
Spieler des HSV mit einem überdimensionalen Trikot des wegen Dopings gesperrten Mario Vušković
Foto: Alexander Hassenstein / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Dass beim Fußball das Gute, Wahre und Schöne eingetauscht wird gegen einen allumfassenden Kommerz, lässt sich seit einigen Jahren mit dem schönen Begriff der »Bierhoffisierung« beschreiben.
Die werblichen Maßnahmen des geschmeidigen DFB-Funktionärs Oliver Bierhoff rund um die Nationalmannschaft, gepaart mit aufdringlicher Volkstümelei wie »Danke schön!«-Bannern, sind für viele der offensichtlichste Inbegriff einer unguten Entwicklung hin zu noch mehr Geldrauspresserei aus dem Kunden Zuschauer.
Doch auf der anderen Seite des Zaunes, der vermeintlich Gut und Böse trennt, hat sich ebenfalls eine Eventisierung und Selbstüberhöhung des Sports breitgemacht, die in ihrem massierten Auftreten nervt. Aus diesem Grund ein paar dringende Bitten.
Ritualisierte Platzstürme unterlassen

Platzsturm nach dem Klassenerhalt beim FC St. Pauli
Foto: Eibner-Pressefoto / Max Vincen / Eibner / IMAGOPlatzstürme waren einst Ausdruck spontanen Glücks. Als 2001 die Schalker Fans den Rasen des Parkstadions fluteten, dann aus dem Antrieb heraus, dass dies ein vermeintlicher Moment für die Geschichtsbücher sei, eine Erlösung nach Jahrzehnten des Leids. Endlich Meister, endlich. Kam dann anders.
Wenn hingegen Fans des FC St. Pauli (beliebiges Beispiel) nach einem schon vor der Partie zu 99 Prozent feststehenden und die ganze Saison über kaum gefährdeten Klassenerhalt unbedingt aufs Spielfeld strömen müssen, dann liegt der Antrieb im Event an sich. Es gehört einfach dazu.
Eine Freude, die keine Bilder produziert, ist keine? Das ist ein Irrglaube.
Schluss mit der Bildung von Kreisen

Der obligatorische Kreis nach Schlusspfiff
Foto: Darius Simka / regios24 / IMAGONach nahezu jeder Partie bilden Trainerteam, Spieler, Ersatzspieler und natürlich »der Staff« einen Kreis, in dem der Coach oder einer der Profis etwas brüllt, was Nachbereitung oder Einstimmung auf Zukünftiges beinhaltet.
Was soll das?
Da arbeiten erwachsene Menschen, denen man getrost auch mal ein paar unbetreute Minuten und Stunden zum Nachdenken über Geschehenes zutrauen kann, ohne sie direkt wieder »einzuschwören«, wie man das abgelaufene Spiel gemeinsam zu sehen oder das anstehende anzugehen habe.
Kein Mensch benötigt 24/7-Teambuilding.
Dem gefeuerten Vorgänger nicht danken

Kölns Aufstiegstrainer Friedhelm Funkel dankte seinem Vorgänger Gerhard Struber
Foto: Nordphoto / Christian Schulze / IMAGOAuch so eine Unsitte. »Ich möchte mich bei XY bedanken, ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen«, musste man unter anderem rund um die Aufstiege in Köln und beim HSV wieder hören.
Das soll Demut (auch so ein schlimmer Modebegriff) signalisieren und zeigen: »Hey, ich nehme mich nicht so der wichtig, der Verein steht über allem, ich bin auch nur ein Rädchen im Getriebe« und so weiter, ist aber ehrlicherweise auch nur noch eine Standardfloskel, um diejenigen Fans abzuholen, die mit dem Rausschmiss des Vorgängers nicht einverstanden waren.
Dieser ist übrigens nicht ersetzt worden, weil er so tolle Arbeit geleistet hat, sondern weil der Klub die gesetzten Ziele zu verfehlen drohte. Wenn diese dann doch noch erreicht wurden, dann sollte man den Verantwortlichen danken, dass diese den Vorgänger rechtzeitig von seinen Aufgaben entbunden haben.
Trikots werden nicht mehr hochgehalten

Steter Begleiter durch die HSV-Saison: das Vušković-Trikot
Foto: IMAGO/Andreas Hannig / IMAGO/LobecaDas Schlimmste an Verletzungen oder Sperren ist mittlerweile nicht mehr die Tatsache an sich, sondern dass nach jedem Treffer oder Sieg ein Trikot des Fehlenden in die Kamera gehalten wird. Er ist bei uns! Wir sind ein Team! Mit ihm, mit euch!
Niemand hat in den vergangenen Jahren die Errichtung einer Wagenburgmentalität dreister vorangetrieben als das ehemalige HSV-Duo Jonas Boldt und Tim Walter. Jede Sperre, jede Verletzung, jeder Rückschlag war grundsätzlich ein Angriff auf »unsere Farben«, aus jeder Vertragsverlängerung wurde ein Rührstück und irgendwann verstieg sich Walter sogar zu der Aussage, dass »Liebe wichtiger als Punkte« sei.
Das war dann angesichts des fehlenden Arbeitsnachweises Walters in seinem eigentlichen Arbeitsgebiet (Trainer/Punkte holen) selbst den Kitschgroßhändlern beim HSV zu viel, die nach wie vor Zusammenhalt durch das Hochhalten des Trikots eines gesperrten Dopingbetrügers erzeugen.
Ultras machen keine Ansagen an Spieler

Diskussionsbedarf in Dortmund
Foto: Eibner-Pressefoto / Max Vincen / Eibner / IMAGOWas der Gewöhnungseffekt doch so ausmacht. Hätte man vor wenigen Jahren jemandem erzählt, dass eine Fußballmannschaft ihre Leistung nach der Partie nicht von Trainer, Analysten oder sonstigen Experten eingeordnet bekommt, dann hätte man sich gewundert.
Hätte man dann noch erfahren, dass diese Einordnung von einem heiseren Mann in Kapuzenpulli, der die vergangenen 90 Minuten mit dem Rücken zum Spiel auf einem Zaun verbracht hat, erfolgt, dann wäre man aus dem Lachen nicht mehr herausgekommen.
Ist mittlerweile so, sollte allerdings schleunigst wieder aufhören.
Das würde dann auch den pflichtschuldig betroffen dreinschauenden Profis die Aufgabe erleichtern, bei diesen unfreiwillig komischen Standpauken bloß nicht zu grinsen. Damit wäre allen geholfen.