbund die Abkehr von Moskau schwer: beim Erdgas. Voriges Jahres stammten noch immer 19 Prozent der EU-Gasimporte aus Russland, zeigen Zahlen der EU-Kommission.

Zwar kann Russland seit diesem Jahr kein Gas mehr über Pipelines durch die Ukraine in die EU leiten, doch dafür strömt zum Beispiel mehr russisches Gas über die Turkstream-Pipeline, also die Türkei, nach Europa – oder in Form von Flüssigerdgas (LNG) per Schiff. Die anhaltenden Lieferbeziehungen sind aus Sicht vieler Kritiker ein Ärgernis, da Energieexporte letztlich Putins Kriegskasse füllen.

Nun plant die Kommission mit dem dänischen Energiekommissar Dan Jørgensen als Fachverantwortlichen einen Abschied in zwei Schritten:

  • Spätestens Ende dieses Jahres sollen Unternehmen aus der EU demnach keine neuen Gaslieferverträge mehr mit Russland abschließen dürfen und kein Gas mehr kurzfristig – auf dem sogenannten Spotmarkt – aus Russland importieren dürfen.

  • Spätestens Ende 2027 sollen EU-Firmen dann gar kein russisches Gas mehr importieren – auch nicht aus bestehenden Langfristverträgen.

Ein solcher Ausstieg auf Raten hätte »nur begrenzte Auswirkungen auf die Preise und die Versorgungssicherheit in den Mitgliedstaaten«, heißt es in der sogenannten Roadmap der Kommission, die schon vor der offiziellen Vorstellung die Runde machte. Doch die Trennung sei strategisch zwingend nötig.

»Die Abhängigkeit von russischen Energieimporten führt zu ernsthaften Sicherheits- und Wirtschaftsrisiken für die Union und ihre Mitgliedstaaten«, schreibt die Kommission. »Wir werden nicht länger zulassen, dass Russland Energie gegen uns als Waffe einsetzt«, sagte Jørgensen bei der Vorstellung des Plans in Straßburg. »Wir werden nicht länger indirekt dazu beitragen, die Kriegskasse des Kremls zu füllen.«

Gesetzesvorschläge, um die Roadmap umzusetzen, kündigt die Kommission für Juni an. Dann wird sie die Zustimmung des Europaparlaments brauchen. Und eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten. Und bis dahin sind noch viele Fragen zu klären.

Sorge vor steigenden Energiepreisen

Bislang ist es in der EU erlaubt, Flüssigerdgas (LNG) aus Russland für den Eigenverbrauch zu importieren. Entsprechende Lieferungen landen zum Beispiel in belgischen, französischen oder spanischen Häfen an – und damit im europäischen Gasnetz. Insgesamt hätten voriges Jahr zehn EU-Mitgliedsstaaten Gas aus Russland importiert, schreibt die Kommission.

Andere Staaten wie Deutschland verfolgen eine strengere Linie: Über die hiesigen LNG-Terminals, die während der Energiepreiskrise im Eiltempo entstanden sind, landet kein LNG aus Russland an. Über Pipelines bezieht die Bundesrepublik schon seit Herbst 2022 kein Gas mehr aus Russland. Die bisherige Regierung bezeichnete die Unabhängigkeit von russischem Gas als sicherheitspolitisch bedeutsam.

 Strenge Linie gegen Lieferungen aus Russland

Schiff zur Regasifizierung von LNG im Hafen Mukran auf Rügen: Strenge Linie gegen Lieferungen aus Russland

Foto: Jens Koehler / picture alliance

EU-weit indes wurde bislang nicht verboten, Gas per Pipeline aus Russland zu importieren. Die Lieferungen könnten nach bisherigem Stand wieder hochgefahren werden, falls Russland die zerstörten Röhren der Nord-Stream-Pipelines durch die Ostsee reparieren sollte oder die eine noch intakte Röhre von Nord Stream 2 aktivieren könnte; für diese fehlt allerdings die Zertifizierung seitens der deutschen Bundesregierung.

Ein komplettes Embargo russischer Gaslieferungen als Instrument der EU-Außenpolitik müsste der Europäische Rat einstimmig beschließen, es müssten also alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Das gilt als unrealistisch, wegen wahrscheinlicher Vetos aus Ungarn oder auch der Slowakei. Stattdessen versucht es die Kommission nun über das Energierecht; die einzelnen Mitgliedsstaaten müssten die neuen Regeln dann jeweils in nationales Recht umsetzen.

