Wer hätte das vor ein paar Monaten gedacht: die Linke vor den Grünen in der Wählergunst, zum ersten Mal seit sieben Jahren. Dabei läutete ihnen zwischendurch schon das Totenglöcklein. Aber Vorsicht vor allzu lautem Jubel über eine Wiederauferstehung. Höhenflug kommt vor dem Fall.
Nicht allein, weil es Bodo Ramelow sagt, ihr einstiger, einziger Ministerpräsident und heutiger Bundestags-Vizepräsident. Sondern weil es ganz einfach stimmt: Der Kurs der Linken ist im Ganzen weniger pragmatisch als problematisch.
Das gilt in Sonderheit für das Thema Antisemitismus. Der Umgang damit stößt ja sogar ehemalige Parteigranden ab, Klaus Lederer zum Beispiel, Berlins kultigen (Ex-)Kultursenator.
Sie übt sich in gewollter Doppeldeutigkeit. Für jüdische Institutionen eine arge Zumutung. Die Linke bietet allein schon damit den Mitbewerbern Angriffsflächen.
Der Kurs der Linken ist im Ganzen weniger pragmatisch als problematisch.
Stephan-Andreas Casdorff
Das Kümmerer-Image – von mehr bezahlbarem Wohnraum bis zu mehr Hilfe für Flüchtlinge – droht überlagert zu werden. Dabei war es gerade der klare Vorrang für alles Soziale, der der Linken den Erfolg bei der jüngsten Bundestagswahl eingetragen hat. Und so sollte es eigentlich weitergehen.
Zumal ein ganz linker Kurs sie zugleich weiter von der Regierungsmacht entfernt. Das gilt zum Beispiel für Berlin. Was wäre, wenn nach der kommenden Wahl eine historische Zusammenarbeit mit der CDU notwendig würde? Die Linke müsste ihr schon Gründe liefern, den Unvereinbarkeitsbeschluss aufzuheben.
Die Moderaten in der Mitte gewinnen
Tut sie aber nicht. Da liegt die Chance für die Grünen.
Sie wollten mit Robert Habeck die Moderaten in der Mitte gewinnen, die heimatlos geworden sind, seitdem sie sich bei Union und SPD nicht mehr wiederfinden. Nur weil sich das bei der vergangenen Wahl nicht ausgezahlt hat, heißt das nicht, dass die Strategie verfehlt wäre. Man muss sie aber durchhalten. Es ist nicht alles Wärmepumpe.
Drücken die Grünen die Linke weiter an den linken Rand, und fällt die von dort aus immer wieder mit Provokationen der breiten Mitte auf, kann das die Konstellation wieder ändern. Ein Hauch von Sektierertum würde wohl etliche von den immer noch vielen strukturkonservativen Anhängern der Linken vertreiben.
Kommt es bei der Linken darüber zum Streit, profitieren die Grünen erst recht – im Fall, dass sie sich sortiert und inhaltlich diszipliniert zeigen. Aber es können auch beide noch hart auf dem Boden ihrer Ambitionen landen.