„Dissens in der Sache ist keine Illoyalität“: Merz hält Kritik an Israels Politik für nötig – Schuster mahnt trotz Unmuts Unterstützung an

vor 3 Stunden 1

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat bekräftigt, dass das Bekenntnis zur Existenz und zur Sicherheit Israels ein „unverhandelbarer Bestandteil der normativen Fundamente“ Deutschlands sei. Eine Kritik an der Politik der israelischen Regierung müsse möglich und könne sogar nötig sein, sagte Merz am Mittwochabend bei einer Veranstaltung zum 75. Geburtstag des Zentralrates der Juden in Berlin. „Dissens in der Sache ist keine Illoyalität.“

Aber Deutschland nehme an der eigenen Seele Schaden, wenn diese Kritik zum Vorwand für Judenhass werde. Auch dürfe sie nicht zu der Forderung führen, dass sich Deutschland von Israel abwende.

Wenn das Gespräch zwischen den Regierungen an Grenzen komme, sei Deutschland in der Pflicht, um eine gemeinsame Sprache zu ringen, Gemeinsames zu suchen, unterstrich Merz. „Und ich möchte Ihnen dafür für meine Regierung das persönliche Versprechen geben, dass wir das tun werden: heute, morgen, übermorgen.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte zuvor ungeachtet des Unmuts über den Kurs von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zum Beistand für Israel aufgerufen. „Nicht alle Entscheidungen der Regierung Netanjahu sind für uns nachvollziehbar“, sagte Schuster. „Mit den Äußerungen einiger seiner Kabinettsmitglieder hadern auch Juden außerhalb Israels.“

Dies dürfe aber „niemals als Rechtfertigung dafür dienen, dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland von Israel abwenden oder die Unterstützung reduzieren“, sagte Schuster weiter. Deutschland müsse „für die Sicherheit Israels einstehen, unabhängig davon, wie der Regierungschef heißt“.

Israel sei „dauerhaft in seiner Existenz bedroht“, sagte er. „Die Geschichte zeigt, dass Momente der Schwäche immer von den feindlichen Nachbarstaaten und ihren Terrororganisationen genutzt werden, um zu versuchen, Israel zu vernichten.“

Deutschland dürfe bei seiner Unterstützung für Israel nicht schwanken, mahnte Schuster. „Solidarität mit Israel darf nicht relativiert werden. Sie ist keine außenpolitische Option, sondern immer wieder betonter Teil unserer Staatsräson.“

Schuster beklagte einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland, insbesondere nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. „Lieber hätte ich zum 75-jährigen Jubiläum des Zentralrats nur positive Entwicklungen erwähnt“, sagte Schuster. „Aber die Realität zeigt, dass Antisemitismus, der seit jeher an den extremen Rändern verwurzelt ist, bis direkt in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen ist.“ Es werde „ungemütlicher für Juden“.

Der Antisemitismus zeige sich „nicht nur in seinen gewalttätigen Auswüchsen, sondern zunehmend auch im Alltag“, sagte Schuster weiter. „Er richtet sich gegen Juden, aber er bedroht stets die ganze Gesellschaft. Juden sind der Seismograph einer Gesellschaft.“ So sei „der Judenhass heute die Brückenideologie, die die extreme Rechte mit der extremen Linken und dem islamistischen Spektrum verbindet – auf den Straßen, in Klassenzimmern, an Universitäten, in den sozialen Medien.“

Auch Merz warnte davor, dass antisemitische Rhetorik in Deutschland wieder normalisiert wird. „Im Deutschen Bundestag, in deutschen Landtagen werden Stimmen von Geschichtsvergessenen laut“, kritisierte Merz am Mittwochabend in einer Veranstaltung zum 75. Geburtstag des Zentralrates der Juden in Berlin. „Israel-Kritik und krudeste Täter-Opfer-Umkehr ist immer öfter ein Vorwand, unter dem das Gift des Antisemitismus verbreitet wird“, fügte Merz hinzu.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland wurde am 19. Juli 1950 – fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Schoa – in Frankfurt am Main gegründet. Seitdem agiert er als politische, gesellschaftliche und religiöse Vertretung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Unter seinem Dach sind alle jüdischen religiösen Ausrichtungen vertreten.

Aus Anlass des Jahrestags hatte der Zentralrat für Mittwoch rund tausend Gäste aus Politik und Gesellschaft zu einem Rosch-Haschana-Empfang ins Jüdische Museum Berlin geladen. Das Neujahrsfest Rosch Haschana markiert den Beginn des neuen jüdischen Jahres 5786.

Als positive „Meilensteine“ in der Arbeit des Zentralrats der vergangenen Jahre hob Schuster in seiner Festrede eine Reihe von Ereignissen hervor: den Abschluss des Staatsvertrags zur jüdischen Militärseelsorge 2019, die Berufung des ersten Militärbundesrabbiners im Jahr 2021 sowie den Bau der Jüdischen Akademie, die in der zweiten Jahreshälfte 2026 in Frankfurt am Main eröffnet werden soll. (AFP/KNA)

Gesamten Artikel lesen