Mit der Benennung von HateAid, dem Bundesverband Onlinehandel und dem Verbraucherzentrale Bundesverband hat die Bundesnetzagentur als zuständiger deutscher Digitale-Dienste-Koordinator den Kreis der "Vertrauenswürdigen Hinweisgeber", wie sie auf Deutsch heißen, zum ersten Mal erweitert. Damit stehen mit der im vergangenen Jahr benannten Meldestelle Respect nunmehr vier Organisationen auf der Liste der Trusted Flagger bei der Bundesnetzagentur.
Priorisierung der Meldungen
Den Trusted Flaggern kommt unter dem europäischen Digitale-Dienste-Gesetz eine besondere Stellung zu. Vor allem bei der Inhaltemoderation spielen sie eine Rolle: Meldungen der qualifizierten Stellen müssen von den Plattformbetreibern priorisiert abgearbeitet werden. Mit den drei neuen Trusted Flagger-Organisationen kommen zwei neue Aspekte in diesen Bereich: Während der Verbraucherzentrale Bundesverband sich vor allem auf Produktsicherheit, Onlinehandel und Betrug fokussieren wird, wird der Bundesverband Onlinehandel sein Augenmerk auf Markenpiraterie und Produktfälschungen oder unlauteren Wettbewerb richten. Einige der derzeit besonders populären Onlinemarktplätze bekommen bislang die Probleme mit nicht lizenzierten oder nicht marktkonformen Produkten nicht in den Griff.
Beiden Organisationen stehen dabei neben den Möglichkeiten unter dem Digital Services Act auch andere Mittel zur Verfügung, etwa Abmahnungen gegen die Plattformen im Rahmen der Regelungen gegen unlauteren Wettbewerb oder Meldungen an die für die Produktsicherheit bei Importen zuständigen Stellen. "Betreiber von Online-Plattformen sind nicht verpflichtet, Inhalte aktiv zu überwachen", erläutert Sven Scharioth der den Bereich Marktüberwachung beim Verbraucherzentrale Bundesverband leitet. "Umso wichtiger ist es, dass die Plattformen von möglichen Verstößen gegen Anforderungen der Produktsicherheit und des Verbraucherrechts erfahren." Dafür können Nutzer etwa das Beschwerdeformular der Verbraucherschützer nutzen.
Menschenfeindliche Inhalte
Mit HateAid wird zudem ein weiterer Akteur als "Vertrauenswürdiger Hinweisgeber" zertifiziert, der sich vor allem auf menschenfeindliche Inhalte konzentriert hat. "Ob Meta, X oder Tiktok: Social-Media-Plattformen lassen zu, dass auf ihnen strafbare Inhalte wie Morddrohungen oder antisemitische Volksverhetzung von radikalen Kräften verbreitet werden", sieht HateAid-Geschäftsführerin Josephine Ballon die Benennung der gemeinnützigen GmbH als Trusted Flagger als einen Schritt hin zu mehr Verantwortlichkeit. Mit dem DSA würden Plattformen nun erstmals gesetzliche Regeln vorgeschrieben, die anders als die privatrechtlichen Nutzungsvereinbarungen demokratisch legitimiert seien. "Es ist der Versuch, unsere Demokratie, die EU-Mitgliedstaaten und jeden einzelnen Nutzenden gegen die Willkür der Tech-Plattformen zu verteidigen," sagt Ballon. Hate Aid hatte bislang insbesondere dadurch größere Bekanntheit erlangt, dass sie Prominente bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegen Plattformen unterstützte.
Gegenwind
Kritiker befürchten derweil, dass sich die benannten Trusted-Flagger-Organisationen zum Richter über Meinungsfreiheit aufschwingen würden – und die Plattformen auf deren Hinweise hin mehr Inhalte sperren würden als angemessen. Allerdings müssen die Betreiber selbst prüfen und entscheiden, ob eingegangene Meldungen auch zu einer Sperrung oder Löschung von Inhalten führen – nach Kenntnis müssen sie sich zu diesen verhalten. Es handelt sich also um eine zusätzliche Möglichkeit zu den allgemein geltenden Regeln für die Benachrichtigung der Plattformbetreiber über potenziell rechtswidrige Inhalte. Mit dem DSA ist zudem ein Recht auf Widerspruch bei Sperrungen eingeführt worden: Wer meint, seine Inhalte seien zu Unrecht entfernt worden, kann hier Abhilfe verlangen.
Die nun vier in Deutschland zugelassenen "vertrauenswürdigen Hinweisgeber" müssen im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens für die Eintragung in die Liste der qualifizierten Organisationen bei der nationalen DSA-Aufsichtsbehörde ihre Sorgfalt und eigene Vertrauenswürdigkeit nachweisen. Die Zertifizierung wird daraufhin veröffentlicht und kann jederzeit widerrufen werden. Ursprünglich stammt die Idee für diese Form der Zusammenarbeit zwischen Organisationen und Plattformbetreibern von YouTube. Für ihre Tätigkeit erhalten die Organisationen kein Geld – nicht vom Digitale-Dienste-Koordinator und auch nicht von den Plattformbetreibern, denen sie mit ihren Vorprüfungen Arbeit abnehmen.
In der gesamten EU sind damit nunmehr 34 Trusted Flagger von den zuständigen Aufsichtsbehörden qualifiziert. In Deutschland wurden bislang über 20 Anträge gestellt, von denen ein Teil jedoch keine Aussicht auf Erfolg haben konnte. Bislang ist die bei der Bundesnetzagentur angesiedelte deutsche Aufsichtsbehörde für den DSA weiterhin personell nicht ausreichend ausgestattet, da erst mit dem Bundeshaushalt 2025 die angestrebte Zahl an Stellen erreicht wird. Die deutsche Gesetzgebung zum DSA für den Haushalt 2024 ging zu spät durchs Parlament.
(kbe)