Die EU müsse vorsichtig sein, mahnt der CDU-Politiker Christian Ehler, der energiepolitischer Sprecher seiner EVP-Fraktion im Europaparlament ist: »Nicht für alle Mitgliedsstaaten ist es einfach, sich innerhalb von kürzester Zeit von russischen Importen loszusagen.« Einige Länder schöben bestimmte Gründe vor, »aus politischer Sympathie mit Russland«. Daher brauche es in den nächsten Monaten eine gute Balance zwischen den Interessen einzelner Staaten und der EU als Ganzes, so Ehler, »ohne dabei Russland und seinen Präsidenten Putin im Krieg gegen die Ukraine zu stärken.«

Abschied von russischer Kohle und Öl ging schneller

Das Problem aus Sicht der betroffenen europäischen Energiekonzerne: Ohne eindeutige Sanktionen drohen ihnen belastbare juristische Hebel zu fehlen, damit sie langfristige Lieferverträge mit der russischen Gazprom oder dem privaten Lieferanten Novatek einseitig beenden können.

Unternehmen wie Sefe – die ehemalige Gazprom Germania, die während der Energiepreiskrise verstaatlicht wurde – haben noch immer Altverträge mit sogenannten »Take or Pay«-Klauseln. Das bedeutet, dass die Käufer bis zu 95 Prozent der vereinbarten Mengen bezahlen müssen, selbst wenn sie kein einziges Molekül abnehmen sollten. In dem Fall könnte Russland die Mengen sogar ein zweites Mal verkaufen und abkassieren. Etwa zwei Drittel der Gasimporte aus Russland stammten noch aus solchen Langfristverträgen, schreibt die Kommission.

Europäischen Energiekonzernen drohen also milliardenschwere Schadenersatzforderungen vor internationalen Schiedsgerichten, wenn sie aus alten Abnahmeverpflichtungen aussteigen. Laut einer Idee, die schon länger in Brüssel kursiert, könnten sie sich auf höhere Gewalt berufen. Doch das ist juristisch heikel. Denn der Krieg in der Ukraine ist längst kein unvorhersehbares Ereignis mehr. Höhere Gewalt sieht anders aus. Andererseits könnte die Umsetzung der neuen EU-Energieregeln für die Energiekonzerne eine höhere Gewalt darstellen, lautet eine andere Lesart.

Die EU hatte schon 2022 das Ziel ausgerufen, Energieimporte aus Russland zu beenden, und stattdessen die Energieeffinzienz zu steigern, erneuerbare Energien schneller auszubauen und die Energieimporte stärker zu diversifizieren. Gegen Lieferungen von Steinkohle und Erdöl per Schiff aus Russland hat Brüssel längst Sanktionen verhängt.

EU setzt auf Sparsamkeit, erneuerbare Energien und den LNG-Markt

Von 2021 bis 2024 ist der Gasverbrauch der EU-Staaten um 20 Prozent zurückgegangen, wie die Zahlen des US-amerikanischen Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) zeigen. Entsprechend sind auch die Gasimporte der EU – per Pipeline und LNG zusammengerechnet – im selben Zeitraum um 18 Prozent gesunken.

Dies ist unter anderem auf sparsamere Verbraucher sowie auf den Ausbau erneuerbarer Energien zurückzuführen, wodurch weniger Gas zur Stromerzeugung nötig war. Auch der Ersatz alter Gasheizungen durch Wärmepumpen trägt dazu bei, den Importbedarf zu senken.

Wichtigster Gaslieferant der EU war voriges Jahr Norwegen mit einem Anteil von 30 Prozent aller Importe. LNG aus den USA macht mittlerweile 25 Prozent der EU-Gasimporte aus, Lieferungen aus Algerien decken 13 Prozent des Bedarfs.

Wie will die EU nun ihren verbleibenden Gasbedarf decken, wenn der 14-Prozent-Importanteil aus Russland bald wegbrechen soll? Zum einen setzt die Kommission auf einen weiteren Rückgang des Verbrauchs. Zum anderen erwartet sie »in den kommenden Jahren weltweit zusätzliches LNG-Angebot«, etwa in den USA, Kanada, Katar und afrikanischen Staaten, sowie zusätzliche Gasproduktion in Rumänien von 2027 an. Auch werde die Erweiterung der Trans-Adria-Pipeline mehr Gasimporte aus Aserbaidschan ermöglichen.

Brüssel hat schon zuvor Bereitschaft signalisiert, künftig noch mehr LNG aus den USA zu importieren. Genau das hatte US-Präsident Donald Trump gefordert, damit das Handelsdefizit der USA gegenüber Europa kleiner wird. Die Kommission spricht in der Roadmap vage von »alternativen Lieferungen von internationalen Partnern über LNG oder Pipelinegas, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen«.

Hier scheint grundsätzlich ein Milliardendeal denkbar: Laut der Behörde Eurostat hat die EU im vergangenen Jahr LNG im Wert von 18,8 Milliarden Euro aus den USA importiert, im Vergleich zu 7,2 Milliarden Euro aus Russland. Fraglich ist nur, bis zu welchem Ausmaß sich die EU von LNG-Lieferungen aus den USA abhängig machen will – und wie zuverlässig dieser Partner unter Präsident Trump noch ist.

»Es wäre ein schlechter Deal, wenn wir die Abhängigkeit von Putin beenden und dafür in eine neue Abhängigkeit von Trump geraten würden«, warnt Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament.

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