FDP rechnet mit dem System Christian Lindner ab

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Nach ihrem historischen Absturz bei der Bundestagswahl sieht sich die FDP-Führung zu einer kritischen Betrachtung ihrer Strategie gezwungen. Im Zentrum: die Zeit zwischen 2015 und 2025 unter Ex-Parteichef Christian Lindner, der die Partei wie kaum ein anderer geprägt hat. Lindners Karriere endete vorerst mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag. Bei der letzten Wahl verfehlten die Liberalen die Fünfprozenthürde und erreichten nur 4,3 Prozent.

Eine 47-seitige Präsentation, die dem SPIEGEL vorliegt, beleuchtet die Fehler, die zu diesem Ergebnis geführt haben sollen, und analysiert insbesondere die Auswirkungen des Austritts aus der Ampelregierung. Zuerst haben »FAZ« und »Bild«-Zeitung darüber berichtet.

Die Grundlage der Analyse bildet eine umfassende Untersuchung der letzten zehn Jahre unter Parteichef Lindner. Neben der Auswertung von Umfragetrends und Wählerwanderungen wurden rund 3000 Teilnehmer im Rahmen einer Befragung im Mai 2025 einbezogen. Ergänzt wurden diese Daten durch Fokusgruppen, externe Expertisen und interne Parteidokumente. Ziel war es, ein umfassendes Bild der politischen Entwicklungen und strategischen Entscheidungen der FDP zu zeichnen, mit der »umfassendsten Datenanalyse in der Geschichte der Freien Demokraten«, wie es in dem Papier heißt.

Im Fokus steht besonders der Austritt aus der unbeliebten Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Dieser Schritt, maßgeblich von Lindner vorangetrieben, sollte ursprünglich als Befreiungsschlag und Neuanfang dienen. Doch die Analyse zeigt, dass die Kommunikation dieses Schrittes katastrophal verlief.

Viele Mitglieder und Wähler fühlten sich überrumpelt. Der Eindruck entstand, der Ausstieg sei lange geplant gewesen, ohne dies offen zu kommunizieren. »Das ist einfach kommunikativ schlecht gelaufen. Deswegen haben die Leute sich verarscht gefühlt und gesagt, wir wählen die jetzt nicht mehr«, wird ein Befragter zitiert. Eine andere Stimme beschreibt den Vorgang als »Schmierentheater« und »Seifenoper«, was das Vertrauen in die Partei weiter beschädigt habe.

Schwierige Regierungszeit

Bereits in der Ampelkoalition hatte die FDP Schwierigkeiten, ihre Anliegen durchzusetzen. Zentrale Forderungen wie steuerliche Entlastungen und Deregulierungen wurden von den Koalitionspartnern SPD und Grünen blockiert. Statt großer Reformprojekte setzte die FDP-Führung auf eine »Taktik der kleinen Erfolge«, die jedoch weder intern noch extern als strategischer Erfolg wahrgenommen wurde.

Die FDP »konnte (im Kontrast zum Image der Modernisierungspartei) nur auf Verhandlungserfolge stolz sein, die den Status quo festschreiben: KEINE Aufweichung der Schuldenbremse, KEINE Steuererhöhungen, KEIN Tempolimit auf Autobahnen«, heißt es in dem Papier. Angestoßene Reformen, etwa ein »Punktesystem für Einwanderung in den Abeitsmarkt (sic!) blieben unterhalb der Wahrnehmungsschwelle«.

Der Eindruck, die FDP unterstütze eine rot-grüne Politik, habe den Vertrauensverlust zusätzlich verstärkt, heißt es in der Analyse.

Die Quittung kam bei der Wahl: Nur zwei Millionen Kernwähler blieben der Partei treu, während viele frühere Unterstützer nach rechts oder links abwanderten. Parteichef Lindner räumte damals ein, dass die Erwartungen vieler Bürger enttäuscht wurden: »Das bedaure ich; und die Formulierung wähle ich bewusst, denn ich war auch selbst in Verantwortung.«

Vertrauen zurückgewinnen

Die Präsentation, die unter der Überschrift »Lessons learned« steht, fordert einen grundlegenden Neustart der Partei. Die FDP müsse volksnäher auftreten und eine größere Kernwählerschaft aufbauen. Zudem dürfe die Partei relevanten gesellschaftlichen Debatten nicht ausweichen.

Der Fokus solle verstärkt auf Lösungen für Alltagsprobleme gelegt werden, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Die Parteiführung plant, gemeinsam mit den Mitgliedern ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten, das Optimisten und Reformfreudige anspricht. »Aus den Misserfolgen in der Ampel ist nicht abzuleiten, weniger Reformkonzepte vorzuschlagen, sondern mehr«, heißt es abschließend. Für dieses Programm soll auch erstmals in der deutschen Parteiengeschichte künstliche Intelligenz eingesetzt werden.

An ihrer Spitze aber bleibt die Partei dem System Lindner treu. Anfang Mai wählten die Liberalen Christian Dürr mit 82 Prozent zum Parteichef. Jener Mann, der als Lindners Fraktionschef für das Ampelchaos mitverantwortlich war.

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